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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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In unserem Klima, seiner Kälte, seinen Scheer¬
messerwinden, strupft, so schneidig angeweht, der ganze
Mensch nach innen um und zieht sich krampfhaft auf
einen Punkt zusammen: das ärgerliche Ich. Da soll
man nicht subjektiv werden! Der Südländer lebt mit
seiner gesund transpirirenden Haut von innen nach
außen, wir von außen nach innen. Doch mit dieser
unserer Krankheit hängt untrennbar auch unser innerer
Reichthum zusammen.


Also noch einmal: doch germanisch bleiben, nur
lernen, nicht nachahmen, sonst flach, abgeflacht, leer
wellenlinig wie die italienisirten, akademisirten Nieder¬
länder, denen Rubens und noch viel gröber Rembrandt
die Faust entgegenballte.


Nimm dem Albrecht Dürer seine Ecken, Knorren,
wurmgeringelten Faltennester: gut, versuch's und sieh'
zu, wo du durchschneiden kannst, ohne seine Eigenart
gestrengen Charakters, sein Gefühl des warm Be¬
schränkten und traulich oder herb Geschlossenen, seine
treulich zusammengehaltene Empfindung mitwegzumähen.
Hätte er den freien Fluß der Linie gehabt, den Löwen
des heiligen Antonius schlank, rund, plastisch zu zeich¬
nen, hätte er dann das Ganze gezeichnet wie es ist?
So gutes, warmes Stübchen, Sonnenbild der runden

In unſerem Klima, ſeiner Kälte, ſeinen Scheer¬
meſſerwinden, ſtrupft, ſo ſchneidig angeweht, der ganze
Menſch nach innen um und zieht ſich krampfhaft auf
einen Punkt zuſammen: das ärgerliche Ich. Da ſoll
man nicht ſubjektiv werden! Der Südländer lebt mit
ſeiner geſund transpirirenden Haut von innen nach
außen, wir von außen nach innen. Doch mit dieſer
unſerer Krankheit hängt untrennbar auch unſer innerer
Reichthum zuſammen.


Alſo noch einmal: doch germaniſch bleiben, nur
lernen, nicht nachahmen, ſonſt flach, abgeflacht, leer
wellenlinig wie die italieniſirten, akademiſirten Nieder¬
länder, denen Rubens und noch viel gröber Rembrandt
die Fauſt entgegenballte.


Nimm dem Albrecht Dürer ſeine Ecken, Knorren,
wurmgeringelten Faltenneſter: gut, verſuch's und ſieh'
zu, wo du durchſchneiden kannſt, ohne ſeine Eigenart
geſtrengen Charakters, ſein Gefühl des warm Be¬
ſchränkten und traulich oder herb Geſchloſſenen, ſeine
treulich zuſammengehaltene Empfindung mitwegzumähen.
Hätte er den freien Fluß der Linie gehabt, den Löwen
des heiligen Antonius ſchlank, rund, plaſtiſch zu zeich¬
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So gutes, warmes Stübchen, Sonnenbild der runden

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[266/0279] In unſerem Klima, ſeiner Kälte, ſeinen Scheer¬ meſſerwinden, ſtrupft, ſo ſchneidig angeweht, der ganze Menſch nach innen um und zieht ſich krampfhaft auf einen Punkt zuſammen: das ärgerliche Ich. Da ſoll man nicht ſubjektiv werden! Der Südländer lebt mit ſeiner geſund transpirirenden Haut von innen nach außen, wir von außen nach innen. Doch mit dieſer unſerer Krankheit hängt untrennbar auch unſer innerer Reichthum zuſammen. Alſo noch einmal: doch germaniſch bleiben, nur lernen, nicht nachahmen, ſonſt flach, abgeflacht, leer wellenlinig wie die italieniſirten, akademiſirten Nieder¬ länder, denen Rubens und noch viel gröber Rembrandt die Fauſt entgegenballte. Nimm dem Albrecht Dürer ſeine Ecken, Knorren, wurmgeringelten Faltenneſter: gut, verſuch's und ſieh' zu, wo du durchſchneiden kannſt, ohne ſeine Eigenart geſtrengen Charakters, ſein Gefühl des warm Be¬ ſchränkten und traulich oder herb Geſchloſſenen, ſeine treulich zuſammengehaltene Empfindung mitwegzumähen. Hätte er den freien Fluß der Linie gehabt, den Löwen des heiligen Antonius ſchlank, rund, plaſtiſch zu zeich¬ nen, hätte er dann das Ganze gezeichnet wie es iſt? So gutes, warmes Stübchen, Sonnenbild der runden

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/279>, abgerufen am 18.05.2024.