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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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leer ausfällt. Glücklich die schönen Gebilde eines lächlenden
Naturmoments, die aller Menschenerfindung weit entrückt der
kunstreichsten zum Vorbilde dienen können! Aber ersieht man
sich nicht als ein solches, so ziehe ich es vor, Einer zu sein,
als Keiner. Es giebt methodische, gemessene Geister, denen
es an Fülle nicht gebricht, die sich auch nur gehen zu lassen
brauchen, und sich doch nur immer im schönsten Maße zeigen.
Das sind die beglückten Gebilde; die haben keine Laune, kein
Wetter! oder vielmehr: ihre Launen sind eine Musik der schön-
sten Stimmung; und ihr Wetter ist Sonne, die durch die
reinste, mildeste Luft scheint. Sie sollen sehen; das plät-
schernde Kind -- Sie verglichen mich mit einem solchen -- an
den Wogen der Zeit, hascht mit Bedacht, in diesen Wogen,
und unterscheidet seinen Fund selbst. Da es der Arbeit -- der
mit Plan und Zweck -- unfähig ist, so wäre das Arbeiten
vergeblich: ja, das Kind bemerkt sogar, daß dieser Strom den
Fleißigsten und Geschicktesten mit forthelfen muß, oder sie
hemmt. Denn was gehörte nicht zu diesem Strom, selbst die
Philosophieen über ihn, die ihn erklären sollen! -- Herr
von Brinckmann behauptete immer, Liebe mit einem Adjektiv
sei schon nichts werth. Das möchte ich hier von der Weisheit
sagen! Der Schulweisheit begiebt sich das Kind; die kann nur
Weltweisheit lehren; ob es Weisheit an sich giebt, fragt es.

Daß Ihr Knabe Boten spielen will, gefällt mir ungemein!
Da macht er Ihnen ja die halbe Erziehung selbst; es ist durch-
aus für Kinder nichts Bessers als Geschäfte: sie wollen sie
auch durchaus. Mit lauter Aufträgen kann man sie zu gro-
ßen Leuten machen: dies beschäftigt sie, stärkt sie in allen Thei-

leer ausfällt. Glücklich die ſchönen Gebilde eines lächlenden
Naturmoments, die aller Menſchenerfindung weit entrückt der
kunſtreichſten zum Vorbilde dienen können! Aber erſieht man
ſich nicht als ein ſolches, ſo ziehe ich es vor, Einer zu ſein,
als Keiner. Es giebt methodiſche, gemeſſene Geiſter, denen
es an Fülle nicht gebricht, die ſich auch nur gehen zu laſſen
brauchen, und ſich doch nur immer im ſchönſten Maße zeigen.
Das ſind die beglückten Gebilde; die haben keine Laune, kein
Wetter! oder vielmehr: ihre Launen ſind eine Muſik der ſchön-
ſten Stimmung; und ihr Wetter iſt Sonne, die durch die
reinſte, mildeſte Luft ſcheint. Sie ſollen ſehen; das plät-
ſchernde Kind — Sie verglichen mich mit einem ſolchen — an
den Wogen der Zeit, haſcht mit Bedacht, in dieſen Wogen,
und unterſcheidet ſeinen Fund ſelbſt. Da es der Arbeit — der
mit Plan und Zweck — unfähig iſt, ſo wäre das Arbeiten
vergeblich: ja, das Kind bemerkt ſogar, daß dieſer Strom den
Fleißigſten und Geſchickteſten mit forthelfen muß, oder ſie
hemmt. Denn was gehörte nicht zu dieſem Strom, ſelbſt die
Philoſophieen über ihn, die ihn erklären ſollen! — Herr
von Brinckmann behauptete immer, Liebe mit einem Adjektiv
ſei ſchon nichts werth. Das möchte ich hier von der Weisheit
ſagen! Der Schulweisheit begiebt ſich das Kind; die kann nur
Weltweisheit lehren; ob es Weisheit an ſich giebt, fragt es.

Daß Ihr Knabe Boten ſpielen will, gefällt mir ungemein!
Da macht er Ihnen ja die halbe Erziehung ſelbſt; es iſt durch-
aus für Kinder nichts Beſſers als Geſchäfte: ſie wollen ſie
auch durchaus. Mit lauter Aufträgen kann man ſie zu gro-
ßen Leuten machen: dies beſchäftigt ſie, ſtärkt ſie in allen Thei-

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[56/0064] leer ausfällt. Glücklich die ſchönen Gebilde eines lächlenden Naturmoments, die aller Menſchenerfindung weit entrückt der kunſtreichſten zum Vorbilde dienen können! Aber erſieht man ſich nicht als ein ſolches, ſo ziehe ich es vor, Einer zu ſein, als Keiner. Es giebt methodiſche, gemeſſene Geiſter, denen es an Fülle nicht gebricht, die ſich auch nur gehen zu laſſen brauchen, und ſich doch nur immer im ſchönſten Maße zeigen. Das ſind die beglückten Gebilde; die haben keine Laune, kein Wetter! oder vielmehr: ihre Launen ſind eine Muſik der ſchön- ſten Stimmung; und ihr Wetter iſt Sonne, die durch die reinſte, mildeſte Luft ſcheint. Sie ſollen ſehen; das plät- ſchernde Kind — Sie verglichen mich mit einem ſolchen — an den Wogen der Zeit, haſcht mit Bedacht, in dieſen Wogen, und unterſcheidet ſeinen Fund ſelbſt. Da es der Arbeit — der mit Plan und Zweck — unfähig iſt, ſo wäre das Arbeiten vergeblich: ja, das Kind bemerkt ſogar, daß dieſer Strom den Fleißigſten und Geſchickteſten mit forthelfen muß, oder ſie hemmt. Denn was gehörte nicht zu dieſem Strom, ſelbſt die Philoſophieen über ihn, die ihn erklären ſollen! — Herr von Brinckmann behauptete immer, Liebe mit einem Adjektiv ſei ſchon nichts werth. Das möchte ich hier von der Weisheit ſagen! Der Schulweisheit begiebt ſich das Kind; die kann nur Weltweisheit lehren; ob es Weisheit an ſich giebt, fragt es. Daß Ihr Knabe Boten ſpielen will, gefällt mir ungemein! Da macht er Ihnen ja die halbe Erziehung ſelbſt; es iſt durch- aus für Kinder nichts Beſſers als Geſchäfte: ſie wollen ſie auch durchaus. Mit lauter Aufträgen kann man ſie zu gro- ßen Leuten machen: dies beſchäftigt ſie, ſtärkt ſie in allen Thei-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/64>, abgerufen am 27.04.2024.