Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Größe gewesen sein! Man staunte, man rieth ver¬
gebens, denn man wußte nichts mehr vom Mammuth.
Nun tauchten mancherlei Knochen auf von nicht so
über alles bekannte Maß großen, doch sichtbar auch
sehr ansehnlichen Thieren, die man durchaus nirgends
hinzuthun wußte. Unsere Pfahlbürger waren so weit
ganz exakte Osteologen, daß sie genau bestimmen konnten,
ob ein Theil eines Knochengerüstes einem der ihnen
bekannten Thiere angehörte; das Verarbeiten des Beins
zu so mancherlei Geräthen und das beliebte Spalten,
um die Kraft- und Leckerspeise des Marks zu gewinnen,
hatte ihnen eine große Sicherheit des Blicks verliehen.
Aber wer noch kein Nashorn, noch keinen Löwen gesehen
und geschlachtet hatte, wie sollte er das Ganze ihres thie¬
rischen Baus sich denken, wie ihre Gattung und Art
feststellen können, wenn er Reste ihrer Knochen fand?

Es war eine willkommene Abspannung von den
Anstrengungen des Staunens, des vergeblichen Rathens,
Sinnens, als man wieder zu Lagen gelangte, woraus
Geläufiges, Wohlbekanntes an's Tageslicht trat. Auf
Getreidebau hatten schon die plumpen Kornquetscher
gewiesen, und nun: siehe da! ein Brodlaib, freilich
nicht so gefällig rund, wie Sigune sie zu kneten wußte.
Und endlich: "Donnerwetter! komm' her, Gwalchmai!"
rief Massikomur seinem Nachbar zu, der soeben auch
den kürzeren Weg über den vertrockneten Seegrund zu
seinem Acker gieng; "sieh' her!" Gwalchmai eilt herbei

Vischer, Auch Einer. I. 12

Größe geweſen ſein! Man ſtaunte, man rieth ver¬
gebens, denn man wußte nichts mehr vom Mammuth.
Nun tauchten mancherlei Knochen auf von nicht ſo
über alles bekannte Maß großen, doch ſichtbar auch
ſehr anſehnlichen Thieren, die man durchaus nirgends
hinzuthun wußte. Unſere Pfahlbürger waren ſo weit
ganz exakte Oſteologen, daß ſie genau beſtimmen konnten,
ob ein Theil eines Knochengerüſtes einem der ihnen
bekannten Thiere angehörte; das Verarbeiten des Beins
zu ſo mancherlei Geräthen und das beliebte Spalten,
um die Kraft- und Leckerſpeiſe des Marks zu gewinnen,
hatte ihnen eine große Sicherheit des Blicks verliehen.
Aber wer noch kein Nashorn, noch keinen Löwen geſehen
und geſchlachtet hatte, wie ſollte er das Ganze ihres thie¬
riſchen Baus ſich denken, wie ihre Gattung und Art
feſtſtellen können, wenn er Reſte ihrer Knochen fand?

Es war eine willkommene Abſpannung von den
Anſtrengungen des Staunens, des vergeblichen Rathens,
Sinnens, als man wieder zu Lagen gelangte, woraus
Geläufiges, Wohlbekanntes an's Tageslicht trat. Auf
Getreidebau hatten ſchon die plumpen Kornquetſcher
gewieſen, und nun: ſiehe da! ein Brodlaib, freilich
nicht ſo gefällig rund, wie Sigune ſie zu kneten wußte.
Und endlich: „Donnerwetter! komm' her, Gwalchmai!“
rief Maſſikomur ſeinem Nachbar zu, der ſoeben auch
den kürzeren Weg über den vertrockneten Seegrund zu
ſeinem Acker gieng; „ſieh' her!“ Gwalchmai eilt herbei

Viſcher, Auch Einer. I. 12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0190" n="177"/>
Größe gewe&#x017F;en &#x017F;ein! Man &#x017F;taunte, man rieth ver¬<lb/>
gebens, denn man wußte nichts mehr vom Mammuth.<lb/>
Nun tauchten mancherlei Knochen auf von nicht &#x017F;o<lb/>
über alles bekannte Maß großen, doch &#x017F;ichtbar auch<lb/>
&#x017F;ehr an&#x017F;ehnlichen Thieren, die man durchaus nirgends<lb/>
hinzuthun wußte. Un&#x017F;ere Pfahlbürger waren &#x017F;o weit<lb/>
ganz exakte O&#x017F;teologen, daß &#x017F;ie genau be&#x017F;timmen konnten,<lb/>
ob ein Theil eines Knochengerü&#x017F;tes einem der ihnen<lb/>
bekannten Thiere angehörte; das Verarbeiten des Beins<lb/>
zu &#x017F;o mancherlei Geräthen und das beliebte Spalten,<lb/>
um die Kraft- und Lecker&#x017F;pei&#x017F;e des Marks zu gewinnen,<lb/>
hatte ihnen eine große Sicherheit des Blicks verliehen.<lb/>
Aber wer noch kein Nashorn, noch keinen Löwen ge&#x017F;ehen<lb/>
und ge&#x017F;chlachtet hatte, wie &#x017F;ollte er das Ganze ihres thie¬<lb/>
ri&#x017F;chen Baus &#x017F;ich denken, wie ihre Gattung und Art<lb/>
fe&#x017F;t&#x017F;tellen können, wenn er Re&#x017F;te ihrer Knochen fand?</p><lb/>
        <p>Es war eine willkommene Ab&#x017F;pannung von den<lb/>
An&#x017F;trengungen des Staunens, des vergeblichen Rathens,<lb/>
Sinnens, als man wieder zu Lagen gelangte, woraus<lb/>
Geläufiges, Wohlbekanntes an's Tageslicht trat. Auf<lb/>
Getreidebau hatten &#x017F;chon die plumpen Kornquet&#x017F;cher<lb/>
gewie&#x017F;en, und nun: &#x017F;iehe da! ein Brodlaib, freilich<lb/>
nicht &#x017F;o gefällig rund, wie Sigune &#x017F;ie zu kneten wußte.<lb/>
Und endlich: &#x201E;Donnerwetter! komm' her, Gwalchmai!&#x201C;<lb/>
rief Ma&#x017F;&#x017F;ikomur &#x017F;einem Nachbar zu, der &#x017F;oeben auch<lb/>
den kürzeren Weg über den vertrockneten Seegrund zu<lb/>
&#x017F;einem Acker gieng; &#x201E;&#x017F;ieh' her!&#x201C; Gwalchmai eilt herbei<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Vi&#x017F;cher</hi>, Auch Einer. <hi rendition="#aq">I</hi>. 12<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0190] Größe geweſen ſein! Man ſtaunte, man rieth ver¬ gebens, denn man wußte nichts mehr vom Mammuth. Nun tauchten mancherlei Knochen auf von nicht ſo über alles bekannte Maß großen, doch ſichtbar auch ſehr anſehnlichen Thieren, die man durchaus nirgends hinzuthun wußte. Unſere Pfahlbürger waren ſo weit ganz exakte Oſteologen, daß ſie genau beſtimmen konnten, ob ein Theil eines Knochengerüſtes einem der ihnen bekannten Thiere angehörte; das Verarbeiten des Beins zu ſo mancherlei Geräthen und das beliebte Spalten, um die Kraft- und Leckerſpeiſe des Marks zu gewinnen, hatte ihnen eine große Sicherheit des Blicks verliehen. Aber wer noch kein Nashorn, noch keinen Löwen geſehen und geſchlachtet hatte, wie ſollte er das Ganze ihres thie¬ riſchen Baus ſich denken, wie ihre Gattung und Art feſtſtellen können, wenn er Reſte ihrer Knochen fand? Es war eine willkommene Abſpannung von den Anſtrengungen des Staunens, des vergeblichen Rathens, Sinnens, als man wieder zu Lagen gelangte, woraus Geläufiges, Wohlbekanntes an's Tageslicht trat. Auf Getreidebau hatten ſchon die plumpen Kornquetſcher gewieſen, und nun: ſiehe da! ein Brodlaib, freilich nicht ſo gefällig rund, wie Sigune ſie zu kneten wußte. Und endlich: „Donnerwetter! komm' her, Gwalchmai!“ rief Maſſikomur ſeinem Nachbar zu, der ſoeben auch den kürzeren Weg über den vertrockneten Seegrund zu ſeinem Acker gieng; „ſieh' her!“ Gwalchmai eilt herbei Viſcher, Auch Einer. I. 12

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/190
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/190>, abgerufen am 07.05.2024.