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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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während des Lebens eine senkrechte Stellung, den Mund nach unten,
den After nach oben; die Holz- und Steinbohrer dagegen, welche ihre
Löcher in senkrechte Wände eintreiben, stecken meist in horizontaler
Lagerung in ihren Gängen. Die angehefteten Muscheln ruhen auf
der einen Schale, während die andere frei beweglich ist, und die freien
Sandkriecher schleichen auf dem Mantelrande umher, den Schloß-
rand nach oben gerichtet, indem sie mit dem aus den Schalen vor-
gestreckten Fuße Furchen in den Sand ziehen. Die Berücksichtigung
dieser verschiedenen Stellungen, welche die Muschelthiere während der
Zeit ihres Lebens einnehmen, ist besonders wichtig für die Geologen,
indem man daraus oft Schlüsse auf die ursprüngliche Lagerung der
Schichten machen kann, in welchen die Muschelthiere zur Zeit ihres
Absatzes lebten, was in Beziehung auf etwaige nachträgliche Lagen-
veränderungen der Schichten von Interesse sein kann. Jedenfalls
aber war es unrichtig, wenn man die gewöhnliche Station der Ufer-
muscheln mit dem Munde nach unten und dem After nach oben als
Norm für die Bezeichnung der Schalen gebrauchen wollte und die
Afterseite die obere, die Mundseite die untere Schalenseite nannte.

Die unmittelbare Anheftung der Schalen, wie sie z. B. bei den
Austern vorkommt, hat den größten Einfluß auf die Gestalt und Re-
gelmäßigkeit der Schalen, die sich oft ihrer Unterlage anschmiegen und
so die Gestalt derselben wiederholen. Weit weniger ist dieser Einfluß
bei der freieren Art der Anheftung durch Fadengespinnste vorhanden.
Die Sehnenfäden, welche diese Anheftung bewirken, treten entweder
durch ein Loch oder durch einen Ausschnitt der einen Schale, oder
durch eine Lücke zwischen beiden Schalen, die meist an der vorderen
Seite des Schloßrandes sich befindet, hervor. Eine eigenthümliche
Drüse, welche an der Basis des Fußes liegt und die durch eine Rinne
mit dem zungenförmigen Fuße selbst in Verbindung steht, liefert eine
glashelle, zähe Absonderungsflüssigkeit, die alsbald in Fäden gerinnt
und erhärtet. Die Blattkiemer, welche sich durch solche Fäden fest-
setzen, wozu namentlich die bekannten Miesmuscheln gehören, drücken
den zungenförmigen Fuß an den Ort an, wo sie sich festsetzen wollen,
und ziehen durch drehende Bewegungen einen Faden nach dem andern,
bis die Anheftung gesichert erscheint.

Die Muschelthiere erscheinen in den frühesten Schichten der Erde
und zwar die Armfüßler zu gleicher Zeit mit den Blattkiemern. Beide
Klassen zeigen aber eine wesentliche Verschiedenheit in ihrem Verhalten; --
denn während die Armfüßler massenhaft an Zahl der Individuen, Arten
und Gattungen auftreten, allmählig aber zurücksinken und in unserer

während des Lebens eine ſenkrechte Stellung, den Mund nach unten,
den After nach oben; die Holz- und Steinbohrer dagegen, welche ihre
Löcher in ſenkrechte Wände eintreiben, ſtecken meiſt in horizontaler
Lagerung in ihren Gängen. Die angehefteten Muſcheln ruhen auf
der einen Schale, während die andere frei beweglich iſt, und die freien
Sandkriecher ſchleichen auf dem Mantelrande umher, den Schloß-
rand nach oben gerichtet, indem ſie mit dem aus den Schalen vor-
geſtreckten Fuße Furchen in den Sand ziehen. Die Berückſichtigung
dieſer verſchiedenen Stellungen, welche die Muſchelthiere während der
Zeit ihres Lebens einnehmen, iſt beſonders wichtig für die Geologen,
indem man daraus oft Schlüſſe auf die urſprüngliche Lagerung der
Schichten machen kann, in welchen die Muſchelthiere zur Zeit ihres
Abſatzes lebten, was in Beziehung auf etwaige nachträgliche Lagen-
veränderungen der Schichten von Intereſſe ſein kann. Jedenfalls
aber war es unrichtig, wenn man die gewöhnliche Station der Ufer-
muſcheln mit dem Munde nach unten und dem After nach oben als
Norm für die Bezeichnung der Schalen gebrauchen wollte und die
Afterſeite die obere, die Mundſeite die untere Schalenſeite nannte.

Die unmittelbare Anheftung der Schalen, wie ſie z. B. bei den
Auſtern vorkommt, hat den größten Einfluß auf die Geſtalt und Re-
gelmäßigkeit der Schalen, die ſich oft ihrer Unterlage anſchmiegen und
ſo die Geſtalt derſelben wiederholen. Weit weniger iſt dieſer Einfluß
bei der freieren Art der Anheftung durch Fadengeſpinnſte vorhanden.
Die Sehnenfäden, welche dieſe Anheftung bewirken, treten entweder
durch ein Loch oder durch einen Ausſchnitt der einen Schale, oder
durch eine Lücke zwiſchen beiden Schalen, die meiſt an der vorderen
Seite des Schloßrandes ſich befindet, hervor. Eine eigenthümliche
Drüſe, welche an der Baſis des Fußes liegt und die durch eine Rinne
mit dem zungenförmigen Fuße ſelbſt in Verbindung ſteht, liefert eine
glashelle, zähe Abſonderungsflüſſigkeit, die alsbald in Fäden gerinnt
und erhärtet. Die Blattkiemer, welche ſich durch ſolche Fäden feſt-
ſetzen, wozu namentlich die bekannten Miesmuſcheln gehören, drücken
den zungenförmigen Fuß an den Ort an, wo ſie ſich feſtſetzen wollen,
und ziehen durch drehende Bewegungen einen Faden nach dem andern,
bis die Anheftung geſichert erſcheint.

Die Muſchelthiere erſcheinen in den früheſten Schichten der Erde
und zwar die Armfüßler zu gleicher Zeit mit den Blattkiemern. Beide
Klaſſen zeigen aber eine weſentliche Verſchiedenheit in ihrem Verhalten; —
denn während die Armfüßler maſſenhaft an Zahl der Individuen, Arten
und Gattungen auftreten, allmählig aber zurückſinken und in unſerer

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[282/0288] während des Lebens eine ſenkrechte Stellung, den Mund nach unten, den After nach oben; die Holz- und Steinbohrer dagegen, welche ihre Löcher in ſenkrechte Wände eintreiben, ſtecken meiſt in horizontaler Lagerung in ihren Gängen. Die angehefteten Muſcheln ruhen auf der einen Schale, während die andere frei beweglich iſt, und die freien Sandkriecher ſchleichen auf dem Mantelrande umher, den Schloß- rand nach oben gerichtet, indem ſie mit dem aus den Schalen vor- geſtreckten Fuße Furchen in den Sand ziehen. Die Berückſichtigung dieſer verſchiedenen Stellungen, welche die Muſchelthiere während der Zeit ihres Lebens einnehmen, iſt beſonders wichtig für die Geologen, indem man daraus oft Schlüſſe auf die urſprüngliche Lagerung der Schichten machen kann, in welchen die Muſchelthiere zur Zeit ihres Abſatzes lebten, was in Beziehung auf etwaige nachträgliche Lagen- veränderungen der Schichten von Intereſſe ſein kann. Jedenfalls aber war es unrichtig, wenn man die gewöhnliche Station der Ufer- muſcheln mit dem Munde nach unten und dem After nach oben als Norm für die Bezeichnung der Schalen gebrauchen wollte und die Afterſeite die obere, die Mundſeite die untere Schalenſeite nannte. Die unmittelbare Anheftung der Schalen, wie ſie z. B. bei den Auſtern vorkommt, hat den größten Einfluß auf die Geſtalt und Re- gelmäßigkeit der Schalen, die ſich oft ihrer Unterlage anſchmiegen und ſo die Geſtalt derſelben wiederholen. Weit weniger iſt dieſer Einfluß bei der freieren Art der Anheftung durch Fadengeſpinnſte vorhanden. Die Sehnenfäden, welche dieſe Anheftung bewirken, treten entweder durch ein Loch oder durch einen Ausſchnitt der einen Schale, oder durch eine Lücke zwiſchen beiden Schalen, die meiſt an der vorderen Seite des Schloßrandes ſich befindet, hervor. Eine eigenthümliche Drüſe, welche an der Baſis des Fußes liegt und die durch eine Rinne mit dem zungenförmigen Fuße ſelbſt in Verbindung ſteht, liefert eine glashelle, zähe Abſonderungsflüſſigkeit, die alsbald in Fäden gerinnt und erhärtet. Die Blattkiemer, welche ſich durch ſolche Fäden feſt- ſetzen, wozu namentlich die bekannten Miesmuſcheln gehören, drücken den zungenförmigen Fuß an den Ort an, wo ſie ſich feſtſetzen wollen, und ziehen durch drehende Bewegungen einen Faden nach dem andern, bis die Anheftung geſichert erſcheint. Die Muſchelthiere erſcheinen in den früheſten Schichten der Erde und zwar die Armfüßler zu gleicher Zeit mit den Blattkiemern. Beide Klaſſen zeigen aber eine weſentliche Verſchiedenheit in ihrem Verhalten; — denn während die Armfüßler maſſenhaft an Zahl der Individuen, Arten und Gattungen auftreten, allmählig aber zurückſinken und in unſerer

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/288>, abgerufen am 03.05.2024.