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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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und gewaltigen Bahnen webt und waltet, wird oft da
oben geweilt haben im Kloster Franzesco del Monte
und hinab, hinaus in's Weite geblickt! Da ist auch das
liebliche Presepio von Pietro Perugino; solchen Bildes
mag sie in der Ferne gedacht haben im nebligen Norden,
als Cordelia in der Wiege lag; wird dem heran¬
wachsenden Kinde, wenn sie vom hohen Schloßthurm
in Edinburg mit ihm hinausschaute auf das graue
Meer, erzählt haben, wie viel blauer und sonniger Alles
sei in ihrer Heimath und welche seligen Augen dort
von Leinwand und Mauer auf fromme Beschauer blicken,
und die Künstlergesichte werden wie ein Märchen in
die träumende Seele des Kindes hineingeleuchtet haben.


Deutschen Kunstkenner getroffen: nennt Perugino
süß sentimental. Man darf ihn nicht an die strengen,
kräftig herben florentinischen Realisten halten, sage ich,
man muß ihn für sich nehmen, sonst thut man ihm
unrecht; seine weiche Welt ist seine Welt.


Das Elternhaus ihrer Mutter erfragt, auch er¬
fahren, daß noch eine Muhme lebt, in Assisi verhei¬
rathet. Hinüber! Dort winkt sie schon von Weitem
her über die hohen Mauerbögen, die Franziskuskirche.
Stigmatisirt, heiliger alter Bruder? Gut. Ich auch.

und gewaltigen Bahnen webt und waltet, wird oft da
oben geweilt haben im Kloſter Franzesco del Monte
und hinab, hinaus in's Weite geblickt! Da iſt auch das
liebliche Preſepio von Pietro Perugino; ſolchen Bildes
mag ſie in der Ferne gedacht haben im nebligen Norden,
als Cordelia in der Wiege lag; wird dem heran¬
wachſenden Kinde, wenn ſie vom hohen Schloßthurm
in Edinburg mit ihm hinausſchaute auf das graue
Meer, erzählt haben, wie viel blauer und ſonniger Alles
ſei in ihrer Heimath und welche ſeligen Augen dort
von Leinwand und Mauer auf fromme Beſchauer blicken,
und die Künſtlergeſichte werden wie ein Märchen in
die träumende Seele des Kindes hineingeleuchtet haben.


Deutſchen Kunſtkenner getroffen: nennt Perugino
ſüß ſentimental. Man darf ihn nicht an die ſtrengen,
kräftig herben florentiniſchen Realiſten halten, ſage ich,
man muß ihn für ſich nehmen, ſonſt thut man ihm
unrecht; ſeine weiche Welt iſt ſeine Welt.


Das Elternhaus ihrer Mutter erfragt, auch er¬
fahren, daß noch eine Muhme lebt, in Aſſiſi verhei¬
rathet. Hinüber! Dort winkt ſie ſchon von Weitem
her über die hohen Mauerbögen, die Franziskuskirche.
Stigmatiſirt, heiliger alter Bruder? Gut. Ich auch.

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[262/0275] und gewaltigen Bahnen webt und waltet, wird oft da oben geweilt haben im Kloſter Franzesco del Monte und hinab, hinaus in's Weite geblickt! Da iſt auch das liebliche Preſepio von Pietro Perugino; ſolchen Bildes mag ſie in der Ferne gedacht haben im nebligen Norden, als Cordelia in der Wiege lag; wird dem heran¬ wachſenden Kinde, wenn ſie vom hohen Schloßthurm in Edinburg mit ihm hinausſchaute auf das graue Meer, erzählt haben, wie viel blauer und ſonniger Alles ſei in ihrer Heimath und welche ſeligen Augen dort von Leinwand und Mauer auf fromme Beſchauer blicken, und die Künſtlergeſichte werden wie ein Märchen in die träumende Seele des Kindes hineingeleuchtet haben. Deutſchen Kunſtkenner getroffen: nennt Perugino ſüß ſentimental. Man darf ihn nicht an die ſtrengen, kräftig herben florentiniſchen Realiſten halten, ſage ich, man muß ihn für ſich nehmen, ſonſt thut man ihm unrecht; ſeine weiche Welt iſt ſeine Welt. Das Elternhaus ihrer Mutter erfragt, auch er¬ fahren, daß noch eine Muhme lebt, in Aſſiſi verhei¬ rathet. Hinüber! Dort winkt ſie ſchon von Weitem her über die hohen Mauerbögen, die Franziskuskirche. Stigmatiſirt, heiliger alter Bruder? Gut. Ich auch.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/275>, abgerufen am 18.05.2024.