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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.
Legte sie schnell in den Saal auf einen Seßel, die Stierhaut
Trug er hinaus, und flehete Zeus mit erhobenen Händen:

Vater Zeus, wenn ihr Götter nach vielem Jammer mich huldreich
Ueber Waßer und Land in meine Heimat geführt habt;
O so rede nun einer der Wachenden glückliche Worte 100
Hier im Palast, und draußen gescheh ein Zeichen vom Himmel!

Also flehte der Held; den Flehenden hörte Kronion.
Und er donnerte schnell vom glanzerhellten Olümpos
Hoch aus den Wolken herab. Da freute sich herzlich Odüßeus.
Plözlich hört' er ein mahlendes Weib, das glückliche Worte 105
Redete, nahe bei ihm, wo die Mühlen des Königes standen.
Täglich waren alhier zwölf Müllerinnen beschäftigt,
Weizen- und Gerstenmehl, das Mark der Männer, zu mahlen.
Aber die übrigen schliefen, nachdem sie den Weizen zermalmet;
Sie nur feirte noch nicht, denn sie war von allen die schwächste. 110
Stehen ließ sie die Mühl', und sprach die profetischen Worte:

Vater Zeus, der Götter und sterblichen Menschen Beherscher,
Wahrlich du donnertest laut vom Sternenhimmel, und nirgends
Ist ein Gewölk; du sendest gewiß jemanden ein Zeichen.
Ach so gewähr' auch jezo mir armen Weibe die Bitte! 115
Laß die stolzen Freier zum leztenmal heute, zum lezten!
Ihren üppigen Schmaus in Odüßeus Hause genießen,
Welche mir alle Kraft durch die seelenkränkende Arbeit,
Mehl zu bereiten, geraubt! Nun laß sie zum leztenmal schwelgen!

Sprachs; und freudig vernahm Odüßeus ihre Verkündung, 120
Und Zeus Donnergetön; denn er hoffte die Frevler zu strafen.

Jezo versammleten sich die andern Mägde des Königs,
Und es loderte bald auf dem Heerde das mächtige Feuer.

Oduͤßee.
Legte ſie ſchnell in den Saal auf einen Seßel, die Stierhaut
Trug er hinaus, und flehete Zeus mit erhobenen Haͤnden:

Vater Zeus, wenn ihr Goͤtter nach vielem Jammer mich huldreich
Ueber Waßer und Land in meine Heimat gefuͤhrt habt;
O ſo rede nun einer der Wachenden gluͤckliche Worte 100
Hier im Palaſt, und draußen geſcheh ein Zeichen vom Himmel!

Alſo flehte der Held; den Flehenden hoͤrte Kronion.
Und er donnerte ſchnell vom glanzerhellten Oluͤmpos
Hoch aus den Wolken herab. Da freute ſich herzlich Oduͤßeus.
Ploͤzlich hoͤrt' er ein mahlendes Weib, das gluͤckliche Worte 105
Redete, nahe bei ihm, wo die Muͤhlen des Koͤniges ſtanden.
Taͤglich waren alhier zwoͤlf Muͤllerinnen beſchaͤftigt,
Weizen- und Gerſtenmehl, das Mark der Maͤnner, zu mahlen.
Aber die uͤbrigen ſchliefen, nachdem ſie den Weizen zermalmet;
Sie nur feirte noch nicht, denn ſie war von allen die ſchwaͤchſte. 110
Stehen ließ ſie die Muͤhl', und ſprach die profetiſchen Worte:

Vater Zeus, der Goͤtter und ſterblichen Menſchen Beherſcher,
Wahrlich du donnerteſt laut vom Sternenhimmel, und nirgends
Iſt ein Gewoͤlk; du ſendeſt gewiß jemanden ein Zeichen.
Ach ſo gewaͤhr' auch jezo mir armen Weibe die Bitte! 115
Laß die ſtolzen Freier zum leztenmal heute, zum lezten!
Ihren uͤppigen Schmaus in Oduͤßeus Hauſe genießen,
Welche mir alle Kraft durch die ſeelenkraͤnkende Arbeit,
Mehl zu bereiten, geraubt! Nun laß ſie zum leztenmal ſchwelgen!

Sprachs; und freudig vernahm Oduͤßeus ihre Verkuͤndung, 120
Und Zeus Donnergetoͤn; denn er hoffte die Frevler zu ſtrafen.

Jezo verſammleten ſich die andern Maͤgde des Koͤnigs,
Und es loderte bald auf dem Heerde das maͤchtige Feuer.

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[388/0394] Oduͤßee. Legte ſie ſchnell in den Saal auf einen Seßel, die Stierhaut Trug er hinaus, und flehete Zeus mit erhobenen Haͤnden: Vater Zeus, wenn ihr Goͤtter nach vielem Jammer mich huldreich Ueber Waßer und Land in meine Heimat gefuͤhrt habt; O ſo rede nun einer der Wachenden gluͤckliche Worte Hier im Palaſt, und draußen geſcheh ein Zeichen vom Himmel! 100 Alſo flehte der Held; den Flehenden hoͤrte Kronion. Und er donnerte ſchnell vom glanzerhellten Oluͤmpos Hoch aus den Wolken herab. Da freute ſich herzlich Oduͤßeus. Ploͤzlich hoͤrt' er ein mahlendes Weib, das gluͤckliche Worte Redete, nahe bei ihm, wo die Muͤhlen des Koͤniges ſtanden. Taͤglich waren alhier zwoͤlf Muͤllerinnen beſchaͤftigt, Weizen- und Gerſtenmehl, das Mark der Maͤnner, zu mahlen. Aber die uͤbrigen ſchliefen, nachdem ſie den Weizen zermalmet; Sie nur feirte noch nicht, denn ſie war von allen die ſchwaͤchſte. Stehen ließ ſie die Muͤhl', und ſprach die profetiſchen Worte: 105 110 Vater Zeus, der Goͤtter und ſterblichen Menſchen Beherſcher, Wahrlich du donnerteſt laut vom Sternenhimmel, und nirgends Iſt ein Gewoͤlk; du ſendeſt gewiß jemanden ein Zeichen. Ach ſo gewaͤhr' auch jezo mir armen Weibe die Bitte! Laß die ſtolzen Freier zum leztenmal heute, zum lezten! Ihren uͤppigen Schmaus in Oduͤßeus Hauſe genießen, Welche mir alle Kraft durch die ſeelenkraͤnkende Arbeit, Mehl zu bereiten, geraubt! Nun laß ſie zum leztenmal ſchwelgen! 115 Sprachs; und freudig vernahm Oduͤßeus ihre Verkuͤndung, Und Zeus Donnergetoͤn; denn er hoffte die Frevler zu ſtrafen. 120 Jezo verſammleten ſich die andern Maͤgde des Koͤnigs, Und es loderte bald auf dem Heerde das maͤchtige Feuer.

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/394>, abgerufen am 13.05.2024.