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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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[Abbildung] Fig. 1409.

Schädel des Erdschweines vom Kap (Orycteropus capensis).

Schädel dieser Thiere ist bei den insektenfressenden Gattungen lang
gestreckt, fast cylindrisch, der Hirntheil sehr klein, die Kiefer sehr lang,
aber schwach und wenig entwickelt; bei den pflanzenfressenden Faul-
thieren ist der Schädel rund, die Kiefer kurz, hoch und stark. Eini-
gen Gattungen fehlen alle Zähne durchaus, bei anderen existiren nur
wenige, schlecht entwickelte Backzähne aus einem einzigen Schmelz-
prisma gebildet, das vollkommen wurzellos ist und eine weichere Zahn-
substanz umschließt; bei anderen treten hierzu noch kleine, stumpf
kegelförmige Eckzähne und nur eine einzige Art besitzt zwei kleine un-
ausgebildete Vorderzähne, die in ihrer Struktur ganz den Backzähnen
ähnlich sind. Die Wirbelsäule dieser Thiere ist stets sehr kräftig, die
Halswirbelsäule einiger Arten dadurch ausgezeichnet, daß bis zu
neun Wirbeln darin vorkommen; der Schwanz gewöhnlich lang; die
Extremitäten meist kurz, dick, in ihrer ganzen Struktur plump und
ihre Knochen oft in seltsamer Weise mit einander verwachsen. Die
Zehen der Thiere sind selten vollständig getrennt, meist nur gegen
die Spitze hin geschieden, hier aber mit ungeheuer langen, gebogenen
Sichelkrallen bewaffnet, welche besonders zum Aufgraben der Erde
oder zum Umfassen von Bäumen geschickt erscheinen. Das Gehirn ist
klein, ohne Windungen oder nur mit sehr flachen Furchen versehen;
die Hemisphären des großen Gehirnes decken das kleine Gehirn nicht.
Das äußere Ohr fehlt vielen Arten, ist aber bei anderen sehr ent-
wickelt; die Zunge ist meist sehr lang, wurm- oder riemenförmig.
Die Verdauungsorgane je nach der Nahrung verschieden gebildet. Die
Hoden liegen stets in der Bauchhöhle. Es sind träge, meist nächt-
liche Thiere von äußerst stumpfen Sinnen, die theils in Erdlöchern,
theils auf Bäumen vereinzelt leben und höchstens die Größe eines
mäßigen Hundes erreichen. In der Vorwelt gab es einige gigantische
Formen, welche theils ein Mittelglied zwischen den jetzt lebenden Fa-
milien bilden, theils auch zu den Dickhäutern hinüberleiten und deren
Ueberreste bis jetzt besonders häufig in den Tertiärschichten Südame-
rikas gefunden wurden.


Vogt, Zoologische Briefe. II. 31


[Abbildung] Fig. 1409.

Schädel des Erdſchweines vom Kap (Orycteropus capensis).

Schädel dieſer Thiere iſt bei den inſektenfreſſenden Gattungen lang
geſtreckt, faſt cylindriſch, der Hirntheil ſehr klein, die Kiefer ſehr lang,
aber ſchwach und wenig entwickelt; bei den pflanzenfreſſenden Faul-
thieren iſt der Schädel rund, die Kiefer kurz, hoch und ſtark. Eini-
gen Gattungen fehlen alle Zähne durchaus, bei anderen exiſtiren nur
wenige, ſchlecht entwickelte Backzähne aus einem einzigen Schmelz-
prisma gebildet, das vollkommen wurzellos iſt und eine weichere Zahn-
ſubſtanz umſchließt; bei anderen treten hierzu noch kleine, ſtumpf
kegelförmige Eckzähne und nur eine einzige Art beſitzt zwei kleine un-
ausgebildete Vorderzähne, die in ihrer Struktur ganz den Backzähnen
ähnlich ſind. Die Wirbelſäule dieſer Thiere iſt ſtets ſehr kräftig, die
Halswirbelſäule einiger Arten dadurch ausgezeichnet, daß bis zu
neun Wirbeln darin vorkommen; der Schwanz gewöhnlich lang; die
Extremitäten meiſt kurz, dick, in ihrer ganzen Struktur plump und
ihre Knochen oft in ſeltſamer Weiſe mit einander verwachſen. Die
Zehen der Thiere ſind ſelten vollſtändig getrennt, meiſt nur gegen
die Spitze hin geſchieden, hier aber mit ungeheuer langen, gebogenen
Sichelkrallen bewaffnet, welche beſonders zum Aufgraben der Erde
oder zum Umfaſſen von Bäumen geſchickt erſcheinen. Das Gehirn iſt
klein, ohne Windungen oder nur mit ſehr flachen Furchen verſehen;
die Hemiſphären des großen Gehirnes decken das kleine Gehirn nicht.
Das äußere Ohr fehlt vielen Arten, iſt aber bei anderen ſehr ent-
wickelt; die Zunge iſt meiſt ſehr lang, wurm- oder riemenförmig.
Die Verdauungsorgane je nach der Nahrung verſchieden gebildet. Die
Hoden liegen ſtets in der Bauchhöhle. Es ſind träge, meiſt nächt-
liche Thiere von äußerſt ſtumpfen Sinnen, die theils in Erdlöchern,
theils auf Bäumen vereinzelt leben und höchſtens die Größe eines
mäßigen Hundes erreichen. In der Vorwelt gab es einige gigantiſche
Formen, welche theils ein Mittelglied zwiſchen den jetzt lebenden Fa-
milien bilden, theils auch zu den Dickhäutern hinüberleiten und deren
Ueberreſte bis jetzt beſonders häufig in den Tertiärſchichten Südame-
rikas gefunden wurden.


Vogt, Zoologiſche Briefe. II. 31
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[481/0487] [Abbildung Fig. 1409. Schädel des Erdſchweines vom Kap (Orycteropus capensis).] Schädel dieſer Thiere iſt bei den inſektenfreſſenden Gattungen lang geſtreckt, faſt cylindriſch, der Hirntheil ſehr klein, die Kiefer ſehr lang, aber ſchwach und wenig entwickelt; bei den pflanzenfreſſenden Faul- thieren iſt der Schädel rund, die Kiefer kurz, hoch und ſtark. Eini- gen Gattungen fehlen alle Zähne durchaus, bei anderen exiſtiren nur wenige, ſchlecht entwickelte Backzähne aus einem einzigen Schmelz- prisma gebildet, das vollkommen wurzellos iſt und eine weichere Zahn- ſubſtanz umſchließt; bei anderen treten hierzu noch kleine, ſtumpf kegelförmige Eckzähne und nur eine einzige Art beſitzt zwei kleine un- ausgebildete Vorderzähne, die in ihrer Struktur ganz den Backzähnen ähnlich ſind. Die Wirbelſäule dieſer Thiere iſt ſtets ſehr kräftig, die Halswirbelſäule einiger Arten dadurch ausgezeichnet, daß bis zu neun Wirbeln darin vorkommen; der Schwanz gewöhnlich lang; die Extremitäten meiſt kurz, dick, in ihrer ganzen Struktur plump und ihre Knochen oft in ſeltſamer Weiſe mit einander verwachſen. Die Zehen der Thiere ſind ſelten vollſtändig getrennt, meiſt nur gegen die Spitze hin geſchieden, hier aber mit ungeheuer langen, gebogenen Sichelkrallen bewaffnet, welche beſonders zum Aufgraben der Erde oder zum Umfaſſen von Bäumen geſchickt erſcheinen. Das Gehirn iſt klein, ohne Windungen oder nur mit ſehr flachen Furchen verſehen; die Hemiſphären des großen Gehirnes decken das kleine Gehirn nicht. Das äußere Ohr fehlt vielen Arten, iſt aber bei anderen ſehr ent- wickelt; die Zunge iſt meiſt ſehr lang, wurm- oder riemenförmig. Die Verdauungsorgane je nach der Nahrung verſchieden gebildet. Die Hoden liegen ſtets in der Bauchhöhle. Es ſind träge, meiſt nächt- liche Thiere von äußerſt ſtumpfen Sinnen, die theils in Erdlöchern, theils auf Bäumen vereinzelt leben und höchſtens die Größe eines mäßigen Hundes erreichen. In der Vorwelt gab es einige gigantiſche Formen, welche theils ein Mittelglied zwiſchen den jetzt lebenden Fa- milien bilden, theils auch zu den Dickhäutern hinüberleiten und deren Ueberreſte bis jetzt beſonders häufig in den Tertiärſchichten Südame- rikas gefunden wurden. Vogt, Zoologiſche Briefe. II. 31

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/487>, abgerufen am 26.04.2024.