Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

bäschen. Es war der zierlichen Maid etwas mehr im
Herzen als Verwandtenliebe; sie sah, wie Alpin nach
dem Paare hinstarrte. Ihr gab der Teufel ein hölli¬
sches Wort ein: "Du, Alpin, weißt, was Sigune heut
im Herausgehen zur Nachbarin Daura gesagt hat?"
-- "Will's nicht wissen," aber es war ihm gut anzu¬
sehen, daß er's doch wissen wollte. "Der Arthur hat
gar so ein schönes, liebes Genick; es steigt so schön
auf und das dunkle Lockenhaar schwebt gar so schön
wie angeflogen daran hinauf." -- Sie zupfte, wäh¬
rend sie das sagte, schelmisch an dem Kragen von
Schwanenpelz, der über ihrer feinen Brust und Schulter
lag. Die schlimme Kröte! In Alpin zischte es auf,
als wäre ihm siedender Schwefel aus der Glutesse
des Höllenpfuhls in die Seele gespritzt. Er ward sich
plötzlich und zum ersten Mal einer äußerst unvor¬
theilhaften Partie in seiner Erscheinung bewußt. Er
trug wie die andern Bursche des Pfahldorfs, was
man im heutigen Süddeutschland einen Hausknecht
oder Johann nennt, das heißt einen Kranz von länge¬
ren Locken im Nacken, während die Haupthaare kurz
geschnitten, oder vielmehr, da es damals nur Scheeren
von Bein gab, grausamlich abgezwickt waren. Er
griff sich mit der Hand da hinten hin; ihm blitzte
Selbsterkenntniß auf, ein entsetzliches Licht. In Ar¬
thur's Heimat schnitt man sich die Haare aus dem
Nacken; dort wußte man, wie das die Linie der Ge¬

bäschen. Es war der zierlichen Maid etwas mehr im
Herzen als Verwandtenliebe; ſie ſah, wie Alpin nach
dem Paare hinſtarrte. Ihr gab der Teufel ein hölli¬
ſches Wort ein: „Du, Alpin, weißt, was Sigune heut
im Herausgehen zur Nachbarin Daura geſagt hat?“
— „Will's nicht wiſſen,“ aber es war ihm gut anzu¬
ſehen, daß er's doch wiſſen wollte. „Der Arthur hat
gar ſo ein ſchönes, liebes Genick; es ſteigt ſo ſchön
auf und das dunkle Lockenhaar ſchwebt gar ſo ſchön
wie angeflogen daran hinauf.“ — Sie zupfte, wäh¬
rend ſie das ſagte, ſchelmiſch an dem Kragen von
Schwanenpelz, der über ihrer feinen Bruſt und Schulter
lag. Die ſchlimme Kröte! In Alpin ziſchte es auf,
als wäre ihm ſiedender Schwefel aus der Gluteſſe
des Höllenpfuhls in die Seele geſpritzt. Er ward ſich
plötzlich und zum erſten Mal einer äußerſt unvor¬
theilhaften Partie in ſeiner Erſcheinung bewußt. Er
trug wie die andern Burſche des Pfahldorfs, was
man im heutigen Süddeutſchland einen Hausknecht
oder Johann nennt, das heißt einen Kranz von länge¬
ren Locken im Nacken, während die Haupthaare kurz
geſchnitten, oder vielmehr, da es damals nur Scheeren
von Bein gab, grauſamlich abgezwickt waren. Er
griff ſich mit der Hand da hinten hin; ihm blitzte
Selbſterkenntniß auf, ein entſetzliches Licht. In Ar¬
thur's Heimat ſchnitt man ſich die Haare aus dem
Nacken; dort wußte man, wie das die Linie der Ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0210" n="197"/>
bäschen. Es war der zierlichen Maid etwas mehr im<lb/>
Herzen als Verwandtenliebe; &#x017F;ie &#x017F;ah, wie Alpin nach<lb/>
dem Paare hin&#x017F;tarrte. Ihr gab der Teufel ein hölli¬<lb/>
&#x017F;ches Wort ein: &#x201E;Du, Alpin, weißt, was Sigune heut<lb/>
im Herausgehen zur Nachbarin Daura ge&#x017F;agt hat?&#x201C;<lb/>
&#x2014; &#x201E;Will's nicht wi&#x017F;&#x017F;en,&#x201C; aber es war ihm gut anzu¬<lb/>
&#x017F;ehen, daß er's doch wi&#x017F;&#x017F;en wollte. &#x201E;Der Arthur hat<lb/>
gar &#x017F;o ein &#x017F;chönes, liebes Genick; es &#x017F;teigt &#x017F;o &#x017F;chön<lb/>
auf und das dunkle Lockenhaar &#x017F;chwebt gar &#x017F;o &#x017F;chön<lb/>
wie angeflogen daran hinauf.&#x201C; &#x2014; Sie zupfte, wäh¬<lb/>
rend &#x017F;ie das &#x017F;agte, &#x017F;chelmi&#x017F;ch an dem Kragen von<lb/>
Schwanenpelz, der über ihrer feinen Bru&#x017F;t und Schulter<lb/>
lag. Die &#x017F;chlimme Kröte! In Alpin zi&#x017F;chte es auf,<lb/>
als wäre ihm &#x017F;iedender Schwefel aus der Glute&#x017F;&#x017F;e<lb/>
des Höllenpfuhls in die Seele ge&#x017F;pritzt. Er ward &#x017F;ich<lb/>
plötzlich und zum er&#x017F;ten Mal einer äußer&#x017F;t unvor¬<lb/>
theilhaften Partie in &#x017F;einer Er&#x017F;cheinung bewußt. Er<lb/>
trug wie die andern Bur&#x017F;che des Pfahldorfs, was<lb/>
man im heutigen Süddeut&#x017F;chland einen Hausknecht<lb/>
oder Johann nennt, das heißt einen Kranz von länge¬<lb/>
ren Locken im Nacken, während die Haupthaare kurz<lb/>
ge&#x017F;chnitten, oder vielmehr, da es damals nur Scheeren<lb/>
von Bein gab, grau&#x017F;amlich abgezwickt waren. Er<lb/>
griff &#x017F;ich mit der Hand da hinten hin; ihm blitzte<lb/>
Selb&#x017F;terkenntniß auf, ein ent&#x017F;etzliches Licht. In Ar¬<lb/>
thur's Heimat &#x017F;chnitt man &#x017F;ich die Haare aus dem<lb/>
Nacken; dort wußte man, wie das die Linie der Ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0210] bäschen. Es war der zierlichen Maid etwas mehr im Herzen als Verwandtenliebe; ſie ſah, wie Alpin nach dem Paare hinſtarrte. Ihr gab der Teufel ein hölli¬ ſches Wort ein: „Du, Alpin, weißt, was Sigune heut im Herausgehen zur Nachbarin Daura geſagt hat?“ — „Will's nicht wiſſen,“ aber es war ihm gut anzu¬ ſehen, daß er's doch wiſſen wollte. „Der Arthur hat gar ſo ein ſchönes, liebes Genick; es ſteigt ſo ſchön auf und das dunkle Lockenhaar ſchwebt gar ſo ſchön wie angeflogen daran hinauf.“ — Sie zupfte, wäh¬ rend ſie das ſagte, ſchelmiſch an dem Kragen von Schwanenpelz, der über ihrer feinen Bruſt und Schulter lag. Die ſchlimme Kröte! In Alpin ziſchte es auf, als wäre ihm ſiedender Schwefel aus der Gluteſſe des Höllenpfuhls in die Seele geſpritzt. Er ward ſich plötzlich und zum erſten Mal einer äußerſt unvor¬ theilhaften Partie in ſeiner Erſcheinung bewußt. Er trug wie die andern Burſche des Pfahldorfs, was man im heutigen Süddeutſchland einen Hausknecht oder Johann nennt, das heißt einen Kranz von länge¬ ren Locken im Nacken, während die Haupthaare kurz geſchnitten, oder vielmehr, da es damals nur Scheeren von Bein gab, grauſamlich abgezwickt waren. Er griff ſich mit der Hand da hinten hin; ihm blitzte Selbſterkenntniß auf, ein entſetzliches Licht. In Ar¬ thur's Heimat ſchnitt man ſich die Haare aus dem Nacken; dort wußte man, wie das die Linie der Ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/210
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/210>, abgerufen am 29.04.2024.