Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

kreuzigt, pfählt nicht mehr, aber nun haben wir der
Unzähligen noch nicht gedacht, denen ihr moralisch das
Herz gebrochen, das Gewissen mißhandelt habt, indem
ihr sie in die Wahl stießet: gläubiges Bekenntniß gegen
die eigene bessere Ueberzeugung oder mit Weib und
Kind zum Bettelstab greifen! Und du, zahmer Ver¬
mittler, sage nur ja nicht, der todte Glaube tauge
freilich nichts, der Auferstandene müsse Leben in uns
werden, und wie du es sonst schön ausdrücken magst.
Nein! nein! Glauben und Religion sind zweierlei,
und jener hat dieser von je mehr geschadet als ge¬
nützt. Was "den Glauben beleben"? Nichts da,
fort mit dem Glauben und die Religion kann leben!


Ihr lobt euern Schiller, ihr kennt sein Distichon:

"Welche Religion ich bekenne? Keine von allen,
Die du mir nennst. Und warum keine? Aus Religion."

Aber ihr lest es im gewohnten Dusel und seid zu denk¬
faul, zu begreifen, was es besagt, was daraus folgt.


Also der helle Widerspruch von Für und Gegen.
Und also, wer weiß nun Rath? -- Es scheint da
eine Auskunft. Die wohlbekannte: symbolisch nehmen!
Man muß wirklich sagen: es ist dieß die Auskunft

kreuzigt, pfählt nicht mehr, aber nun haben wir der
Unzähligen noch nicht gedacht, denen ihr moraliſch das
Herz gebrochen, das Gewiſſen mißhandelt habt, indem
ihr ſie in die Wahl ſtießet: gläubiges Bekenntniß gegen
die eigene beſſere Ueberzeugung oder mit Weib und
Kind zum Bettelſtab greifen! Und du, zahmer Ver¬
mittler, ſage nur ja nicht, der todte Glaube tauge
freilich nichts, der Auferſtandene müſſe Leben in uns
werden, und wie du es ſonſt ſchön ausdrücken magſt.
Nein! nein! Glauben und Religion ſind zweierlei,
und jener hat dieſer von je mehr geſchadet als ge¬
nützt. Was „den Glauben beleben“? Nichts da,
fort mit dem Glauben und die Religion kann leben!


Ihr lobt euern Schiller, ihr kennt ſein Diſtichon:

„Welche Religion ich bekenne? Keine von allen,
Die du mir nennſt. Und warum keine? Aus Religion.“

Aber ihr lest es im gewohnten Duſel und ſeid zu denk¬
faul, zu begreifen, was es beſagt, was daraus folgt.


Alſo der helle Widerſpruch von Für und Gegen.
Und alſo, wer weiß nun Rath? — Es ſcheint da
eine Auskunft. Die wohlbekannte: ſymboliſch nehmen!
Man muß wirklich ſagen: es iſt dieß die Auskunft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0412" n="399"/>
kreuzigt, pfählt nicht mehr, aber nun haben wir der<lb/>
Unzähligen noch nicht gedacht, denen ihr morali&#x017F;ch das<lb/>
Herz gebrochen, das Gewi&#x017F;&#x017F;en mißhandelt habt, indem<lb/>
ihr &#x017F;ie in die Wahl &#x017F;tießet: gläubiges Bekenntniß gegen<lb/>
die eigene be&#x017F;&#x017F;ere Ueberzeugung oder mit Weib und<lb/>
Kind zum Bettel&#x017F;tab greifen! Und du, zahmer Ver¬<lb/>
mittler, &#x017F;age nur ja nicht, der todte Glaube tauge<lb/>
freilich nichts, der Aufer&#x017F;tandene mü&#x017F;&#x017F;e Leben in uns<lb/>
werden, und wie du es &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chön ausdrücken mag&#x017F;t.<lb/>
Nein! nein! Glauben und Religion &#x017F;ind zweierlei,<lb/>
und jener hat die&#x017F;er von je mehr ge&#x017F;chadet als ge¬<lb/>
nützt. Was &#x201E;den Glauben beleben&#x201C;? Nichts da,<lb/>
fort mit dem Glauben und die Religion kann leben!</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Ihr lobt euern Schiller, ihr kennt &#x017F;ein Di&#x017F;tichon:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Welche Religion ich bekenne? Keine von allen,<lb/>
Die du mir nenn&#x017F;t. Und warum keine? Aus Religion.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Aber ihr lest es im gewohnten Du&#x017F;el und &#x017F;eid zu denk¬<lb/>
faul, zu begreifen, was es be&#x017F;agt, was daraus folgt.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Al&#x017F;o der helle Wider&#x017F;pruch von Für und Gegen.<lb/>
Und al&#x017F;o, wer weiß nun Rath? &#x2014; Es &#x017F;cheint da<lb/>
eine Auskunft. Die wohlbekannte: &#x017F;ymboli&#x017F;ch nehmen!<lb/>
Man muß wirklich &#x017F;agen: es i&#x017F;t dieß die Auskunft<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0412] kreuzigt, pfählt nicht mehr, aber nun haben wir der Unzähligen noch nicht gedacht, denen ihr moraliſch das Herz gebrochen, das Gewiſſen mißhandelt habt, indem ihr ſie in die Wahl ſtießet: gläubiges Bekenntniß gegen die eigene beſſere Ueberzeugung oder mit Weib und Kind zum Bettelſtab greifen! Und du, zahmer Ver¬ mittler, ſage nur ja nicht, der todte Glaube tauge freilich nichts, der Auferſtandene müſſe Leben in uns werden, und wie du es ſonſt ſchön ausdrücken magſt. Nein! nein! Glauben und Religion ſind zweierlei, und jener hat dieſer von je mehr geſchadet als ge¬ nützt. Was „den Glauben beleben“? Nichts da, fort mit dem Glauben und die Religion kann leben! Ihr lobt euern Schiller, ihr kennt ſein Diſtichon: „Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennſt. Und warum keine? Aus Religion.“ Aber ihr lest es im gewohnten Duſel und ſeid zu denk¬ faul, zu begreifen, was es beſagt, was daraus folgt. Alſo der helle Widerſpruch von Für und Gegen. Und alſo, wer weiß nun Rath? — Es ſcheint da eine Auskunft. Die wohlbekannte: ſymboliſch nehmen! Man muß wirklich ſagen: es iſt dieß die Auskunft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/412
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/412>, abgerufen am 08.05.2024.