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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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die Eier bis zur vollständigen Entwickelung der Jungen zu behalten,
indem man ihnen die Gelegenheit benimmt, sie an geeignete Orte ab-
zulegen. Die meisten Reptilien verscharren die Eier im Sande oder
in feuchter Erde und überlassen sie sich selbst. Die Krokodile und
manche Eidechsen sollen in der Nähe wachen und nach Beobachtungen
in Menagerien wickeln sich die großen Würgschlangen über ihren Eiern
kegelförmig zusammen und brüten sie förmlich aus.

Obgleich zu dem Studium der Entwickelungsgeschichte bei
den Reptilien weit weniger Gelegenheit gegeben ist, als bei den Vögeln,
die sich ihnen in den ersten Zuständen so vollständig anschließen, so
sind dennoch die Entwickelungsstadien unserer einheimischen Schlangen
und Schildkröten ziemlich vollständig untersucht worden. Die Schil-
derung, welche wir hier also von der Entwickelung der Reptilien
geben, kann ebensowohl auf diejenige der Vögel und mit geringen
Modificationen selbst auf die der Säugethiere angewandt werden, zum
neuen Beweise für den Satz, daß die Divergenzen der Bildung erst
im Laufe der Entwickelung sich herausstellen, während die allgemeinen
Verwandtschaften um so auffallender vor die Augen treten, in je
früheren Stadien man die von einem gemeinsamen Typus ausgehen-
den Bildungen untersucht. So stellt sich denn auch hier von früher
Zeit an ein fundamentaler Unterschied zwischen den Reptilien und
Amphibien heraus, die sonst ihres kalten Blutes und mancher anderer
Aehnlichkeiten wegen zusammengestellt wurden, während andererseits
zwischen den Reptilien und Vögeln, welche im erwachsenen Zustande
so geringe Aehnlichkeit mit einander zeigen, die große Verwandtschaft
und das Zusammengehören zu einem Typus durch die Struktur der
Embryonen dargethan wird, zu deren Unterscheidung in der ersten
Zeit es eines sehr geübten Beobachters bedarf.

Das befruchtete Ei der Reptilien zeigt auf der Oberfläche des
Dotters eine rundliche Stelle mit verwischter Begränzung, welche
eine weißliche Farbe hat und demjenigen Theile der Hühnereier ana-
log ist, welche man unter dem Namen des Hahnentrittes im gemeinen
Leben bezeichnet. Dieser Keim besteht aus kleinen Zellen, welche fast
farblos sind und so im Gegensatze zu dem gelben Dotter die weißliche
Farbe entstehen lassen; er bildet die erste Grundlage der Embryonal-
entwickelung und stellt sich als den Centralpunkt derjenigen Bildungen
dar, welche den Aufbau des Embryos vermitteln. Man hat behauptet,
daß die Zellen, welche ihn zusammensetzen, hier sowohl, wie bei den

die Eier bis zur vollſtändigen Entwickelung der Jungen zu behalten,
indem man ihnen die Gelegenheit benimmt, ſie an geeignete Orte ab-
zulegen. Die meiſten Reptilien verſcharren die Eier im Sande oder
in feuchter Erde und überlaſſen ſie ſich ſelbſt. Die Krokodile und
manche Eidechſen ſollen in der Nähe wachen und nach Beobachtungen
in Menagerien wickeln ſich die großen Würgſchlangen über ihren Eiern
kegelförmig zuſammen und brüten ſie förmlich aus.

Obgleich zu dem Studium der Entwickelungsgeſchichte bei
den Reptilien weit weniger Gelegenheit gegeben iſt, als bei den Vögeln,
die ſich ihnen in den erſten Zuſtänden ſo vollſtändig anſchließen, ſo
ſind dennoch die Entwickelungsſtadien unſerer einheimiſchen Schlangen
und Schildkröten ziemlich vollſtändig unterſucht worden. Die Schil-
derung, welche wir hier alſo von der Entwickelung der Reptilien
geben, kann ebenſowohl auf diejenige der Vögel und mit geringen
Modificationen ſelbſt auf die der Säugethiere angewandt werden, zum
neuen Beweiſe für den Satz, daß die Divergenzen der Bildung erſt
im Laufe der Entwickelung ſich herausſtellen, während die allgemeinen
Verwandtſchaften um ſo auffallender vor die Augen treten, in je
früheren Stadien man die von einem gemeinſamen Typus ausgehen-
den Bildungen unterſucht. So ſtellt ſich denn auch hier von früher
Zeit an ein fundamentaler Unterſchied zwiſchen den Reptilien und
Amphibien heraus, die ſonſt ihres kalten Blutes und mancher anderer
Aehnlichkeiten wegen zuſammengeſtellt wurden, während andererſeits
zwiſchen den Reptilien und Vögeln, welche im erwachſenen Zuſtande
ſo geringe Aehnlichkeit mit einander zeigen, die große Verwandtſchaft
und das Zuſammengehören zu einem Typus durch die Struktur der
Embryonen dargethan wird, zu deren Unterſcheidung in der erſten
Zeit es eines ſehr geübten Beobachters bedarf.

Das befruchtete Ei der Reptilien zeigt auf der Oberfläche des
Dotters eine rundliche Stelle mit verwiſchter Begränzung, welche
eine weißliche Farbe hat und demjenigen Theile der Hühnereier ana-
log iſt, welche man unter dem Namen des Hahnentrittes im gemeinen
Leben bezeichnet. Dieſer Keim beſteht aus kleinen Zellen, welche faſt
farblos ſind und ſo im Gegenſatze zu dem gelben Dotter die weißliche
Farbe entſtehen laſſen; er bildet die erſte Grundlage der Embryonal-
entwickelung und ſtellt ſich als den Centralpunkt derjenigen Bildungen
dar, welche den Aufbau des Embryos vermitteln. Man hat behauptet,
daß die Zellen, welche ihn zuſammenſetzen, hier ſowohl, wie bei den

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[242/0248] die Eier bis zur vollſtändigen Entwickelung der Jungen zu behalten, indem man ihnen die Gelegenheit benimmt, ſie an geeignete Orte ab- zulegen. Die meiſten Reptilien verſcharren die Eier im Sande oder in feuchter Erde und überlaſſen ſie ſich ſelbſt. Die Krokodile und manche Eidechſen ſollen in der Nähe wachen und nach Beobachtungen in Menagerien wickeln ſich die großen Würgſchlangen über ihren Eiern kegelförmig zuſammen und brüten ſie förmlich aus. Obgleich zu dem Studium der Entwickelungsgeſchichte bei den Reptilien weit weniger Gelegenheit gegeben iſt, als bei den Vögeln, die ſich ihnen in den erſten Zuſtänden ſo vollſtändig anſchließen, ſo ſind dennoch die Entwickelungsſtadien unſerer einheimiſchen Schlangen und Schildkröten ziemlich vollſtändig unterſucht worden. Die Schil- derung, welche wir hier alſo von der Entwickelung der Reptilien geben, kann ebenſowohl auf diejenige der Vögel und mit geringen Modificationen ſelbſt auf die der Säugethiere angewandt werden, zum neuen Beweiſe für den Satz, daß die Divergenzen der Bildung erſt im Laufe der Entwickelung ſich herausſtellen, während die allgemeinen Verwandtſchaften um ſo auffallender vor die Augen treten, in je früheren Stadien man die von einem gemeinſamen Typus ausgehen- den Bildungen unterſucht. So ſtellt ſich denn auch hier von früher Zeit an ein fundamentaler Unterſchied zwiſchen den Reptilien und Amphibien heraus, die ſonſt ihres kalten Blutes und mancher anderer Aehnlichkeiten wegen zuſammengeſtellt wurden, während andererſeits zwiſchen den Reptilien und Vögeln, welche im erwachſenen Zuſtande ſo geringe Aehnlichkeit mit einander zeigen, die große Verwandtſchaft und das Zuſammengehören zu einem Typus durch die Struktur der Embryonen dargethan wird, zu deren Unterſcheidung in der erſten Zeit es eines ſehr geübten Beobachters bedarf. Das befruchtete Ei der Reptilien zeigt auf der Oberfläche des Dotters eine rundliche Stelle mit verwiſchter Begränzung, welche eine weißliche Farbe hat und demjenigen Theile der Hühnereier ana- log iſt, welche man unter dem Namen des Hahnentrittes im gemeinen Leben bezeichnet. Dieſer Keim beſteht aus kleinen Zellen, welche faſt farblos ſind und ſo im Gegenſatze zu dem gelben Dotter die weißliche Farbe entſtehen laſſen; er bildet die erſte Grundlage der Embryonal- entwickelung und ſtellt ſich als den Centralpunkt derjenigen Bildungen dar, welche den Aufbau des Embryos vermitteln. Man hat behauptet, daß die Zellen, welche ihn zuſammenſetzen, hier ſowohl, wie bei den

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/248>, abgerufen am 29.04.2024.