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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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von machten, genug haben! Ich beuge mich unter Gottes
Beschlüsse: und bin seelenruhig jetzt. -- Unsere eigentliche Seele
sind die Wünsche, das Sehnen. Gebannt ist sie nur, in
Widerspruch. -- Haben Sie Goethens Wanderjahre gelesen?
dies apropos von allem! von Seele, Leben, Dasein; sich
fassen, es betrachten u. s. w. Mit der Geselligkeit geht es
dabei seinen Gang. Ich habe mir in meiner Angegriffenheit
nur die Menschen abzuhalten. Sie haben es gut bei mir.
Sie finden sich, erstlich. Werden geschmeichelt, bewirthet, ge-
pflegt, nicht persönlich widersprochen, umgangen, können nach
dem Theater kommen, finden Gespräch, auch wenn sie uns
allein treffen, die neusten Bücher, immer willige Erfrischung.
Und da ist's -- wie bei Ihnen: nachdem, was mir Herr
von Lehr erzählt. -- Dieser gefällt mir sehr gut: er ist Ihnen
sehr gewogen; ehrt und kennt Sie. Mich freute das sehr:
herzensgeliebte, alte, immer theure Auguste! Es bleibt ganz
bei Prag! Wie dort, so immer. Varnhagen will absolut von
Töplitz einen Augenblick nach Prag. Da werde ich denn auf
unsern Gräbern wandern, wo unser dortiges schönes, wenn
auch schreckenvolles Leben hingelegt ist. Wir können daran
denken: es hat ein ferneres erzeugt, aber wir können es nicht
wiederleben; konnten es nicht halten! -- Adieu Freundin!
Schöne, Liebe! Meine Augen werden Sie noch sehen! Dann
wollen wir wieder lachen. Sie inspiriren mich wie Keiner!
Immer dieselbe und

Ihre R.


Den 7. September 1821. war bei Fürst Clary in Töplitz
die Rede von Büchern und Lesen; da fragte Baron E. die

von machten, genug haben! Ich beuge mich unter Gottes
Beſchlüſſe: und bin ſeelenruhig jetzt. — Unſere eigentliche Seele
ſind die Wünſche, das Sehnen. Gebannt iſt ſie nur, in
Widerſpruch. — Haben Sie Goethens Wanderjahre geleſen?
dies apropos von allem! von Seele, Leben, Daſein; ſich
faſſen, es betrachten u. ſ. w. Mit der Geſelligkeit geht es
dabei ſeinen Gang. Ich habe mir in meiner Angegriffenheit
nur die Menſchen abzuhalten. Sie haben es gut bei mir.
Sie finden ſich, erſtlich. Werden geſchmeichelt, bewirthet, ge-
pflegt, nicht perſönlich widerſprochen, umgangen, können nach
dem Theater kommen, finden Geſpräch, auch wenn ſie uns
allein treffen, die neuſten Bücher, immer willige Erfriſchung.
Und da iſt’s — wie bei Ihnen: nachdem, was mir Herr
von Lehr erzählt. — Dieſer gefällt mir ſehr gut: er iſt Ihnen
ſehr gewogen; ehrt und kennt Sie. Mich freute das ſehr:
herzensgeliebte, alte, immer theure Auguſte! Es bleibt ganz
bei Prag! Wie dort, ſo immer. Varnhagen will abſolut von
Töplitz einen Augenblick nach Prag. Da werde ich denn auf
unſern Gräbern wandern, wo unſer dortiges ſchönes, wenn
auch ſchreckenvolles Leben hingelegt iſt. Wir können daran
denken: es hat ein ferneres erzeugt, aber wir können es nicht
wiederleben; konnten es nicht halten! — Adieu Freundin!
Schöne, Liebe! Meine Augen werden Sie noch ſehen! Dann
wollen wir wieder lachen. Sie inſpiriren mich wie Keiner!
Immer dieſelbe und

Ihre R.


Den 7. September 1821. war bei Fürſt Clary in Töplitz
die Rede von Büchern und Leſen; da fragte Baron E. die

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[47/0055] von machten, genug haben! Ich beuge mich unter Gottes Beſchlüſſe: und bin ſeelenruhig jetzt. — Unſere eigentliche Seele ſind die Wünſche, das Sehnen. Gebannt iſt ſie nur, in Widerſpruch. — Haben Sie Goethens Wanderjahre geleſen? dies apropos von allem! von Seele, Leben, Daſein; ſich faſſen, es betrachten u. ſ. w. Mit der Geſelligkeit geht es dabei ſeinen Gang. Ich habe mir in meiner Angegriffenheit nur die Menſchen abzuhalten. Sie haben es gut bei mir. Sie finden ſich, erſtlich. Werden geſchmeichelt, bewirthet, ge- pflegt, nicht perſönlich widerſprochen, umgangen, können nach dem Theater kommen, finden Geſpräch, auch wenn ſie uns allein treffen, die neuſten Bücher, immer willige Erfriſchung. Und da iſt’s — wie bei Ihnen: nachdem, was mir Herr von Lehr erzählt. — Dieſer gefällt mir ſehr gut: er iſt Ihnen ſehr gewogen; ehrt und kennt Sie. Mich freute das ſehr: herzensgeliebte, alte, immer theure Auguſte! Es bleibt ganz bei Prag! Wie dort, ſo immer. Varnhagen will abſolut von Töplitz einen Augenblick nach Prag. Da werde ich denn auf unſern Gräbern wandern, wo unſer dortiges ſchönes, wenn auch ſchreckenvolles Leben hingelegt iſt. Wir können daran denken: es hat ein ferneres erzeugt, aber wir können es nicht wiederleben; konnten es nicht halten! — Adieu Freundin! Schöne, Liebe! Meine Augen werden Sie noch ſehen! Dann wollen wir wieder lachen. Sie inſpiriren mich wie Keiner! Immer dieſelbe und Ihre R. Den 7. September 1821. war bei Fürſt Clary in Töplitz die Rede von Büchern und Leſen; da fragte Baron E. die

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/55>, abgerufen am 29.04.2024.