Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

den niedern Klassen sehen wir eine Annäherung an die Polypen durch
förmliche Knospenbildung, welche Polypenstöcke hervorbringt, die man-
chen Korallentypen so ähnlich sind, daß auch jetzt noch viele Schrift-
steller, trotz der Unähnlichkeit der Thiere, dieselben zu den Polypen
stellen; bei einigen Ordnungen findet Ammenzeugung statt und zwar
in der Weise, daß die Knospenzeugenden Ammen eben so hoch or-
ganisirte Thiere sind, als die geschlechtlich zeugenden. Die mit Ge-
schlechtswerkzeugen versehenen Individuen sind meistens getrennten
Geschlechts, oft aber auch Zwitter und meistens mit Begattungsor-
ganen ausgerüstet, die oft äußerst complicirt erscheinen.

Die Entwicklung der Jungen aus dem Ei findet da, wo
sie bekannt ist, stets in der Weise statt, daß der ganze Dotter sich
ohne vorgängige Ausbildung eines Embryonaltheiles in das junge
Thier umwandelt. Bei allen bis jetzt bekannt gewordenen Klassen,
mögen nun die Mutterthiere sich frei bewegen oder an dem Boden
gefesselt sein, besitzen die aus dem Ei ausgeschlüpften Larven eigene
Bewegungsorgane, die bald in schwanzähnlichen Anhängen, bald in
wimpernden Lappen verschiedener Gestalt bestehen und mittelst deren
sich die Larven entweder im Ei oder in einer gemeinschaftlichen Kapsel
oder frei im Wasser umher bewegen können. Die einzelnen zu den
Weichthieren gehörenden Klassen sind im Durchschnitte sehr scharf durch
die Gestalt ihrer Larven charakterisirt, weshalb wir dieselben bei den
Klassen selbst in's Auge fassen werden.

Die meisten Weichthiere leben im Wasser, die niedern Klassen fast
ausschließlich im Meere und nur die höchste Klasse besitzt einige Gat-
tungen, welche das feste Land bewohnen. Aber auch diese Landbe-
wohner bedürfen in gleicher Weise wie die Erdwürmer stets eines
feuchten Aufenthaltes und gehen bei vollkommener Trockenheit zu
Grunde. Sie halten sich deshalb vorzugsweise an dumpfen, mo-
rastigen Orten unter Steinen und Kräutern auf. Die kriechenden
Gattungen, welche das Meer oder das süße Wasser bewohnen, lieben
besonders die Unterfläche von Steinen und Wasserpflanzen, viele bohren
sich auch in den Sand oder Schlamm ein, ja selbst Holz und
Kalksteine werden vorzugsweise von gewissen Gattungen angefressen
und durchlöchert. Die eigentlichen Schwimmer bewohnen alle das
Meer und sind oft weit hinaus in offener See anzutreffen.

Die Weichthiere gehören zu den ersten Bewohnern unseres Erd-
balls und durch die Festigkeit ihrer Schalen, welche in Massen erhal-
ten sind, gehören sie zu den wichtigsten Gegenständen für die Ver-

den niedern Klaſſen ſehen wir eine Annäherung an die Polypen durch
förmliche Knospenbildung, welche Polypenſtöcke hervorbringt, die man-
chen Korallentypen ſo ähnlich ſind, daß auch jetzt noch viele Schrift-
ſteller, trotz der Unähnlichkeit der Thiere, dieſelben zu den Polypen
ſtellen; bei einigen Ordnungen findet Ammenzeugung ſtatt und zwar
in der Weiſe, daß die Knospenzeugenden Ammen eben ſo hoch or-
ganiſirte Thiere ſind, als die geſchlechtlich zeugenden. Die mit Ge-
ſchlechtswerkzeugen verſehenen Individuen ſind meiſtens getrennten
Geſchlechts, oft aber auch Zwitter und meiſtens mit Begattungsor-
ganen ausgerüſtet, die oft äußerſt complicirt erſcheinen.

Die Entwicklung der Jungen aus dem Ei findet da, wo
ſie bekannt iſt, ſtets in der Weiſe ſtatt, daß der ganze Dotter ſich
ohne vorgängige Ausbildung eines Embryonaltheiles in das junge
Thier umwandelt. Bei allen bis jetzt bekannt gewordenen Klaſſen,
mögen nun die Mutterthiere ſich frei bewegen oder an dem Boden
gefeſſelt ſein, beſitzen die aus dem Ei ausgeſchlüpften Larven eigene
Bewegungsorgane, die bald in ſchwanzähnlichen Anhängen, bald in
wimpernden Lappen verſchiedener Geſtalt beſtehen und mittelſt deren
ſich die Larven entweder im Ei oder in einer gemeinſchaftlichen Kapſel
oder frei im Waſſer umher bewegen können. Die einzelnen zu den
Weichthieren gehörenden Klaſſen ſind im Durchſchnitte ſehr ſcharf durch
die Geſtalt ihrer Larven charakteriſirt, weshalb wir dieſelben bei den
Klaſſen ſelbſt in’s Auge faſſen werden.

Die meiſten Weichthiere leben im Waſſer, die niedern Klaſſen faſt
ausſchließlich im Meere und nur die höchſte Klaſſe beſitzt einige Gat-
tungen, welche das feſte Land bewohnen. Aber auch dieſe Landbe-
wohner bedürfen in gleicher Weiſe wie die Erdwürmer ſtets eines
feuchten Aufenthaltes und gehen bei vollkommener Trockenheit zu
Grunde. Sie halten ſich deshalb vorzugsweiſe an dumpfen, mo-
raſtigen Orten unter Steinen und Kräutern auf. Die kriechenden
Gattungen, welche das Meer oder das ſüße Waſſer bewohnen, lieben
beſonders die Unterfläche von Steinen und Waſſerpflanzen, viele bohren
ſich auch in den Sand oder Schlamm ein, ja ſelbſt Holz und
Kalkſteine werden vorzugsweiſe von gewiſſen Gattungen angefreſſen
und durchlöchert. Die eigentlichen Schwimmer bewohnen alle das
Meer und ſind oft weit hinaus in offener See anzutreffen.

Die Weichthiere gehören zu den erſten Bewohnern unſeres Erd-
balls und durch die Feſtigkeit ihrer Schalen, welche in Maſſen erhal-
ten ſind, gehören ſie zu den wichtigſten Gegenſtänden für die Ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0251" n="245"/>
den niedern Kla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehen wir eine Annäherung an die Polypen durch<lb/>
förmliche Knospenbildung, welche Polypen&#x017F;töcke hervorbringt, die man-<lb/>
chen Korallentypen &#x017F;o ähnlich &#x017F;ind, daß auch jetzt noch viele Schrift-<lb/>
&#x017F;teller, trotz der Unähnlichkeit der Thiere, die&#x017F;elben zu den Polypen<lb/>
&#x017F;tellen; bei einigen Ordnungen findet Ammenzeugung &#x017F;tatt und zwar<lb/>
in der Wei&#x017F;e, daß die Knospenzeugenden Ammen eben &#x017F;o hoch or-<lb/>
gani&#x017F;irte Thiere &#x017F;ind, als die ge&#x017F;chlechtlich zeugenden. Die mit Ge-<lb/>
&#x017F;chlechtswerkzeugen ver&#x017F;ehenen Individuen &#x017F;ind mei&#x017F;tens getrennten<lb/>
Ge&#x017F;chlechts, oft aber auch Zwitter und mei&#x017F;tens mit Begattungsor-<lb/>
ganen ausgerü&#x017F;tet, die oft äußer&#x017F;t complicirt er&#x017F;cheinen.</p><lb/>
        <p>Die <hi rendition="#g">Entwicklung der Jungen aus dem Ei</hi> findet da, wo<lb/>
&#x017F;ie bekannt i&#x017F;t, &#x017F;tets in der Wei&#x017F;e &#x017F;tatt, daß der ganze Dotter &#x017F;ich<lb/>
ohne vorgängige Ausbildung eines Embryonaltheiles in das junge<lb/>
Thier umwandelt. Bei allen bis jetzt bekannt gewordenen Kla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
mögen nun die Mutterthiere &#x017F;ich frei bewegen oder an dem Boden<lb/>
gefe&#x017F;&#x017F;elt &#x017F;ein, be&#x017F;itzen die aus dem Ei ausge&#x017F;chlüpften Larven eigene<lb/>
Bewegungsorgane, die bald in &#x017F;chwanzähnlichen Anhängen, bald in<lb/>
wimpernden Lappen ver&#x017F;chiedener Ge&#x017F;talt be&#x017F;tehen und mittel&#x017F;t deren<lb/>
&#x017F;ich die Larven entweder im Ei oder in einer gemein&#x017F;chaftlichen Kap&#x017F;el<lb/>
oder frei im Wa&#x017F;&#x017F;er umher bewegen können. Die einzelnen zu den<lb/>
Weichthieren gehörenden Kla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind im Durch&#x017F;chnitte &#x017F;ehr &#x017F;charf durch<lb/>
die Ge&#x017F;talt ihrer Larven charakteri&#x017F;irt, weshalb wir die&#x017F;elben bei den<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t in&#x2019;s Auge fa&#x017F;&#x017F;en werden.</p><lb/>
        <p>Die mei&#x017F;ten Weichthiere leben im Wa&#x017F;&#x017F;er, die niedern Kla&#x017F;&#x017F;en fa&#x017F;t<lb/>
aus&#x017F;chließlich im Meere und nur die höch&#x017F;te Kla&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;itzt einige Gat-<lb/>
tungen, welche das fe&#x017F;te Land bewohnen. Aber auch die&#x017F;e Landbe-<lb/>
wohner bedürfen in gleicher Wei&#x017F;e wie die Erdwürmer &#x017F;tets eines<lb/>
feuchten Aufenthaltes und gehen bei vollkommener Trockenheit zu<lb/>
Grunde. Sie halten &#x017F;ich deshalb vorzugswei&#x017F;e an dumpfen, mo-<lb/>
ra&#x017F;tigen Orten unter Steinen und Kräutern auf. Die kriechenden<lb/>
Gattungen, welche das Meer oder das &#x017F;üße Wa&#x017F;&#x017F;er bewohnen, lieben<lb/>
be&#x017F;onders die Unterfläche von Steinen und Wa&#x017F;&#x017F;erpflanzen, viele bohren<lb/>
&#x017F;ich auch in den Sand oder Schlamm ein, ja &#x017F;elb&#x017F;t Holz und<lb/>
Kalk&#x017F;teine werden vorzugswei&#x017F;e von gewi&#x017F;&#x017F;en Gattungen angefre&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und durchlöchert. Die eigentlichen Schwimmer bewohnen alle das<lb/>
Meer und &#x017F;ind oft weit hinaus in offener See anzutreffen.</p><lb/>
        <p>Die Weichthiere gehören zu den er&#x017F;ten Bewohnern un&#x017F;eres Erd-<lb/>
balls und durch die Fe&#x017F;tigkeit ihrer Schalen, welche in Ma&#x017F;&#x017F;en erhal-<lb/>
ten &#x017F;ind, gehören &#x017F;ie zu den wichtig&#x017F;ten Gegen&#x017F;tänden für die Ver-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0251] den niedern Klaſſen ſehen wir eine Annäherung an die Polypen durch förmliche Knospenbildung, welche Polypenſtöcke hervorbringt, die man- chen Korallentypen ſo ähnlich ſind, daß auch jetzt noch viele Schrift- ſteller, trotz der Unähnlichkeit der Thiere, dieſelben zu den Polypen ſtellen; bei einigen Ordnungen findet Ammenzeugung ſtatt und zwar in der Weiſe, daß die Knospenzeugenden Ammen eben ſo hoch or- ganiſirte Thiere ſind, als die geſchlechtlich zeugenden. Die mit Ge- ſchlechtswerkzeugen verſehenen Individuen ſind meiſtens getrennten Geſchlechts, oft aber auch Zwitter und meiſtens mit Begattungsor- ganen ausgerüſtet, die oft äußerſt complicirt erſcheinen. Die Entwicklung der Jungen aus dem Ei findet da, wo ſie bekannt iſt, ſtets in der Weiſe ſtatt, daß der ganze Dotter ſich ohne vorgängige Ausbildung eines Embryonaltheiles in das junge Thier umwandelt. Bei allen bis jetzt bekannt gewordenen Klaſſen, mögen nun die Mutterthiere ſich frei bewegen oder an dem Boden gefeſſelt ſein, beſitzen die aus dem Ei ausgeſchlüpften Larven eigene Bewegungsorgane, die bald in ſchwanzähnlichen Anhängen, bald in wimpernden Lappen verſchiedener Geſtalt beſtehen und mittelſt deren ſich die Larven entweder im Ei oder in einer gemeinſchaftlichen Kapſel oder frei im Waſſer umher bewegen können. Die einzelnen zu den Weichthieren gehörenden Klaſſen ſind im Durchſchnitte ſehr ſcharf durch die Geſtalt ihrer Larven charakteriſirt, weshalb wir dieſelben bei den Klaſſen ſelbſt in’s Auge faſſen werden. Die meiſten Weichthiere leben im Waſſer, die niedern Klaſſen faſt ausſchließlich im Meere und nur die höchſte Klaſſe beſitzt einige Gat- tungen, welche das feſte Land bewohnen. Aber auch dieſe Landbe- wohner bedürfen in gleicher Weiſe wie die Erdwürmer ſtets eines feuchten Aufenthaltes und gehen bei vollkommener Trockenheit zu Grunde. Sie halten ſich deshalb vorzugsweiſe an dumpfen, mo- raſtigen Orten unter Steinen und Kräutern auf. Die kriechenden Gattungen, welche das Meer oder das ſüße Waſſer bewohnen, lieben beſonders die Unterfläche von Steinen und Waſſerpflanzen, viele bohren ſich auch in den Sand oder Schlamm ein, ja ſelbſt Holz und Kalkſteine werden vorzugsweiſe von gewiſſen Gattungen angefreſſen und durchlöchert. Die eigentlichen Schwimmer bewohnen alle das Meer und ſind oft weit hinaus in offener See anzutreffen. Die Weichthiere gehören zu den erſten Bewohnern unſeres Erd- balls und durch die Feſtigkeit ihrer Schalen, welche in Maſſen erhal- ten ſind, gehören ſie zu den wichtigſten Gegenſtänden für die Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/251
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/251>, abgerufen am 28.04.2024.