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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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b.
Die Zweige der Baukunst.
§. 574.

In der Baukunst als der am strengsten objectiven und keinen natur-1.
schönen Stoff im engeren Sinne nachbildenden Kunstform können aus sämmt-
lichen Theilungsgründen §. 539. 540 keine selbständigen Zweige abgeleitet
werden. Eine solche Unter-Eintheilung kann sich hier nur auf die Zusammen-2.
stellung der architektonischen Thätigkeit, welche untergeordneten Zwecken, mit
derjenigen, welche dem absoluten Zwecke dient, also auf den in §. 556 ent-
haltenen Umriß ihrer Sphären gründen und dadurch wird das historische Mo-
ment §. 541 hier zur Grundlage eines für alle Zeit stehenden Unterschieds.
In den so gebildeten Zweigen erst erhalten jene andern Theilungsgründe nach-3.
träglich ihre Bedeutung und treten bemerkenswerthe Anklänge an die klar ge-
schiedenen Zweige anderer, reicherer Kunstformen hervor.

1. In §. 538 ist gezeigt, wie ein Unterschied, der in andern Kunst-
formen nur großartige Zweige begründet, in der bildenden Kunst selb-
ständige Künste bedingt: haben wir in der Poesie Epos, Lyrik, Drama,
so entsteht uns dagegen hier die Kunst-Gruppe: Baukunst, Bildnerkunst,
Malerei. Diese Theilung ruht, wie ebenfalls gezeigt ist, auf den Ver-
bindungen der Arten der Phantasie, welche in §. 404 aufgeführt sind:
bildende, empfindende, dichtende, und in eben diesen Verbindungen liegt
auch der erste Grund einer weiteren Theilung in untergeordnete Zweige
(§. 539). In den weiteren Künsten, die der Gruppe der bildenden an-
gehören, macht sich nun dieses Theilungsprinzip allerdings schon in be-
stimmterer Weise geltend, die Baukunst aber hat dadurch, daß sie der
Gruppe angehört, in welcher die Zweige als ganze, selbständige Künste
auftreten, so zu sagen ihren Theil dahin: sie ist Zweig und treibt nicht
selbst gleichwiegende, coordinirte Zweige. Der Grund davon liegt zu-
nächst in ihrer streng objectiven Natur: nur wo einmal das subjective
Leben in wärmer beseelender Kraft eindringt, können verschiedene Mischun-
gen des Objectiven und Subjectiven und die ihnen entsprechenden Ver-
bindungen zwischen den Arten der Phantasie (vergl. den Schlußsatz in
§. 539) hervortreten und klar geschiedene Zweige, deren jeder unbezwei-
felt dem rein ästhetischen Kunstgebiet angehört, begründen. Man bedenke
ferner, daß die Verbindungen zwischen den Arten der Phantasie wesentlich
durch die verschiedene Weise, wie sie sich zu dem Stoffe des Naturschönen,

b.
Die Zweige der Baukunſt.
§. 574.

In der Baukunſt als der am ſtrengſten objectiven und keinen natur-1.
ſchönen Stoff im engeren Sinne nachbildenden Kunſtform können aus ſämmt-
lichen Theilungsgründen §. 539. 540 keine ſelbſtändigen Zweige abgeleitet
werden. Eine ſolche Unter-Eintheilung kann ſich hier nur auf die Zuſammen-2.
ſtellung der architektoniſchen Thätigkeit, welche untergeordneten Zwecken, mit
derjenigen, welche dem abſoluten Zwecke dient, alſo auf den in §. 556 ent-
haltenen Umriß ihrer Sphären gründen und dadurch wird das hiſtoriſche Mo-
ment §. 541 hier zur Grundlage eines für alle Zeit ſtehenden Unterſchieds.
In den ſo gebildeten Zweigen erſt erhalten jene andern Theilungsgründe nach-3.
träglich ihre Bedeutung und treten bemerkenswerthe Anklänge an die klar ge-
ſchiedenen Zweige anderer, reicherer Kunſtformen hervor.

1. In §. 538 iſt gezeigt, wie ein Unterſchied, der in andern Kunſt-
formen nur großartige Zweige begründet, in der bildenden Kunſt ſelb-
ſtändige Künſte bedingt: haben wir in der Poeſie Epos, Lyrik, Drama,
ſo entſteht uns dagegen hier die Kunſt-Gruppe: Baukunſt, Bildnerkunſt,
Malerei. Dieſe Theilung ruht, wie ebenfalls gezeigt iſt, auf den Ver-
bindungen der Arten der Phantaſie, welche in §. 404 aufgeführt ſind:
bildende, empfindende, dichtende, und in eben dieſen Verbindungen liegt
auch der erſte Grund einer weiteren Theilung in untergeordnete Zweige
(§. 539). In den weiteren Künſten, die der Gruppe der bildenden an-
gehören, macht ſich nun dieſes Theilungsprinzip allerdings ſchon in be-
ſtimmterer Weiſe geltend, die Baukunſt aber hat dadurch, daß ſie der
Gruppe angehört, in welcher die Zweige als ganze, ſelbſtändige Künſte
auftreten, ſo zu ſagen ihren Theil dahin: ſie iſt Zweig und treibt nicht
ſelbſt gleichwiegende, coordinirte Zweige. Der Grund davon liegt zu-
nächſt in ihrer ſtreng objectiven Natur: nur wo einmal das ſubjective
Leben in wärmer beſeelender Kraft eindringt, können verſchiedene Miſchun-
gen des Objectiven und Subjectiven und die ihnen entſprechenden Ver-
bindungen zwiſchen den Arten der Phantaſie (vergl. den Schlußſatz in
§. 539) hervortreten und klar geſchiedene Zweige, deren jeder unbezwei-
felt dem rein äſthetiſchen Kunſtgebiet angehört, begründen. Man bedenke
ferner, daß die Verbindungen zwiſchen den Arten der Phantaſie weſentlich
durch die verſchiedene Weiſe, wie ſie ſich zu dem Stoffe des Naturſchönen,

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[251/0091] b. Die Zweige der Baukunſt. §. 574. In der Baukunſt als der am ſtrengſten objectiven und keinen natur- ſchönen Stoff im engeren Sinne nachbildenden Kunſtform können aus ſämmt- lichen Theilungsgründen §. 539. 540 keine ſelbſtändigen Zweige abgeleitet werden. Eine ſolche Unter-Eintheilung kann ſich hier nur auf die Zuſammen- ſtellung der architektoniſchen Thätigkeit, welche untergeordneten Zwecken, mit derjenigen, welche dem abſoluten Zwecke dient, alſo auf den in §. 556 ent- haltenen Umriß ihrer Sphären gründen und dadurch wird das hiſtoriſche Mo- ment §. 541 hier zur Grundlage eines für alle Zeit ſtehenden Unterſchieds. In den ſo gebildeten Zweigen erſt erhalten jene andern Theilungsgründe nach- träglich ihre Bedeutung und treten bemerkenswerthe Anklänge an die klar ge- ſchiedenen Zweige anderer, reicherer Kunſtformen hervor. 1. In §. 538 iſt gezeigt, wie ein Unterſchied, der in andern Kunſt- formen nur großartige Zweige begründet, in der bildenden Kunſt ſelb- ſtändige Künſte bedingt: haben wir in der Poeſie Epos, Lyrik, Drama, ſo entſteht uns dagegen hier die Kunſt-Gruppe: Baukunſt, Bildnerkunſt, Malerei. Dieſe Theilung ruht, wie ebenfalls gezeigt iſt, auf den Ver- bindungen der Arten der Phantaſie, welche in §. 404 aufgeführt ſind: bildende, empfindende, dichtende, und in eben dieſen Verbindungen liegt auch der erſte Grund einer weiteren Theilung in untergeordnete Zweige (§. 539). In den weiteren Künſten, die der Gruppe der bildenden an- gehören, macht ſich nun dieſes Theilungsprinzip allerdings ſchon in be- ſtimmterer Weiſe geltend, die Baukunſt aber hat dadurch, daß ſie der Gruppe angehört, in welcher die Zweige als ganze, ſelbſtändige Künſte auftreten, ſo zu ſagen ihren Theil dahin: ſie iſt Zweig und treibt nicht ſelbſt gleichwiegende, coordinirte Zweige. Der Grund davon liegt zu- nächſt in ihrer ſtreng objectiven Natur: nur wo einmal das ſubjective Leben in wärmer beſeelender Kraft eindringt, können verſchiedene Miſchun- gen des Objectiven und Subjectiven und die ihnen entſprechenden Ver- bindungen zwiſchen den Arten der Phantaſie (vergl. den Schlußſatz in §. 539) hervortreten und klar geſchiedene Zweige, deren jeder unbezwei- felt dem rein äſthetiſchen Kunſtgebiet angehört, begründen. Man bedenke ferner, daß die Verbindungen zwiſchen den Arten der Phantaſie weſentlich durch die verſchiedene Weiſe, wie ſie ſich zu dem Stoffe des Naturſchönen,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/91>, abgerufen am 04.10.2024.