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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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nach sogar Nichtadeligen zu Theil. Es war eine Verbindung allgemeiner
Art mit bestimmten Rechten und Freiheiten, durch die Geburt noch nicht
gegeben, eine ethische Gemeinschaft, aristokratisch nach außen, demokratisch
nach innen. Eine bestimmtere Organisation waren die Ritterorden, in
denen sich das Mönchsgelübde mit dem der Tapferkeit zu einer Erscheinung
verbindet, in welcher es sich zu wahrhaft schönen Tugenden veredelt.
Diese Orden sind in sich ebenfalls allgemeiner Art, nicht local und ab-
geschlossen; ihre Geschichte wimmelt von vortheilhaften Stoffen bis zu den
späten Thaten der Johanniter auf Malta, dem blutigen Untergang der
Templer in Frankreich, dem Erlöschen der Deutschritter in Preußen. --
Wichtiger sind die Städte. Hier bildet sich auf der rein menschlichen
Grundlage der zweckmäßigen Thätigkeit, und zwar der verständigen, auf-
klärenden Thätigkeit des Gewerbs und Handels zuerst wieder ein dem
Alterthum verwandtes republikanisches Leben, aber nach außen ganz
particular, monopolisirt durch den Kaiser, in beständiger Fehde gegen die
Ritter, wie diese gegeneinander; eben diese gewaltsame Existenz aber läßt
nicht Philisterei zu, der Bürger steht in Waffen. Im Innern greift
Corporation wieder durch Alles: Zünfte und Zunftstolz, Magistrat,
Patrizier-Adel, Ritter-Adel. Der Handwerker lebt mit seinen Gesellen
wie ein Patriarch, liederreich wandert der Bursche, Alles hat seine Formen,
Loosungen, Sprüche, den Takt des Hammers begleitet Gesang, zum
Glockenguß wird gebetet u. s. w. Handel und Schiffahrt bringt Reichthum.
Dieß Städteleben wird, besonders in Italien, von politischen Parteien
(Welfen und Ghibellinen) stürmisch bewegt (gewaltige Stoffe in Dante).
Pisa, Florenz, Siena, Mailand, Genua blühen auf, groß und mächtig
wird besonders Venedig, die Lagunenstadt, nach innen eine aristokratische
Republik voll unheimlicher Inquisition: Schooß einer Menge von großen,
glänzenden, üppigen und zugleich unheimlichen Motiven. Ueber Deutsch-
land ist eine Anzahl der blühendsten Städte hingegossen, Augsburg,
Nürnberg u. s. w., ebenso über die Niederlande; vertraulicher, heimlicher
ist hier das rege Bürgerleben, da wandeln die ehrenfesten Handwerker,
die sittigen Frauen, die stattlichen, behaglichen, ehrwürdigen Rathsherrn.
Das Bedürfniß des gegenseitigen Schutzes ruft imponirende Städte-
bündnisse hervor: Hansa, rheinischer Städtebund u. s. w. Endlich regt sich
auch der Bauernstand, und zwar macht sich zuerst der frische Muth des
Gebirgsbewohners geltend: Befreiung der Schweiz, Kriege gegen Oestreich,
Burgund, später die Kriege der Ditmarsen. Doch soll erst ein geistiges
Ereigniß diesem furchtbar gedrückten Stande einen Schwung zu durch-
greifenderem Versuche der Befreiung geben. Vorerst ist das Wesentliche,
daß in den Städten der sogenannte dritte Stand, Mark und Kern jeder
Tüchtigkeit und wahren Bildung, sich gründet.


nach ſogar Nichtadeligen zu Theil. Es war eine Verbindung allgemeiner
Art mit beſtimmten Rechten und Freiheiten, durch die Geburt noch nicht
gegeben, eine ethiſche Gemeinſchaft, ariſtokratiſch nach außen, demokratiſch
nach innen. Eine beſtimmtere Organiſation waren die Ritterorden, in
denen ſich das Mönchsgelübde mit dem der Tapferkeit zu einer Erſcheinung
verbindet, in welcher es ſich zu wahrhaft ſchönen Tugenden veredelt.
Dieſe Orden ſind in ſich ebenfalls allgemeiner Art, nicht local und ab-
geſchloſſen; ihre Geſchichte wimmelt von vortheilhaften Stoffen bis zu den
ſpäten Thaten der Johanniter auf Malta, dem blutigen Untergang der
Templer in Frankreich, dem Erlöſchen der Deutſchritter in Preußen. —
Wichtiger ſind die Städte. Hier bildet ſich auf der rein menſchlichen
Grundlage der zweckmäßigen Thätigkeit, und zwar der verſtändigen, auf-
klärenden Thätigkeit des Gewerbs und Handels zuerſt wieder ein dem
Alterthum verwandtes republikaniſches Leben, aber nach außen ganz
particular, monopoliſirt durch den Kaiſer, in beſtändiger Fehde gegen die
Ritter, wie dieſe gegeneinander; eben dieſe gewaltſame Exiſtenz aber läßt
nicht Philiſterei zu, der Bürger ſteht in Waffen. Im Innern greift
Corporation wieder durch Alles: Zünfte und Zunftſtolz, Magiſtrat,
Patrizier-Adel, Ritter-Adel. Der Handwerker lebt mit ſeinen Geſellen
wie ein Patriarch, liederreich wandert der Burſche, Alles hat ſeine Formen,
Looſungen, Sprüche, den Takt des Hammers begleitet Geſang, zum
Glockenguß wird gebetet u. ſ. w. Handel und Schiffahrt bringt Reichthum.
Dieß Städteleben wird, beſonders in Italien, von politiſchen Parteien
(Welfen und Ghibellinen) ſtürmiſch bewegt (gewaltige Stoffe in Dante).
Piſa, Florenz, Siena, Mailand, Genua blühen auf, groß und mächtig
wird beſonders Venedig, die Lagunenſtadt, nach innen eine ariſtokratiſche
Republik voll unheimlicher Inquiſition: Schooß einer Menge von großen,
glänzenden, üppigen und zugleich unheimlichen Motiven. Ueber Deutſch-
land iſt eine Anzahl der blühendſten Städte hingegoſſen, Augsburg,
Nürnberg u. ſ. w., ebenſo über die Niederlande; vertraulicher, heimlicher
iſt hier das rege Bürgerleben, da wandeln die ehrenfeſten Handwerker,
die ſittigen Frauen, die ſtattlichen, behaglichen, ehrwürdigen Rathsherrn.
Das Bedürfniß des gegenſeitigen Schutzes ruft imponirende Städte-
bündniſſe hervor: Hanſa, rheiniſcher Städtebund u. ſ. w. Endlich regt ſich
auch der Bauernſtand, und zwar macht ſich zuerſt der friſche Muth des
Gebirgsbewohners geltend: Befreiung der Schweiz, Kriege gegen Oeſtreich,
Burgund, ſpäter die Kriege der Ditmarſen. Doch ſoll erſt ein geiſtiges
Ereigniß dieſem furchtbar gedrückten Stande einen Schwung zu durch-
greifenderem Verſuche der Befreiung geben. Vorerſt iſt das Weſentliche,
daß in den Städten der ſogenannte dritte Stand, Mark und Kern jeder
Tüchtigkeit und wahren Bildung, ſich gründet.


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[262/0274] nach ſogar Nichtadeligen zu Theil. Es war eine Verbindung allgemeiner Art mit beſtimmten Rechten und Freiheiten, durch die Geburt noch nicht gegeben, eine ethiſche Gemeinſchaft, ariſtokratiſch nach außen, demokratiſch nach innen. Eine beſtimmtere Organiſation waren die Ritterorden, in denen ſich das Mönchsgelübde mit dem der Tapferkeit zu einer Erſcheinung verbindet, in welcher es ſich zu wahrhaft ſchönen Tugenden veredelt. Dieſe Orden ſind in ſich ebenfalls allgemeiner Art, nicht local und ab- geſchloſſen; ihre Geſchichte wimmelt von vortheilhaften Stoffen bis zu den ſpäten Thaten der Johanniter auf Malta, dem blutigen Untergang der Templer in Frankreich, dem Erlöſchen der Deutſchritter in Preußen. — Wichtiger ſind die Städte. Hier bildet ſich auf der rein menſchlichen Grundlage der zweckmäßigen Thätigkeit, und zwar der verſtändigen, auf- klärenden Thätigkeit des Gewerbs und Handels zuerſt wieder ein dem Alterthum verwandtes republikaniſches Leben, aber nach außen ganz particular, monopoliſirt durch den Kaiſer, in beſtändiger Fehde gegen die Ritter, wie dieſe gegeneinander; eben dieſe gewaltſame Exiſtenz aber läßt nicht Philiſterei zu, der Bürger ſteht in Waffen. Im Innern greift Corporation wieder durch Alles: Zünfte und Zunftſtolz, Magiſtrat, Patrizier-Adel, Ritter-Adel. Der Handwerker lebt mit ſeinen Geſellen wie ein Patriarch, liederreich wandert der Burſche, Alles hat ſeine Formen, Looſungen, Sprüche, den Takt des Hammers begleitet Geſang, zum Glockenguß wird gebetet u. ſ. w. Handel und Schiffahrt bringt Reichthum. Dieß Städteleben wird, beſonders in Italien, von politiſchen Parteien (Welfen und Ghibellinen) ſtürmiſch bewegt (gewaltige Stoffe in Dante). Piſa, Florenz, Siena, Mailand, Genua blühen auf, groß und mächtig wird beſonders Venedig, die Lagunenſtadt, nach innen eine ariſtokratiſche Republik voll unheimlicher Inquiſition: Schooß einer Menge von großen, glänzenden, üppigen und zugleich unheimlichen Motiven. Ueber Deutſch- land iſt eine Anzahl der blühendſten Städte hingegoſſen, Augsburg, Nürnberg u. ſ. w., ebenſo über die Niederlande; vertraulicher, heimlicher iſt hier das rege Bürgerleben, da wandeln die ehrenfeſten Handwerker, die ſittigen Frauen, die ſtattlichen, behaglichen, ehrwürdigen Rathsherrn. Das Bedürfniß des gegenſeitigen Schutzes ruft imponirende Städte- bündniſſe hervor: Hanſa, rheiniſcher Städtebund u. ſ. w. Endlich regt ſich auch der Bauernſtand, und zwar macht ſich zuerſt der friſche Muth des Gebirgsbewohners geltend: Befreiung der Schweiz, Kriege gegen Oeſtreich, Burgund, ſpäter die Kriege der Ditmarſen. Doch ſoll erſt ein geiſtiges Ereigniß dieſem furchtbar gedrückten Stande einen Schwung zu durch- greifenderem Verſuche der Befreiung geben. Vorerſt iſt das Weſentliche, daß in den Städten der ſogenannte dritte Stand, Mark und Kern jeder Tüchtigkeit und wahren Bildung, ſich gründet.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/274>, abgerufen am 29.04.2024.