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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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wird. Aber es ist mehr Helldunkel, als Farbe; es fehlt die Sattheit, die
Blutwärme, das kernhafte Fleisch, hiemit in diesem Wechselspiele des
Diesseits und Jenseits die wahre Gegenwart. Die Venetianer dagegen
vereinigen mit der magischen Welt der Brechungen zwischen Licht und
Dunkel diese reale Fülle, geben ihr die feste Kraft der Local-Farbe mit
ihren Accorden zum Gegenstand und Anhalt. Es ist wesentlich, daß die
Technik der Oelmalerei hier erst in ausgedehnter, vorherrschender Weise
geübt wird. Deutsche Einflüsse scheinen auch schon früher gewirkt zu haben.
Erst diese volle und ganze Farbenwelt dient denn auch der vollen Lebens-
stimmung, dem Geiste, dem das Leben Gegenwart ist, dem eine Welt
voll Schönheit, Charakter, Lust, reichen und gebildeten Genusses zu einem
Freudenfeste wird, dem die Erde in einer goldenen, aus ihrer innern
Säftefülle selbst entzündeten Gluth lacht und leuchtet -- "das Leben in
seiner vollsten Potenz, die Verklärung des irdischen Daseins ohne Nimbus
und ohne Opferblut" (Kugler, Handb. d. Gesch. d. Malerei B. 2 S. 37).
In der Farbe liegt jedoch -- auch abgesehen von der Beziehung auf die
Stoffwahl, auf die wir nachher näher eingehen -- noch eine weitere
Consequenz der Auffassung: es ist der indirecte Idealismus im Style.
Diese Seite bleibt auch in Venedig noch unentwickelt. Die reiche, vor-
nehme Lagunenstadt, im Vollgenusse der Schätze, der Aernte einer unter-
nehmungsvollen und kämpfereichen Vergangenheit, konnte nicht in die
Stimmung versetzen, das Häßliche, das Gebrochene, das Schlichte, selbst
das Dürftige durch Ausdruck, Handlung, Farbe zu verklären, dem ästheti-
schen Proletariate war in der Kunst der aristokratischen Republik die Thüre
verschlossen. Der allgemein plastische Trieb des italienischen Geistes zeigt
sich auch hier so stark, daß Adel und Schönheit der Form, der einzelnen
Gestalt durchaus als Hauptgesetz waltet und die Farbe es verschmäht,
an einen weniger würdigen Körper als ihren Träger sich zu heften.
Die Zeichnung wird mitunter vernachläßigt, aber sie bleibt fest bei diesem
Schönheitsgesetze. Die ungebrochene Schönheit der Form herrscht, obwohl
in weichlicherer Weise, auch noch bei Correggio. Das ist eine Plastik,
welche vor dem eigentlich modernen Eindringen des Malerischen und
seiner späteren Läuterung zur reineren Form sich behauptet: dieser
Classicismus gehört noch dem Abschluß des Mittelalters an und daher
sind uns auch die Stylformen ein Grund, diese ganze Gruppe in der
Geschichte der Malerei noch zum Mittelalter zu ziehen. Gesichert war
der venetianischen Hand diese Grundlage durch jene von Squarcione in
Padua gegründete Schule gründlicher Detailzeichner nach der Antike und
Anatomie, die ähnlich, wie ein Castagno, Polajuolo, Verocchio in Florenz,
über der Schärfe der Einzelform den harmonischen Fluß des Ganzen
verloren und deren Arbeit daher ebenfalls von einer höhern Stufe zur

wird. Aber es iſt mehr Helldunkel, als Farbe; es fehlt die Sattheit, die
Blutwärme, das kernhafte Fleiſch, hiemit in dieſem Wechſelſpiele des
Dieſſeits und Jenſeits die wahre Gegenwart. Die Venetianer dagegen
vereinigen mit der magiſchen Welt der Brechungen zwiſchen Licht und
Dunkel dieſe reale Fülle, geben ihr die feſte Kraft der Local-Farbe mit
ihren Accorden zum Gegenſtand und Anhalt. Es iſt weſentlich, daß die
Technik der Oelmalerei hier erſt in ausgedehnter, vorherrſchender Weiſe
geübt wird. Deutſche Einflüſſe ſcheinen auch ſchon früher gewirkt zu haben.
Erſt dieſe volle und ganze Farbenwelt dient denn auch der vollen Lebens-
ſtimmung, dem Geiſte, dem das Leben Gegenwart iſt, dem eine Welt
voll Schönheit, Charakter, Luſt, reichen und gebildeten Genuſſes zu einem
Freudenfeſte wird, dem die Erde in einer goldenen, aus ihrer innern
Säftefülle ſelbſt entzündeten Gluth lacht und leuchtet — „das Leben in
ſeiner vollſten Potenz, die Verklärung des irdiſchen Daſeins ohne Nimbus
und ohne Opferblut“ (Kugler, Handb. d. Geſch. d. Malerei B. 2 S. 37).
In der Farbe liegt jedoch — auch abgeſehen von der Beziehung auf die
Stoffwahl, auf die wir nachher näher eingehen — noch eine weitere
Conſequenz der Auffaſſung: es iſt der indirecte Idealiſmus im Style.
Dieſe Seite bleibt auch in Venedig noch unentwickelt. Die reiche, vor-
nehme Lagunenſtadt, im Vollgenuſſe der Schätze, der Aernte einer unter-
nehmungsvollen und kämpfereichen Vergangenheit, konnte nicht in die
Stimmung verſetzen, das Häßliche, das Gebrochene, das Schlichte, ſelbſt
das Dürftige durch Ausdruck, Handlung, Farbe zu verklären, dem äſtheti-
ſchen Proletariate war in der Kunſt der ariſtokratiſchen Republik die Thüre
verſchloſſen. Der allgemein plaſtiſche Trieb des italieniſchen Geiſtes zeigt
ſich auch hier ſo ſtark, daß Adel und Schönheit der Form, der einzelnen
Geſtalt durchaus als Hauptgeſetz waltet und die Farbe es verſchmäht,
an einen weniger würdigen Körper als ihren Träger ſich zu heften.
Die Zeichnung wird mitunter vernachläßigt, aber ſie bleibt feſt bei dieſem
Schönheitsgeſetze. Die ungebrochene Schönheit der Form herrſcht, obwohl
in weichlicherer Weiſe, auch noch bei Correggio. Das iſt eine Plaſtik,
welche vor dem eigentlich modernen Eindringen des Maleriſchen und
ſeiner ſpäteren Läuterung zur reineren Form ſich behauptet: dieſer
Claſſiciſmus gehört noch dem Abſchluß des Mittelalters an und daher
ſind uns auch die Stylformen ein Grund, dieſe ganze Gruppe in der
Geſchichte der Malerei noch zum Mittelalter zu ziehen. Geſichert war
der venetianiſchen Hand dieſe Grundlage durch jene von Squarcione in
Padua gegründete Schule gründlicher Detailzeichner nach der Antike und
Anatomie, die ähnlich, wie ein Caſtagno, Polajuolo, Verocchio in Florenz,
über der Schärfe der Einzelform den harmoniſchen Fluß des Ganzen
verloren und deren Arbeit daher ebenfalls von einer höhern Stufe zur

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[720/0228] wird. Aber es iſt mehr Helldunkel, als Farbe; es fehlt die Sattheit, die Blutwärme, das kernhafte Fleiſch, hiemit in dieſem Wechſelſpiele des Dieſſeits und Jenſeits die wahre Gegenwart. Die Venetianer dagegen vereinigen mit der magiſchen Welt der Brechungen zwiſchen Licht und Dunkel dieſe reale Fülle, geben ihr die feſte Kraft der Local-Farbe mit ihren Accorden zum Gegenſtand und Anhalt. Es iſt weſentlich, daß die Technik der Oelmalerei hier erſt in ausgedehnter, vorherrſchender Weiſe geübt wird. Deutſche Einflüſſe ſcheinen auch ſchon früher gewirkt zu haben. Erſt dieſe volle und ganze Farbenwelt dient denn auch der vollen Lebens- ſtimmung, dem Geiſte, dem das Leben Gegenwart iſt, dem eine Welt voll Schönheit, Charakter, Luſt, reichen und gebildeten Genuſſes zu einem Freudenfeſte wird, dem die Erde in einer goldenen, aus ihrer innern Säftefülle ſelbſt entzündeten Gluth lacht und leuchtet — „das Leben in ſeiner vollſten Potenz, die Verklärung des irdiſchen Daſeins ohne Nimbus und ohne Opferblut“ (Kugler, Handb. d. Geſch. d. Malerei B. 2 S. 37). In der Farbe liegt jedoch — auch abgeſehen von der Beziehung auf die Stoffwahl, auf die wir nachher näher eingehen — noch eine weitere Conſequenz der Auffaſſung: es iſt der indirecte Idealiſmus im Style. Dieſe Seite bleibt auch in Venedig noch unentwickelt. Die reiche, vor- nehme Lagunenſtadt, im Vollgenuſſe der Schätze, der Aernte einer unter- nehmungsvollen und kämpfereichen Vergangenheit, konnte nicht in die Stimmung verſetzen, das Häßliche, das Gebrochene, das Schlichte, ſelbſt das Dürftige durch Ausdruck, Handlung, Farbe zu verklären, dem äſtheti- ſchen Proletariate war in der Kunſt der ariſtokratiſchen Republik die Thüre verſchloſſen. Der allgemein plaſtiſche Trieb des italieniſchen Geiſtes zeigt ſich auch hier ſo ſtark, daß Adel und Schönheit der Form, der einzelnen Geſtalt durchaus als Hauptgeſetz waltet und die Farbe es verſchmäht, an einen weniger würdigen Körper als ihren Träger ſich zu heften. Die Zeichnung wird mitunter vernachläßigt, aber ſie bleibt feſt bei dieſem Schönheitsgeſetze. Die ungebrochene Schönheit der Form herrſcht, obwohl in weichlicherer Weiſe, auch noch bei Correggio. Das iſt eine Plaſtik, welche vor dem eigentlich modernen Eindringen des Maleriſchen und ſeiner ſpäteren Läuterung zur reineren Form ſich behauptet: dieſer Claſſiciſmus gehört noch dem Abſchluß des Mittelalters an und daher ſind uns auch die Stylformen ein Grund, dieſe ganze Gruppe in der Geſchichte der Malerei noch zum Mittelalter zu ziehen. Geſichert war der venetianiſchen Hand dieſe Grundlage durch jene von Squarcione in Padua gegründete Schule gründlicher Detailzeichner nach der Antike und Anatomie, die ähnlich, wie ein Caſtagno, Polajuolo, Verocchio in Florenz, über der Schärfe der Einzelform den harmoniſchen Fluß des Ganzen verloren und deren Arbeit daher ebenfalls von einer höhern Stufe zur

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/228>, abgerufen am 29.04.2024.