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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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von ihm begleitet, wie sie es begleiten, wirken bestimmend und bereichernd auf
es zurück und erlöschen wieder in ihm. Vermöge dieser seiner Stellung scheint
auch die gegenständliche Welt beständig an der Schwelle des Gefühls bereit zu
stehen und klingt in ihm eine stete Möglichkeit an, zu objectiver Bestimmtheit,
zu wirklicher Aussage über den Gegenstand seiner Erregungen überzugehen.

Nach dem vorh. §. erscheint das Gefühl zunächst als Mitte zwischen
dem Bewußtsein und dem Selbstbewußtsein; jenes versinkt in ihm als
der tiefen Aneignung der Welt, worin die Antithese zwischen Subject und
Object schwindet; dieses, obwohl nach anderer Seite ärmer, als das Gefühl,
tritt aus ihm hervor als Ausgangspunct der höchsten geistigen Thätigkeiten,
die auf klarer Scheidung beruhen. Das Bewußtsein muß, wie wir gesehen,
zu diesen letzteren treten, um die objective Welt zu erfassen, als Form an
sich aber steht es noch auf der sinnlichen Kategorie des Ausschließens, da
es Subject und Object nicht wahrhaft in Einheit setzt, sondern nur ver-
knüpft. Daher liegt an der Grenze des Sinnlichen zunächst das Bewußt-
sein: der Aufgang des geistigen Tags im Dunkel der blos sinnlich empfin-
denden Seele, der aber noch nicht die innere Einheit aller Dinge, sondern
nur ihre Grenzen beleuchtet. Vermöge dieses seines Mangels können wir
aber nun das Bewußtsein ohne logischen Widerspruch mit der Sinnlichkeit
zusammenfassen und an das Ende dieses Ganzen wie an den Anfang des
reinen, selbstbewußten geistigen Tages das Gefühl stellen. Die Sinn-
lichkeit läuft in ihm aus, der Geist taucht aus ihm auf; die Raumwelt
mit den Trennungen ihrer Grenzen geht nieder in seiner Nacht und ferne
dämmert der neue Tag des reinen Geistes. Das eigentlich sinnliche Ver-
halten haben wir vom Gefühl als Prinzip einer Kunstform ganz ausge-
schlossen, aber es führen unendliche, unsichtbare Leiter zu ihm hinüber.
Wir stehen vor dem dunkeln Geheimniß des Nervenlebens, das nach der
einen Seite der Ausläufer des Sinnenlebens ist, der dessen concentrirteste
Reize nach innen wirft, und auf der andern der Träger jeder reinsten
geistigen Thätigkeit. Hier handelt es sich daher von einer innerlich reflec-
tirten und darum nur um so heißeren Sinnlichkeit, welche mit wunderbaren
Geistesahnungen sich so nahe zusammenfindet, daß beide jeden Moment
ineinander umschlagen können. -- Blicken wir nun vorwärts nach der Welt
des klaren, selbstbewußten, im Denken und Wollen die Welt zur Einheit
durchdringenden Geistes, so kann zunächst die Bestimmung, daß das Gefühl
der dunkle Schooß sei, woraus sie auftaucht, nicht so verstanden werden,
als könne nicht von ihm auch in jedes andere, niedrigere, auf der Stufe
des bloßen Bewußtseins verbleibende Verhalten übergegangen werden; die
Psychologie hat den geistigen Formen die Stelle anzuweisen, die sie ihrem
reinen Begriffe nach einnahmen, sie darf aber darüber nicht vergessen, daß

von ihm begleitet, wie ſie es begleiten, wirken beſtimmend und bereichernd auf
es zurück und erlöſchen wieder in ihm. Vermöge dieſer ſeiner Stellung ſcheint
auch die gegenſtändliche Welt beſtändig an der Schwelle des Gefühls bereit zu
ſtehen und klingt in ihm eine ſtete Möglichkeit an, zu objectiver Beſtimmtheit,
zu wirklicher Ausſage über den Gegenſtand ſeiner Erregungen überzugehen.

Nach dem vorh. §. erſcheint das Gefühl zunächſt als Mitte zwiſchen
dem Bewußtſein und dem Selbſtbewußtſein; jenes verſinkt in ihm als
der tiefen Aneignung der Welt, worin die Antitheſe zwiſchen Subject und
Object ſchwindet; dieſes, obwohl nach anderer Seite ärmer, als das Gefühl,
tritt aus ihm hervor als Ausgangspunct der höchſten geiſtigen Thätigkeiten,
die auf klarer Scheidung beruhen. Das Bewußtſein muß, wie wir geſehen,
zu dieſen letzteren treten, um die objective Welt zu erfaſſen, als Form an
ſich aber ſteht es noch auf der ſinnlichen Kategorie des Ausſchließens, da
es Subject und Object nicht wahrhaft in Einheit ſetzt, ſondern nur ver-
knüpft. Daher liegt an der Grenze des Sinnlichen zunächſt das Bewußt-
ſein: der Aufgang des geiſtigen Tags im Dunkel der blos ſinnlich empfin-
denden Seele, der aber noch nicht die innere Einheit aller Dinge, ſondern
nur ihre Grenzen beleuchtet. Vermöge dieſes ſeines Mangels können wir
aber nun das Bewußtſein ohne logiſchen Widerſpruch mit der Sinnlichkeit
zuſammenfaſſen und an das Ende dieſes Ganzen wie an den Anfang des
reinen, ſelbſtbewußten geiſtigen Tages das Gefühl ſtellen. Die Sinn-
lichkeit läuft in ihm aus, der Geiſt taucht aus ihm auf; die Raumwelt
mit den Trennungen ihrer Grenzen geht nieder in ſeiner Nacht und ferne
dämmert der neue Tag des reinen Geiſtes. Das eigentlich ſinnliche Ver-
halten haben wir vom Gefühl als Prinzip einer Kunſtform ganz ausge-
ſchloſſen, aber es führen unendliche, unſichtbare Leiter zu ihm hinüber.
Wir ſtehen vor dem dunkeln Geheimniß des Nervenlebens, das nach der
einen Seite der Ausläufer des Sinnenlebens iſt, der deſſen concentrirteſte
Reize nach innen wirft, und auf der andern der Träger jeder reinſten
geiſtigen Thätigkeit. Hier handelt es ſich daher von einer innerlich reflec-
tirten und darum nur um ſo heißeren Sinnlichkeit, welche mit wunderbaren
Geiſtesahnungen ſich ſo nahe zuſammenfindet, daß beide jeden Moment
ineinander umſchlagen können. — Blicken wir nun vorwärts nach der Welt
des klaren, ſelbſtbewußten, im Denken und Wollen die Welt zur Einheit
durchdringenden Geiſtes, ſo kann zunächſt die Beſtimmung, daß das Gefühl
der dunkle Schooß ſei, woraus ſie auftaucht, nicht ſo verſtanden werden,
als könne nicht von ihm auch in jedes andere, niedrigere, auf der Stufe
des bloßen Bewußtſeins verbleibende Verhalten übergegangen werden; die
Pſychologie hat den geiſtigen Formen die Stelle anzuweiſen, die ſie ihrem
reinen Begriffe nach einnahmen, ſie darf aber darüber nicht vergeſſen, daß

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[787/0025] von ihm begleitet, wie ſie es begleiten, wirken beſtimmend und bereichernd auf es zurück und erlöſchen wieder in ihm. Vermöge dieſer ſeiner Stellung ſcheint auch die gegenſtändliche Welt beſtändig an der Schwelle des Gefühls bereit zu ſtehen und klingt in ihm eine ſtete Möglichkeit an, zu objectiver Beſtimmtheit, zu wirklicher Ausſage über den Gegenſtand ſeiner Erregungen überzugehen. Nach dem vorh. §. erſcheint das Gefühl zunächſt als Mitte zwiſchen dem Bewußtſein und dem Selbſtbewußtſein; jenes verſinkt in ihm als der tiefen Aneignung der Welt, worin die Antitheſe zwiſchen Subject und Object ſchwindet; dieſes, obwohl nach anderer Seite ärmer, als das Gefühl, tritt aus ihm hervor als Ausgangspunct der höchſten geiſtigen Thätigkeiten, die auf klarer Scheidung beruhen. Das Bewußtſein muß, wie wir geſehen, zu dieſen letzteren treten, um die objective Welt zu erfaſſen, als Form an ſich aber ſteht es noch auf der ſinnlichen Kategorie des Ausſchließens, da es Subject und Object nicht wahrhaft in Einheit ſetzt, ſondern nur ver- knüpft. Daher liegt an der Grenze des Sinnlichen zunächſt das Bewußt- ſein: der Aufgang des geiſtigen Tags im Dunkel der blos ſinnlich empfin- denden Seele, der aber noch nicht die innere Einheit aller Dinge, ſondern nur ihre Grenzen beleuchtet. Vermöge dieſes ſeines Mangels können wir aber nun das Bewußtſein ohne logiſchen Widerſpruch mit der Sinnlichkeit zuſammenfaſſen und an das Ende dieſes Ganzen wie an den Anfang des reinen, ſelbſtbewußten geiſtigen Tages das Gefühl ſtellen. Die Sinn- lichkeit läuft in ihm aus, der Geiſt taucht aus ihm auf; die Raumwelt mit den Trennungen ihrer Grenzen geht nieder in ſeiner Nacht und ferne dämmert der neue Tag des reinen Geiſtes. Das eigentlich ſinnliche Ver- halten haben wir vom Gefühl als Prinzip einer Kunſtform ganz ausge- ſchloſſen, aber es führen unendliche, unſichtbare Leiter zu ihm hinüber. Wir ſtehen vor dem dunkeln Geheimniß des Nervenlebens, das nach der einen Seite der Ausläufer des Sinnenlebens iſt, der deſſen concentrirteſte Reize nach innen wirft, und auf der andern der Träger jeder reinſten geiſtigen Thätigkeit. Hier handelt es ſich daher von einer innerlich reflec- tirten und darum nur um ſo heißeren Sinnlichkeit, welche mit wunderbaren Geiſtesahnungen ſich ſo nahe zuſammenfindet, daß beide jeden Moment ineinander umſchlagen können. — Blicken wir nun vorwärts nach der Welt des klaren, ſelbſtbewußten, im Denken und Wollen die Welt zur Einheit durchdringenden Geiſtes, ſo kann zunächſt die Beſtimmung, daß das Gefühl der dunkle Schooß ſei, woraus ſie auftaucht, nicht ſo verſtanden werden, als könne nicht von ihm auch in jedes andere, niedrigere, auf der Stufe des bloßen Bewußtſeins verbleibende Verhalten übergegangen werden; die Pſychologie hat den geiſtigen Formen die Stelle anzuweiſen, die ſie ihrem reinen Begriffe nach einnahmen, ſie darf aber darüber nicht vergeſſen, daß

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 787. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/25>, abgerufen am 29.03.2024.