Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Vollendung der Ceremonien Alles nach dem Dorfe
zurückgieng.

Arthur hatte dem zweiten Theile der Handlung keine
Aufmerksamkeit zugewendet, dem ersten aber von An¬
fang an mit gehaltenem Ernste, zugleich mit einem Aus¬
druck von Trauer zugesehen und bei den Fragen und
Antworten finster den Kopf geschüttelt. Wir haben
längst gesagt, daß er das Alles kennt; er kennt es
und doch ist es ihm bei diesem Anblick wieder neu
geworden und drückt ihm sichtbar die Seele nieder.
Zu spotten über Dinge, die Andern heilig scheinen,
war nicht seine Art. Einen gewissen Blick, den ihm
der Druide zusandte an jenen Stellen der Fragen, wo
von schweren Fällen, verstockten Leugnern und Menschen¬
opfer die Rede war, hatte er in seiner Unbefangenheit
gar nicht bemerkt. Nun aber kam ein Moment, wo
er sich des Lächelns nicht ganz erwehren konnte. Als
die singenden Kinder gleichzeitig und anhaltend alle
den Mund weit öffneten, fiel ihm auf, daß er in
lauter blauschwarze Höhlen sah. Es war die Heidel¬
beerenzeit, die Kinder sämmtlich hatten sich's Vormit¬
tags im Walde schmecken lassen, und Nachmittags die
Eltern wohl daran gedacht, sie hübsch herauszuputzen,
aber nicht daran, daß sich die Kleinen den Mund aus¬
spülen sollten. Das Kosmetische war eben in dieser
Richtung sehr wenig ausgebildet. Die Erscheinung
fiel auch keinem Menschen außer Arthur auf: um so

Vollendung der Ceremonien Alles nach dem Dorfe
zurückgieng.

Arthur hatte dem zweiten Theile der Handlung keine
Aufmerkſamkeit zugewendet, dem erſten aber von An¬
fang an mit gehaltenem Ernſte, zugleich mit einem Aus¬
druck von Trauer zugeſehen und bei den Fragen und
Antworten finſter den Kopf geſchüttelt. Wir haben
längſt geſagt, daß er das Alles kennt; er kennt es
und doch iſt es ihm bei dieſem Anblick wieder neu
geworden und drückt ihm ſichtbar die Seele nieder.
Zu ſpotten über Dinge, die Andern heilig ſcheinen,
war nicht ſeine Art. Einen gewiſſen Blick, den ihm
der Druide zuſandte an jenen Stellen der Fragen, wo
von ſchweren Fällen, verſtockten Leugnern und Menſchen¬
opfer die Rede war, hatte er in ſeiner Unbefangenheit
gar nicht bemerkt. Nun aber kam ein Moment, wo
er ſich des Lächelns nicht ganz erwehren konnte. Als
die ſingenden Kinder gleichzeitig und anhaltend alle
den Mund weit öffneten, fiel ihm auf, daß er in
lauter blauſchwarze Höhlen ſah. Es war die Heidel¬
beerenzeit, die Kinder ſämmtlich hatten ſich's Vormit¬
tags im Walde ſchmecken laſſen, und Nachmittags die
Eltern wohl daran gedacht, ſie hübſch herauszuputzen,
aber nicht daran, daß ſich die Kleinen den Mund aus¬
ſpülen ſollten. Das Kosmetiſche war eben in dieſer
Richtung ſehr wenig ausgebildet. Die Erſcheinung
fiel auch keinem Menſchen außer Arthur auf: um ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0228" n="215"/>
Vollendung der Ceremonien Alles nach dem Dorfe<lb/>
zurückgieng.</p><lb/>
        <p>Arthur hatte dem zweiten Theile der Handlung keine<lb/>
Aufmerk&#x017F;amkeit zugewendet, dem er&#x017F;ten aber von An¬<lb/>
fang an mit gehaltenem Ern&#x017F;te, zugleich mit einem Aus¬<lb/>
druck von Trauer zuge&#x017F;ehen und bei den Fragen und<lb/>
Antworten fin&#x017F;ter den Kopf ge&#x017F;chüttelt. Wir haben<lb/>
läng&#x017F;t ge&#x017F;agt, daß er das Alles kennt; er kennt es<lb/>
und doch i&#x017F;t es ihm bei die&#x017F;em Anblick wieder neu<lb/>
geworden und drückt ihm &#x017F;ichtbar die Seele nieder.<lb/>
Zu &#x017F;potten über Dinge, die Andern heilig &#x017F;cheinen,<lb/>
war nicht &#x017F;eine Art. Einen gewi&#x017F;&#x017F;en Blick, den ihm<lb/>
der Druide zu&#x017F;andte an jenen Stellen der Fragen, wo<lb/>
von &#x017F;chweren Fällen, ver&#x017F;tockten Leugnern und Men&#x017F;chen¬<lb/>
opfer die Rede war, hatte er in &#x017F;einer Unbefangenheit<lb/>
gar nicht bemerkt. Nun aber kam ein Moment, wo<lb/>
er &#x017F;ich des Lächelns nicht ganz erwehren konnte. Als<lb/>
die &#x017F;ingenden Kinder gleichzeitig und anhaltend alle<lb/>
den Mund weit öffneten, fiel ihm auf, daß er in<lb/>
lauter blau&#x017F;chwarze Höhlen &#x017F;ah. Es war die Heidel¬<lb/>
beerenzeit, die Kinder &#x017F;ämmtlich hatten &#x017F;ich's Vormit¬<lb/>
tags im Walde &#x017F;chmecken la&#x017F;&#x017F;en, und Nachmittags die<lb/>
Eltern wohl daran gedacht, &#x017F;ie hüb&#x017F;ch herauszuputzen,<lb/>
aber nicht daran, daß &#x017F;ich die Kleinen den Mund aus¬<lb/>
&#x017F;pülen &#x017F;ollten. Das Kosmeti&#x017F;che war eben in die&#x017F;er<lb/>
Richtung &#x017F;ehr wenig ausgebildet. Die Er&#x017F;cheinung<lb/>
fiel auch keinem Men&#x017F;chen außer Arthur auf: um &#x017F;o<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0228] Vollendung der Ceremonien Alles nach dem Dorfe zurückgieng. Arthur hatte dem zweiten Theile der Handlung keine Aufmerkſamkeit zugewendet, dem erſten aber von An¬ fang an mit gehaltenem Ernſte, zugleich mit einem Aus¬ druck von Trauer zugeſehen und bei den Fragen und Antworten finſter den Kopf geſchüttelt. Wir haben längſt geſagt, daß er das Alles kennt; er kennt es und doch iſt es ihm bei dieſem Anblick wieder neu geworden und drückt ihm ſichtbar die Seele nieder. Zu ſpotten über Dinge, die Andern heilig ſcheinen, war nicht ſeine Art. Einen gewiſſen Blick, den ihm der Druide zuſandte an jenen Stellen der Fragen, wo von ſchweren Fällen, verſtockten Leugnern und Menſchen¬ opfer die Rede war, hatte er in ſeiner Unbefangenheit gar nicht bemerkt. Nun aber kam ein Moment, wo er ſich des Lächelns nicht ganz erwehren konnte. Als die ſingenden Kinder gleichzeitig und anhaltend alle den Mund weit öffneten, fiel ihm auf, daß er in lauter blauſchwarze Höhlen ſah. Es war die Heidel¬ beerenzeit, die Kinder ſämmtlich hatten ſich's Vormit¬ tags im Walde ſchmecken laſſen, und Nachmittags die Eltern wohl daran gedacht, ſie hübſch herauszuputzen, aber nicht daran, daß ſich die Kleinen den Mund aus¬ ſpülen ſollten. Das Kosmetiſche war eben in dieſer Richtung ſehr wenig ausgebildet. Die Erſcheinung fiel auch keinem Menſchen außer Arthur auf: um ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/228
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/228>, abgerufen am 29.04.2024.