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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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in andern Fällen als hornartige Büchschen auf; -- oft sogar sind
sie durch Aufnahme von Kieselerde oder Kalk unzerstörbar gemacht, so
daß sie selbst nach dem Glühen des Thieres so wie in fossilem Zustande
zurückbleiben. Im Gegensatze zu der organischen Einfachheit des Kör-
pers, erscheinen diese Schalen oft von äußerst complicirter Gestalt, so
daß man sie vor genauerer Untersuchung des thierischen Körpers,
welcher sie erzeugt und bewohnt, für Produkte weit höherer Thiere
ansah. Die gewöhnlichste Fortpflanzungsart der Protozoen ist die
durch Theilung, und zwar findet diese sowohl der Länge als der Quere
nach statt. Der Kern, welcher im Innern des Thieres liegt und sich
durch seine feste Beschaffenheit von der zerfließenden Substanz des übri-
gen Körpers wohl unterscheidet, leitet diese Theilung ein; -- man
sieht ihn innerhalb des noch einfachen Körpers in Gestalt einer Schuh-
sohle oder eines Bisquits, das sich immer mehr in der Mitte durch-
schnürt, während zugleich die Theilung des ganzen Körpers bis zur
vollständigen Trennung der beiden Hälften sich vollzieht. Seltener
nur und zwar namentlich bei denjenigen Urthieren, welche gemein-
schaftliche Colonieen bilden, erscheint Sprossen- oder Knospenbildung,
indem an irgend einem Theile des Körpers eine Ausbuchtung entsteht,
welche sich allmählig zu einem vollständigen Thiere gestaltet und ent-
weder mit dem Mutterthiere im Zusammenhang bleibt, oder sich von
demselben losreißt, um selbstständig eine Colonie zu bilden. Wenn
diese Knospen, wie es häufig der Fall ist, nach bestimmten mathema-
tischen Gesetzen an berechneten Stellen sich entwickeln, so entstehen
Schalen von regelmäßiger Form, während sonst meist unregelmäßig
verästelte baumartige Kolonieen sich bilden. Endlich kommt bei einigen
höheren Gattungen der Urthiere (den Glockenthierchen oder Vorticel-
liden), sogar eine Fortpflanzungsweise vor, welche mit der Ammen-
zeugung verglichen werden kann. Das Individuum als solches stirbt
ab und verwandelt sich in einen meist unbeweglichen Körper, der in
seinem Innern in steter Reihenfolge Kerne erzeugt, die sich zu selbst-
ständigen Wesen entwickeln, so daß also aus der Amme mehrfache Jun-
gen hervorgehen, die, wie es scheint, sich unmittelbar durch Metamor-
phose in die Form des Mutterthieres umwandeln. Geschlechtsorgane
und deren Produkte, wie besonders Eier, Sinnesorgane, abgesondertes
Nervensystem, Athmungsorgane sind noch bei keinem zu den Protozoen
gehörigen Thiere entdeckt worden.

Die Bewegungsorgane geben durch ihre verschiedene Beschaffen-
heit hauptsächlich den Grund zur weitern Klasseneintheilung der Pro-
tozoen. Die Körpersubstanz selbst ist überall in hohem Grade contrac-

in andern Fällen als hornartige Büchschen auf; — oft ſogar ſind
ſie durch Aufnahme von Kieſelerde oder Kalk unzerſtörbar gemacht, ſo
daß ſie ſelbſt nach dem Glühen des Thieres ſo wie in foſſilem Zuſtande
zurückbleiben. Im Gegenſatze zu der organiſchen Einfachheit des Kör-
pers, erſcheinen dieſe Schalen oft von äußerſt complicirter Geſtalt, ſo
daß man ſie vor genauerer Unterſuchung des thieriſchen Körpers,
welcher ſie erzeugt und bewohnt, für Produkte weit höherer Thiere
anſah. Die gewöhnlichſte Fortpflanzungsart der Protozoen iſt die
durch Theilung, und zwar findet dieſe ſowohl der Länge als der Quere
nach ſtatt. Der Kern, welcher im Innern des Thieres liegt und ſich
durch ſeine feſte Beſchaffenheit von der zerfließenden Subſtanz des übri-
gen Körpers wohl unterſcheidet, leitet dieſe Theilung ein; — man
ſieht ihn innerhalb des noch einfachen Körpers in Geſtalt einer Schuh-
ſohle oder eines Bisquits, das ſich immer mehr in der Mitte durch-
ſchnürt, während zugleich die Theilung des ganzen Körpers bis zur
vollſtändigen Trennung der beiden Hälften ſich vollzieht. Seltener
nur und zwar namentlich bei denjenigen Urthieren, welche gemein-
ſchaftliche Colonieen bilden, erſcheint Sproſſen- oder Knoſpenbildung,
indem an irgend einem Theile des Körpers eine Ausbuchtung entſteht,
welche ſich allmählig zu einem vollſtändigen Thiere geſtaltet und ent-
weder mit dem Mutterthiere im Zuſammenhang bleibt, oder ſich von
demſelben losreißt, um ſelbſtſtändig eine Colonie zu bilden. Wenn
dieſe Knoſpen, wie es häufig der Fall iſt, nach beſtimmten mathema-
tiſchen Geſetzen an berechneten Stellen ſich entwickeln, ſo entſtehen
Schalen von regelmäßiger Form, während ſonſt meiſt unregelmäßig
veräſtelte baumartige Kolonieen ſich bilden. Endlich kommt bei einigen
höheren Gattungen der Urthiere (den Glockenthierchen oder Vorticel-
liden), ſogar eine Fortpflanzungsweiſe vor, welche mit der Ammen-
zeugung verglichen werden kann. Das Individuum als ſolches ſtirbt
ab und verwandelt ſich in einen meiſt unbeweglichen Körper, der in
ſeinem Innern in ſteter Reihenfolge Kerne erzeugt, die ſich zu ſelbſt-
ſtändigen Weſen entwickeln, ſo daß alſo aus der Amme mehrfache Jun-
gen hervorgehen, die, wie es ſcheint, ſich unmittelbar durch Metamor-
phoſe in die Form des Mutterthieres umwandeln. Geſchlechtsorgane
und deren Produkte, wie beſonders Eier, Sinnesorgane, abgeſondertes
Nervenſyſtem, Athmungsorgane ſind noch bei keinem zu den Protozoen
gehörigen Thiere entdeckt worden.

Die Bewegungsorgane geben durch ihre verſchiedene Beſchaffen-
heit hauptſächlich den Grund zur weitern Klaſſeneintheilung der Pro-
tozoen. Die Körperſubſtanz ſelbſt iſt überall in hohem Grade contrac-

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[79/0085] in andern Fällen als hornartige Büchschen auf; — oft ſogar ſind ſie durch Aufnahme von Kieſelerde oder Kalk unzerſtörbar gemacht, ſo daß ſie ſelbſt nach dem Glühen des Thieres ſo wie in foſſilem Zuſtande zurückbleiben. Im Gegenſatze zu der organiſchen Einfachheit des Kör- pers, erſcheinen dieſe Schalen oft von äußerſt complicirter Geſtalt, ſo daß man ſie vor genauerer Unterſuchung des thieriſchen Körpers, welcher ſie erzeugt und bewohnt, für Produkte weit höherer Thiere anſah. Die gewöhnlichſte Fortpflanzungsart der Protozoen iſt die durch Theilung, und zwar findet dieſe ſowohl der Länge als der Quere nach ſtatt. Der Kern, welcher im Innern des Thieres liegt und ſich durch ſeine feſte Beſchaffenheit von der zerfließenden Subſtanz des übri- gen Körpers wohl unterſcheidet, leitet dieſe Theilung ein; — man ſieht ihn innerhalb des noch einfachen Körpers in Geſtalt einer Schuh- ſohle oder eines Bisquits, das ſich immer mehr in der Mitte durch- ſchnürt, während zugleich die Theilung des ganzen Körpers bis zur vollſtändigen Trennung der beiden Hälften ſich vollzieht. Seltener nur und zwar namentlich bei denjenigen Urthieren, welche gemein- ſchaftliche Colonieen bilden, erſcheint Sproſſen- oder Knoſpenbildung, indem an irgend einem Theile des Körpers eine Ausbuchtung entſteht, welche ſich allmählig zu einem vollſtändigen Thiere geſtaltet und ent- weder mit dem Mutterthiere im Zuſammenhang bleibt, oder ſich von demſelben losreißt, um ſelbſtſtändig eine Colonie zu bilden. Wenn dieſe Knoſpen, wie es häufig der Fall iſt, nach beſtimmten mathema- tiſchen Geſetzen an berechneten Stellen ſich entwickeln, ſo entſtehen Schalen von regelmäßiger Form, während ſonſt meiſt unregelmäßig veräſtelte baumartige Kolonieen ſich bilden. Endlich kommt bei einigen höheren Gattungen der Urthiere (den Glockenthierchen oder Vorticel- liden), ſogar eine Fortpflanzungsweiſe vor, welche mit der Ammen- zeugung verglichen werden kann. Das Individuum als ſolches ſtirbt ab und verwandelt ſich in einen meiſt unbeweglichen Körper, der in ſeinem Innern in ſteter Reihenfolge Kerne erzeugt, die ſich zu ſelbſt- ſtändigen Weſen entwickeln, ſo daß alſo aus der Amme mehrfache Jun- gen hervorgehen, die, wie es ſcheint, ſich unmittelbar durch Metamor- phoſe in die Form des Mutterthieres umwandeln. Geſchlechtsorgane und deren Produkte, wie beſonders Eier, Sinnesorgane, abgeſondertes Nervenſyſtem, Athmungsorgane ſind noch bei keinem zu den Protozoen gehörigen Thiere entdeckt worden. Die Bewegungsorgane geben durch ihre verſchiedene Beſchaffen- heit hauptſächlich den Grund zur weitern Klaſſeneintheilung der Pro- tozoen. Die Körperſubſtanz ſelbſt iſt überall in hohem Grade contrac-

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/85>, abgerufen am 27.04.2024.