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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Alle Käferlarven verwandeln sich nach einiger Zeit in eine ruhende
Puppe. Die Lebensdauer mancher Larven scheint mehre Jahre zu
dauern; die der Maikäfer z. B. wie man aus den Flugjahren schlie-
ßen kann, drei Jahre; manche Holzbohrer scheinen sogar sechs, zehn
und mehr Jahre als Larven zu leben. Zur Verwandlung ziehen sich
die meisten nur an einen geschützten Ort zurück; einige wenige spinnen
sich aus grober Seide einen Cocon; viele machen sich aus Erde, Holz,
Mist etc. das sie mit einem klebrigen Stoffe zusammenleimen, einen
hohlen Klumpen, der erhärtet und in dessen Innerem die Puppe liegt.
Diese gleicht dem vollkommenen Insekt, nur mit dem Unterschiede, daß
der Körper verkürzt und eingebogen, die Fühler unter die Brust ge-
schlagen, die Flügeldecken sehr kurz, die Füße nach innen eingezogen
sind, während zugleich oft noch besondere Anhänge existiren oder auch
solche des vollendeten Insektes fehlen. Der Puppenschlaf dauert meist
einen Winter hindurch.

Bei der ungemein großen Anzahl von Gattungen und Arten der
Käfer, die einen geordneten Ueberblick sehr erschwert (man zählt jetzt
etwa 30,000 bekannte und beschriebene Arten), war man von Anfang
an bemüht, Unterscheidungszeichen für größere Gruppen oder Unter-
ordnungen zu finden. Alle diese Versuche mißglückten indessen an
der Unbeständigkeit einzelner Charaktere in solchen Familien, deren
sonstige Verwandtschaft nicht zu läugnen war, und an den Uebergän-
gen, welche man vielfach entdeckte. Die Gestaltung und Ausstattung
der Larven mit Füßen, welche Einige zur Grundlage ihrer Einthei-
lung nehmen wollten, scheiterte an der verhältnißmäßig sehr unvoll-
kommenen Kenntniß der Käferlarven -- die Fühlhörner, Flügeldecken etc.
welche Andere zu benutzen suchten, zeigten so mannigfache Uebergänge,
daß man ungewiß werden mußte, wo die Gränze ziehen. Am meisten
hat sich noch die Eintheilung von Latreille erhalten, welcher nach der
Zahl der Tarsenglieder an den Füßen die Käfer in 4 Abtheilungen
bringt: Pentamera: Tarsen überall mit fünf Gliedern; Heteromera:
Tarsen der Vorderbeine mit fünf, die der beiden Paare der Hinter-
beine mit vier Gliedern; Tetramera: Tarsen überall mit vier Gliedern;
Trimera: Tarsen überall mit drei Gliedern.

Es läßt sich nicht läugnen, daß diese Eintheilung viele natürliche
Gruppen richtig trennt, wie z. B. die Heteromeren eine sehr wohl mit
einander verbundene Reihe bilden; auf der anderen Seite aber würde
sie, bei strenger Durchführung, selbst einzelne Familien in sich zer-
spalten und in verschiedene Unterordnungen werfen, während sie an-
derwärts nahe verwandte Familien von einander trennen würde. So

Alle Käferlarven verwandeln ſich nach einiger Zeit in eine ruhende
Puppe. Die Lebensdauer mancher Larven ſcheint mehre Jahre zu
dauern; die der Maikäfer z. B. wie man aus den Flugjahren ſchlie-
ßen kann, drei Jahre; manche Holzbohrer ſcheinen ſogar ſechs, zehn
und mehr Jahre als Larven zu leben. Zur Verwandlung ziehen ſich
die meiſten nur an einen geſchützten Ort zurück; einige wenige ſpinnen
ſich aus grober Seide einen Cocon; viele machen ſich aus Erde, Holz,
Miſt etc. das ſie mit einem klebrigen Stoffe zuſammenleimen, einen
hohlen Klumpen, der erhärtet und in deſſen Innerem die Puppe liegt.
Dieſe gleicht dem vollkommenen Inſekt, nur mit dem Unterſchiede, daß
der Körper verkürzt und eingebogen, die Fühler unter die Bruſt ge-
ſchlagen, die Flügeldecken ſehr kurz, die Füße nach innen eingezogen
ſind, während zugleich oft noch beſondere Anhänge exiſtiren oder auch
ſolche des vollendeten Inſektes fehlen. Der Puppenſchlaf dauert meiſt
einen Winter hindurch.

Bei der ungemein großen Anzahl von Gattungen und Arten der
Käfer, die einen geordneten Ueberblick ſehr erſchwert (man zählt jetzt
etwa 30,000 bekannte und beſchriebene Arten), war man von Anfang
an bemüht, Unterſcheidungszeichen für größere Gruppen oder Unter-
ordnungen zu finden. Alle dieſe Verſuche mißglückten indeſſen an
der Unbeſtändigkeit einzelner Charaktere in ſolchen Familien, deren
ſonſtige Verwandtſchaft nicht zu läugnen war, und an den Uebergän-
gen, welche man vielfach entdeckte. Die Geſtaltung und Ausſtattung
der Larven mit Füßen, welche Einige zur Grundlage ihrer Einthei-
lung nehmen wollten, ſcheiterte an der verhältnißmäßig ſehr unvoll-
kommenen Kenntniß der Käferlarven — die Fühlhörner, Flügeldecken etc.
welche Andere zu benutzen ſuchten, zeigten ſo mannigfache Uebergänge,
daß man ungewiß werden mußte, wo die Gränze ziehen. Am meiſten
hat ſich noch die Eintheilung von Latreille erhalten, welcher nach der
Zahl der Tarſenglieder an den Füßen die Käfer in 4 Abtheilungen
bringt: Pentamera: Tarſen überall mit fünf Gliedern; Heteromera:
Tarſen der Vorderbeine mit fünf, die der beiden Paare der Hinter-
beine mit vier Gliedern; Tetramera: Tarſen überall mit vier Gliedern;
Trimera: Tarſen überall mit drei Gliedern.

Es läßt ſich nicht läugnen, daß dieſe Eintheilung viele natürliche
Gruppen richtig trennt, wie z. B. die Heteromeren eine ſehr wohl mit
einander verbundene Reihe bilden; auf der anderen Seite aber würde
ſie, bei ſtrenger Durchführung, ſelbſt einzelne Familien in ſich zer-
ſpalten und in verſchiedene Unterordnungen werfen, während ſie an-
derwärts nahe verwandte Familien von einander trennen würde. So

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[650/0656] Alle Käferlarven verwandeln ſich nach einiger Zeit in eine ruhende Puppe. Die Lebensdauer mancher Larven ſcheint mehre Jahre zu dauern; die der Maikäfer z. B. wie man aus den Flugjahren ſchlie- ßen kann, drei Jahre; manche Holzbohrer ſcheinen ſogar ſechs, zehn und mehr Jahre als Larven zu leben. Zur Verwandlung ziehen ſich die meiſten nur an einen geſchützten Ort zurück; einige wenige ſpinnen ſich aus grober Seide einen Cocon; viele machen ſich aus Erde, Holz, Miſt etc. das ſie mit einem klebrigen Stoffe zuſammenleimen, einen hohlen Klumpen, der erhärtet und in deſſen Innerem die Puppe liegt. Dieſe gleicht dem vollkommenen Inſekt, nur mit dem Unterſchiede, daß der Körper verkürzt und eingebogen, die Fühler unter die Bruſt ge- ſchlagen, die Flügeldecken ſehr kurz, die Füße nach innen eingezogen ſind, während zugleich oft noch beſondere Anhänge exiſtiren oder auch ſolche des vollendeten Inſektes fehlen. Der Puppenſchlaf dauert meiſt einen Winter hindurch. Bei der ungemein großen Anzahl von Gattungen und Arten der Käfer, die einen geordneten Ueberblick ſehr erſchwert (man zählt jetzt etwa 30,000 bekannte und beſchriebene Arten), war man von Anfang an bemüht, Unterſcheidungszeichen für größere Gruppen oder Unter- ordnungen zu finden. Alle dieſe Verſuche mißglückten indeſſen an der Unbeſtändigkeit einzelner Charaktere in ſolchen Familien, deren ſonſtige Verwandtſchaft nicht zu läugnen war, und an den Uebergän- gen, welche man vielfach entdeckte. Die Geſtaltung und Ausſtattung der Larven mit Füßen, welche Einige zur Grundlage ihrer Einthei- lung nehmen wollten, ſcheiterte an der verhältnißmäßig ſehr unvoll- kommenen Kenntniß der Käferlarven — die Fühlhörner, Flügeldecken etc. welche Andere zu benutzen ſuchten, zeigten ſo mannigfache Uebergänge, daß man ungewiß werden mußte, wo die Gränze ziehen. Am meiſten hat ſich noch die Eintheilung von Latreille erhalten, welcher nach der Zahl der Tarſenglieder an den Füßen die Käfer in 4 Abtheilungen bringt: Pentamera: Tarſen überall mit fünf Gliedern; Heteromera: Tarſen der Vorderbeine mit fünf, die der beiden Paare der Hinter- beine mit vier Gliedern; Tetramera: Tarſen überall mit vier Gliedern; Trimera: Tarſen überall mit drei Gliedern. Es läßt ſich nicht läugnen, daß dieſe Eintheilung viele natürliche Gruppen richtig trennt, wie z. B. die Heteromeren eine ſehr wohl mit einander verbundene Reihe bilden; auf der anderen Seite aber würde ſie, bei ſtrenger Durchführung, ſelbſt einzelne Familien in ſich zer- ſpalten und in verſchiedene Unterordnungen werfen, während ſie an- derwärts nahe verwandte Familien von einander trennen würde. So

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/656>, abgerufen am 14.06.2024.