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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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Formverletzung hatte, machte mich wehrlos, ganz klein¬
laut sagte ich: "Ja," und fragte nun, was er denn aber
um's Himmels willen eigentlich habe. A. E. -- so
wollen wir meinen Reisebekannten von nun an der
Kürze halber nennen -- fiel jetzt wieder in seinen
Wuthzustand und schrie mit Donnerlaut: "Meine Brille,
meine Brille! Die Canaille hat sich ja wieder einmal
verkrochen, -- vom Schlüssel, dem kleinen Teufel,
vorerst nicht zu reden!"

"Also Ihre Brille suchen Sie? Ist dieß Objekt
es werth, in solche Wuth zu gerathen? Kennen Sie
denn auch gar keine Geduld?"

Er wollte gegen mich auffahren, faßte sich aber
auch dießmal wieder, sah mich an und sagte:
"Schraubenschlüssel? Pfropfzieher?"

"Was soll das?"

"Nun, neulich träumte mir schrecklicherweise, ich
habe eine Frau; ich lachte sie aus, daß sie die Zeitung
unaufgeschnitten lese und jahrelang eine Schublade
dulde, die nicht geht. Hierauf hielt sie mir eine Ge¬
duldpredigt und verlangte, ich solle zur Uebung dieser
Tugend an meinem Rock statt Knopflöcher und Knöpfe
Schrauben und Schraubenmüder tragen, die sich ja ganz
elegant von blau angelaufenem Metall herstellen ließen,
oder auch Pfröpfe, und ich könne jedesmal, wenn ich den
Rock öffnen wolle, jene mit einem Schraubenschlüssel, diese
mit einem Pfropfzieher aufmachen. -- O was! ein Weib

Vischer, Auch Einer. I. 2

Formverletzung hatte, machte mich wehrlos, ganz klein¬
laut ſagte ich: „Ja,“ und fragte nun, was er denn aber
um's Himmels willen eigentlich habe. A. E. — ſo
wollen wir meinen Reiſebekannten von nun an der
Kürze halber nennen — fiel jetzt wieder in ſeinen
Wuthzuſtand und ſchrie mit Donnerlaut: „Meine Brille,
meine Brille! Die Canaille hat ſich ja wieder einmal
verkrochen, — vom Schlüſſel, dem kleinen Teufel,
vorerſt nicht zu reden!“

„Alſo Ihre Brille ſuchen Sie? Iſt dieß Objekt
es werth, in ſolche Wuth zu gerathen? Kennen Sie
denn auch gar keine Geduld?“

Er wollte gegen mich auffahren, faßte ſich aber
auch dießmal wieder, ſah mich an und ſagte:
„Schraubenſchlüſſel? Pfropfzieher?“

„Was ſoll das?“

„Nun, neulich träumte mir ſchrecklicherweiſe, ich
habe eine Frau; ich lachte ſie aus, daß ſie die Zeitung
unaufgeſchnitten leſe und jahrelang eine Schublade
dulde, die nicht geht. Hierauf hielt ſie mir eine Ge¬
duldpredigt und verlangte, ich ſolle zur Uebung dieſer
Tugend an meinem Rock ſtatt Knopflöcher und Knöpfe
Schrauben und Schraubenmüder tragen, die ſich ja ganz
elegant von blau angelaufenem Metall herſtellen ließen,
oder auch Pfröpfe, und ich könne jedesmal, wenn ich den
Rock öffnen wolle, jene mit einem Schraubenſchlüſſel, dieſe
mit einem Pfropfzieher aufmachen. — O was! ein Weib

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[17/0030] Formverletzung hatte, machte mich wehrlos, ganz klein¬ laut ſagte ich: „Ja,“ und fragte nun, was er denn aber um's Himmels willen eigentlich habe. A. E. — ſo wollen wir meinen Reiſebekannten von nun an der Kürze halber nennen — fiel jetzt wieder in ſeinen Wuthzuſtand und ſchrie mit Donnerlaut: „Meine Brille, meine Brille! Die Canaille hat ſich ja wieder einmal verkrochen, — vom Schlüſſel, dem kleinen Teufel, vorerſt nicht zu reden!“ „Alſo Ihre Brille ſuchen Sie? Iſt dieß Objekt es werth, in ſolche Wuth zu gerathen? Kennen Sie denn auch gar keine Geduld?“ Er wollte gegen mich auffahren, faßte ſich aber auch dießmal wieder, ſah mich an und ſagte: „Schraubenſchlüſſel? Pfropfzieher?“ „Was ſoll das?“ „Nun, neulich träumte mir ſchrecklicherweiſe, ich habe eine Frau; ich lachte ſie aus, daß ſie die Zeitung unaufgeſchnitten leſe und jahrelang eine Schublade dulde, die nicht geht. Hierauf hielt ſie mir eine Ge¬ duldpredigt und verlangte, ich ſolle zur Uebung dieſer Tugend an meinem Rock ſtatt Knopflöcher und Knöpfe Schrauben und Schraubenmüder tragen, die ſich ja ganz elegant von blau angelaufenem Metall herſtellen ließen, oder auch Pfröpfe, und ich könne jedesmal, wenn ich den Rock öffnen wolle, jene mit einem Schraubenſchlüſſel, dieſe mit einem Pfropfzieher aufmachen. — O was! ein Weib Viſcher, Auch Einer. I. 2

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/30>, abgerufen am 29.04.2024.