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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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Hühnern zu trennen und erst in neuerer Zeit machte man Untersu-
chungen, auf welche gestützt man die früher so unförmliche Gruppe
der Singvögel in mehrere Abtheilungen zerlegen konnte. Man hatte
irrthümlicher Weise den Schnabel als wesentliches, ja fast als einziges
Organ betrachtet, nach welchem man das System aufstellte, und man
gerieth dadurch in ein durchaus künstliches System, bei welchem gerade
die Modifikationen desjenigen Organes, welches am meisten den Ein-
flüssen der äußeren Verhältnisse ausgesetzt ist, die wichtigste Stelle
einnehmen. In neuerer Zeit hat man besonders viele Wichtigkeit auf
das Vorhandensein und die Ausbildung des Singmuskelapparates,
auf die Zahl und das Verhältniß der Schwungfedern und auf die
Bekleidung des Laufes gelegt und hiernach sowohl die Ordnungen,
als auch die Familien genauer zu umgränzen gesucht. Auch diese Ein-
theilung, welche den jetzt vorhandenen Hilfsmitteln durchaus entspricht,
wird später aufgegeben werden müssen, sobald die Form des Schädels
und des Gehirnes in ausgedehnterem Maße in Betrachtung gezogen
werden können, als dieß bis jetzt der Fall gewesen ist, wo man sich
nur mit den trockenen Bälgen für die meisten ausländischen Gattungen
behelfen mußte und zudem gegen einen unerträglichen Dilettantismus
zu kämpfen hatte, welcher sich oft sogar die undankbare Mühe nahm,
die Arten auf das kleinlichste zu zersplittern und auf die unbedeutend-
sten Unterschiede sogenannte Subspecies zu gründen. Es ist schwer zu
sagen, was der wissenschaftlichen Ornithologie mehr Schaden gebracht
habe, ob die Caprice reicher Sammler, die nur die Schönheit des
Federbalges schätzten, oder die Leidenschaft geistesbeschränkter Land-
pfarrer und pensionirter Förster, welche mit jedem Neste in der Um-
gegend ihres Wohnortes genauere Bekanntschaft machten, und so zu
sagen genealogische Register über die Spatzenfamilien führten, welche
unter den Dächern ihres Dorfes nisteten.

Wir unterscheiden bei den Vögeln zwei Reihen, deren jede wieder
in mehrere Ordnungen zerfällt. Bei den einen, den eigentlich typischen
Vögeln, unter welchen wir die Singvögel, die Schreivögel, die Klet-
tervögel und die Raubvögel begreifen, tritt uns wesentlich die Sorge
für die Jungen entgegen, welche längere Zeit hilflos im Neste liegen
und hier von den Eltern meist mit ausgezeichneter Sorgfalt und Auf-
opferung geätzt und gepflegt werden. Die Nesthocker (Insessores)
tragen entweder ihren Jungen das Futter einfach zu, was namentlich
der Fall ist, sobald dasselbe aus Fleisch oder aus Insekten besteht, oder
sie erweichen das Futter vorher in dem Kropfe und füttern es dann,

Hühnern zu trennen und erſt in neuerer Zeit machte man Unterſu-
chungen, auf welche geſtützt man die früher ſo unförmliche Gruppe
der Singvögel in mehrere Abtheilungen zerlegen konnte. Man hatte
irrthümlicher Weiſe den Schnabel als weſentliches, ja faſt als einziges
Organ betrachtet, nach welchem man das Syſtem aufſtellte, und man
gerieth dadurch in ein durchaus künſtliches Syſtem, bei welchem gerade
die Modifikationen desjenigen Organes, welches am meiſten den Ein-
flüſſen der äußeren Verhältniſſe ausgeſetzt iſt, die wichtigſte Stelle
einnehmen. In neuerer Zeit hat man beſonders viele Wichtigkeit auf
das Vorhandenſein und die Ausbildung des Singmuskelapparates,
auf die Zahl und das Verhältniß der Schwungfedern und auf die
Bekleidung des Laufes gelegt und hiernach ſowohl die Ordnungen,
als auch die Familien genauer zu umgränzen geſucht. Auch dieſe Ein-
theilung, welche den jetzt vorhandenen Hilfsmitteln durchaus entſpricht,
wird ſpäter aufgegeben werden müſſen, ſobald die Form des Schädels
und des Gehirnes in ausgedehnterem Maße in Betrachtung gezogen
werden können, als dieß bis jetzt der Fall geweſen iſt, wo man ſich
nur mit den trockenen Bälgen für die meiſten ausländiſchen Gattungen
behelfen mußte und zudem gegen einen unerträglichen Dilettantismus
zu kämpfen hatte, welcher ſich oft ſogar die undankbare Mühe nahm,
die Arten auf das kleinlichſte zu zerſplittern und auf die unbedeutend-
ſten Unterſchiede ſogenannte Subſpecies zu gründen. Es iſt ſchwer zu
ſagen, was der wiſſenſchaftlichen Ornithologie mehr Schaden gebracht
habe, ob die Caprice reicher Sammler, die nur die Schönheit des
Federbalges ſchätzten, oder die Leidenſchaft geiſtesbeſchränkter Land-
pfarrer und penſionirter Förſter, welche mit jedem Neſte in der Um-
gegend ihres Wohnortes genauere Bekanntſchaft machten, und ſo zu
ſagen genealogiſche Regiſter über die Spatzenfamilien führten, welche
unter den Dächern ihres Dorfes niſteten.

Wir unterſcheiden bei den Vögeln zwei Reihen, deren jede wieder
in mehrere Ordnungen zerfällt. Bei den einen, den eigentlich typiſchen
Vögeln, unter welchen wir die Singvögel, die Schreivögel, die Klet-
tervögel und die Raubvögel begreifen, tritt uns weſentlich die Sorge
für die Jungen entgegen, welche längere Zeit hilflos im Neſte liegen
und hier von den Eltern meiſt mit ausgezeichneter Sorgfalt und Auf-
opferung geätzt und gepflegt werden. Die Neſthocker (Insessores)
tragen entweder ihren Jungen das Futter einfach zu, was namentlich
der Fall iſt, ſobald daſſelbe aus Fleiſch oder aus Inſekten beſteht, oder
ſie erweichen das Futter vorher in dem Kropfe und füttern es dann,

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[327/0333] Hühnern zu trennen und erſt in neuerer Zeit machte man Unterſu- chungen, auf welche geſtützt man die früher ſo unförmliche Gruppe der Singvögel in mehrere Abtheilungen zerlegen konnte. Man hatte irrthümlicher Weiſe den Schnabel als weſentliches, ja faſt als einziges Organ betrachtet, nach welchem man das Syſtem aufſtellte, und man gerieth dadurch in ein durchaus künſtliches Syſtem, bei welchem gerade die Modifikationen desjenigen Organes, welches am meiſten den Ein- flüſſen der äußeren Verhältniſſe ausgeſetzt iſt, die wichtigſte Stelle einnehmen. In neuerer Zeit hat man beſonders viele Wichtigkeit auf das Vorhandenſein und die Ausbildung des Singmuskelapparates, auf die Zahl und das Verhältniß der Schwungfedern und auf die Bekleidung des Laufes gelegt und hiernach ſowohl die Ordnungen, als auch die Familien genauer zu umgränzen geſucht. Auch dieſe Ein- theilung, welche den jetzt vorhandenen Hilfsmitteln durchaus entſpricht, wird ſpäter aufgegeben werden müſſen, ſobald die Form des Schädels und des Gehirnes in ausgedehnterem Maße in Betrachtung gezogen werden können, als dieß bis jetzt der Fall geweſen iſt, wo man ſich nur mit den trockenen Bälgen für die meiſten ausländiſchen Gattungen behelfen mußte und zudem gegen einen unerträglichen Dilettantismus zu kämpfen hatte, welcher ſich oft ſogar die undankbare Mühe nahm, die Arten auf das kleinlichſte zu zerſplittern und auf die unbedeutend- ſten Unterſchiede ſogenannte Subſpecies zu gründen. Es iſt ſchwer zu ſagen, was der wiſſenſchaftlichen Ornithologie mehr Schaden gebracht habe, ob die Caprice reicher Sammler, die nur die Schönheit des Federbalges ſchätzten, oder die Leidenſchaft geiſtesbeſchränkter Land- pfarrer und penſionirter Förſter, welche mit jedem Neſte in der Um- gegend ihres Wohnortes genauere Bekanntſchaft machten, und ſo zu ſagen genealogiſche Regiſter über die Spatzenfamilien führten, welche unter den Dächern ihres Dorfes niſteten. Wir unterſcheiden bei den Vögeln zwei Reihen, deren jede wieder in mehrere Ordnungen zerfällt. Bei den einen, den eigentlich typiſchen Vögeln, unter welchen wir die Singvögel, die Schreivögel, die Klet- tervögel und die Raubvögel begreifen, tritt uns weſentlich die Sorge für die Jungen entgegen, welche längere Zeit hilflos im Neſte liegen und hier von den Eltern meiſt mit ausgezeichneter Sorgfalt und Auf- opferung geätzt und gepflegt werden. Die Neſthocker (Insessores) tragen entweder ihren Jungen das Futter einfach zu, was namentlich der Fall iſt, ſobald daſſelbe aus Fleiſch oder aus Inſekten beſteht, oder ſie erweichen das Futter vorher in dem Kropfe und füttern es dann,

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/333>, abgerufen am 26.04.2024.