Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

und hat sie aufgelegt; der Kranke liegt jetzt in erquicken¬
dem Schlaf auf Fellen und weicher Streu." -- "Gut,
ganz recht," sagte Alpin, einen Stich verarbeitend, der
ihm durch die Seele gieng. "Was hast denn aber da?"
Sie hatte den Gegenstand beiseite gelegt. "Da schau'
her," rief sie jetzt, "was Neues, Wunderbares! Vetter
Arthur hat uns zu den schönen Sachen gestern Abend
noch das gebracht, nun guck'! Nachher will ich den
neuen Schmuck anziehen und mich so da drin sehen."
Es war eine ovale Scheibe von Erz mit zierlichem
Griff; Sigune drückte sie ihm in die Hand. "Was
soll's?" -- "Nun, sieh' doch stät auf die Fläche." Alpin
schaute und schaute, er sah sich selbst. Verglieche man
dieß Bild mit dem, das unsere jetzigen Spiegel uns
zeigen, so müßte es freilich nur als ein verschwomme¬
nes erscheinen; das wäre aber sehr unrichtig, wir haben
das Bild im Erzspiegel mit dem ungleich verschwom¬
menern auf dem Wasserspiegel zu vergleichen, dem
einzigen, das unserem Alpin bekannt ist, und so kommt
es ihm deutlich in einem Maße vor, das alle seine
Begriffe übersteigt. Er läßt den Spiegel fallen,
geisterhaft wird ihm zu Muthe. Er steht so und starrt
vor sich hin, hinaus in's Leere, wie in eine tiefe
Finsterniß. Allmälig taucht ein schwaches Licht in
dieser Finsterniß auf: "Also -- also so -- von nun
an wird der Mensch sich selbst sehen -- zweimal da¬
sein -- und dann -- wenn er von dem Bild weg¬

und hat ſie aufgelegt; der Kranke liegt jetzt in erquicken¬
dem Schlaf auf Fellen und weicher Streu.“ — „Gut,
ganz recht,“ ſagte Alpin, einen Stich verarbeitend, der
ihm durch die Seele gieng. „Was haſt denn aber da?“
Sie hatte den Gegenſtand beiſeite gelegt. „Da ſchau'
her,“ rief ſie jetzt, „was Neues, Wunderbares! Vetter
Arthur hat uns zu den ſchönen Sachen geſtern Abend
noch das gebracht, nun guck'! Nachher will ich den
neuen Schmuck anziehen und mich ſo da drin ſehen.“
Es war eine ovale Scheibe von Erz mit zierlichem
Griff; Sigune drückte ſie ihm in die Hand. „Was
ſoll's?“ — „Nun, ſieh' doch ſtät auf die Fläche.“ Alpin
ſchaute und ſchaute, er ſah ſich ſelbſt. Verglieche man
dieß Bild mit dem, das unſere jetzigen Spiegel uns
zeigen, ſo müßte es freilich nur als ein verſchwomme¬
nes erſcheinen; das wäre aber ſehr unrichtig, wir haben
das Bild im Erzſpiegel mit dem ungleich verſchwom¬
menern auf dem Waſſerſpiegel zu vergleichen, dem
einzigen, das unſerem Alpin bekannt iſt, und ſo kommt
es ihm deutlich in einem Maße vor, das alle ſeine
Begriffe überſteigt. Er läßt den Spiegel fallen,
geiſterhaft wird ihm zu Muthe. Er ſteht ſo und ſtarrt
vor ſich hin, hinaus in's Leere, wie in eine tiefe
Finſterniß. Allmälig taucht ein ſchwaches Licht in
dieſer Finſterniß auf: „Alſo — alſo ſo — von nun
an wird der Menſch ſich ſelbſt ſehen — zweimal da¬
ſein — und dann — wenn er von dem Bild weg¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0239" n="226"/>
und hat &#x017F;ie aufgelegt; der Kranke liegt jetzt in erquicken¬<lb/>
dem Schlaf auf Fellen und weicher Streu.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Gut,<lb/>
ganz recht,&#x201C; &#x017F;agte Alpin, einen Stich verarbeitend, der<lb/>
ihm durch die Seele gieng. &#x201E;Was ha&#x017F;t denn aber da?&#x201C;<lb/>
Sie hatte den Gegen&#x017F;tand bei&#x017F;eite gelegt. &#x201E;Da &#x017F;chau'<lb/>
her,&#x201C; rief &#x017F;ie jetzt, &#x201E;was Neues, Wunderbares! Vetter<lb/>
Arthur hat uns zu den &#x017F;chönen Sachen ge&#x017F;tern Abend<lb/>
noch das gebracht, nun guck'! Nachher will ich den<lb/>
neuen Schmuck anziehen und mich &#x017F;o da drin &#x017F;ehen.&#x201C;<lb/>
Es war eine ovale Scheibe von Erz mit zierlichem<lb/>
Griff; Sigune drückte &#x017F;ie ihm in die Hand. &#x201E;Was<lb/>
&#x017F;oll's?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Nun, &#x017F;ieh' doch &#x017F;tät auf die Fläche.&#x201C; Alpin<lb/>
&#x017F;chaute und &#x017F;chaute, er &#x017F;ah &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Verglieche man<lb/>
dieß Bild mit dem, das un&#x017F;ere jetzigen Spiegel uns<lb/>
zeigen, &#x017F;o müßte es freilich nur als ein ver&#x017F;chwomme¬<lb/>
nes er&#x017F;cheinen; das wäre aber &#x017F;ehr unrichtig, wir haben<lb/>
das Bild im Erz&#x017F;piegel mit dem ungleich ver&#x017F;chwom¬<lb/>
menern auf dem Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;piegel zu vergleichen, dem<lb/>
einzigen, das un&#x017F;erem Alpin bekannt i&#x017F;t, und &#x017F;o kommt<lb/>
es ihm deutlich in einem Maße vor, das alle &#x017F;eine<lb/>
Begriffe über&#x017F;teigt. Er läßt den Spiegel fallen,<lb/>
gei&#x017F;terhaft wird ihm zu Muthe. Er &#x017F;teht &#x017F;o und &#x017F;tarrt<lb/>
vor &#x017F;ich hin, hinaus in's Leere, wie in eine tiefe<lb/>
Fin&#x017F;terniß. Allmälig taucht ein &#x017F;chwaches Licht in<lb/>
die&#x017F;er Fin&#x017F;terniß auf: &#x201E;Al&#x017F;o &#x2014; al&#x017F;o &#x017F;o &#x2014; von nun<lb/>
an wird der Men&#x017F;ch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehen &#x2014; zweimal da¬<lb/>
&#x017F;ein &#x2014; und dann &#x2014; wenn er von dem Bild weg¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0239] und hat ſie aufgelegt; der Kranke liegt jetzt in erquicken¬ dem Schlaf auf Fellen und weicher Streu.“ — „Gut, ganz recht,“ ſagte Alpin, einen Stich verarbeitend, der ihm durch die Seele gieng. „Was haſt denn aber da?“ Sie hatte den Gegenſtand beiſeite gelegt. „Da ſchau' her,“ rief ſie jetzt, „was Neues, Wunderbares! Vetter Arthur hat uns zu den ſchönen Sachen geſtern Abend noch das gebracht, nun guck'! Nachher will ich den neuen Schmuck anziehen und mich ſo da drin ſehen.“ Es war eine ovale Scheibe von Erz mit zierlichem Griff; Sigune drückte ſie ihm in die Hand. „Was ſoll's?“ — „Nun, ſieh' doch ſtät auf die Fläche.“ Alpin ſchaute und ſchaute, er ſah ſich ſelbſt. Verglieche man dieß Bild mit dem, das unſere jetzigen Spiegel uns zeigen, ſo müßte es freilich nur als ein verſchwomme¬ nes erſcheinen; das wäre aber ſehr unrichtig, wir haben das Bild im Erzſpiegel mit dem ungleich verſchwom¬ menern auf dem Waſſerſpiegel zu vergleichen, dem einzigen, das unſerem Alpin bekannt iſt, und ſo kommt es ihm deutlich in einem Maße vor, das alle ſeine Begriffe überſteigt. Er läßt den Spiegel fallen, geiſterhaft wird ihm zu Muthe. Er ſteht ſo und ſtarrt vor ſich hin, hinaus in's Leere, wie in eine tiefe Finſterniß. Allmälig taucht ein ſchwaches Licht in dieſer Finſterniß auf: „Alſo — alſo ſo — von nun an wird der Menſch ſich ſelbſt ſehen — zweimal da¬ ſein — und dann — wenn er von dem Bild weg¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/239
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/239>, abgerufen am 29.04.2024.