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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.
Und sie legten sich schlafen umher im dunkeln Palaste.

Jene, nachdem sie die Fülle der seligen Liebe gekostet, 300
Wachten noch lang', ihr Herz mit vielen Gesprächen erfreuend.
Erst erzählte das göttliche Weib, wie viel sie im Hause
Von dem verwüstenden Schwarme der bösen Freier erduldet,
Wie sie um ihrentwillen die fetten Rinder und Schafe
Schaarenweise geschlachtet, und frech im Weine geschwelget. 305
Dann erzählte der Held, wie vielen Jammer er andern
Menschen gebracht, und wie viel er selber vom Schicksal erduldet.
Und die Königin horchte mit inniger Wonne; kein Schlummer
Sank auf die Augenlieder, bevor er alles erzählet.

Und er begann, wie er erst die Kikonen bezwungen, und hierauf 310
An der fruchtbaren Küste der Lotofagen gelandet.
Was der Küklope gethan, und wie er der edlen Gefährten
Tod bestraft, die er fraß, der unbarmherzige Wütrich.
Und wie Aiolos ihn, nach milder Bewirtung, zur Heimfahrt
Ausgerüstet; allein die Stunde der fröhlichen Heimkehr 315
War noch nicht; denn er trieb, von dem wilden Orkane geschleudert,
Lautwehklagend zurück ins fischdurchwimmelte Weltmeer.
Wie er Tälepülos dann und die Laistrügonen gesehen,
Wo er die rüstigen Schiffe und schöngeharnischten Freunde
Alle verlor; nur er selber entrann mit dem schwärzlichen Schiffe. 320
Auch von Kirkä's Betrug' und Zauberkünsten erzählt' er;
Und wie er hingefahren in Aidäs dumpfe Behausung,
Um des thäbaiischen Greises Teiresias Seele zu fragen,
Im vielrudrigen Schiff', und alle Freunde gesehen,
Auch die Mutter, die ihn gebar und als Knaben ernährte. 325
Wie er dann den Gesang der holden Sirenen gehöret;

Oduͤßee.
Und ſie legten ſich ſchlafen umher im dunkeln Palaſte.

Jene, nachdem ſie die Fuͤlle der ſeligen Liebe gekoſtet, 300
Wachten noch lang', ihr Herz mit vielen Geſpraͤchen erfreuend.
Erſt erzaͤhlte das goͤttliche Weib, wie viel ſie im Hauſe
Von dem verwuͤſtenden Schwarme der boͤſen Freier erduldet,
Wie ſie um ihrentwillen die fetten Rinder und Schafe
Schaarenweiſe geſchlachtet, und frech im Weine geſchwelget. 305
Dann erzaͤhlte der Held, wie vielen Jammer er andern
Menſchen gebracht, und wie viel er ſelber vom Schickſal erduldet.
Und die Koͤnigin horchte mit inniger Wonne; kein Schlummer
Sank auf die Augenlieder, bevor er alles erzaͤhlet.

Und er begann, wie er erſt die Kikonen bezwungen, und hierauf 310
An der fruchtbaren Kuͤſte der Lotofagen gelandet.
Was der Kuͤklope gethan, und wie er der edlen Gefaͤhrten
Tod beſtraft, die er fraß, der unbarmherzige Wuͤtrich.
Und wie Aiolos ihn, nach milder Bewirtung, zur Heimfahrt
Ausgeruͤſtet; allein die Stunde der froͤhlichen Heimkehr 315
War noch nicht; denn er trieb, von dem wilden Orkane geſchleudert,
Lautwehklagend zuruͤck ins fiſchdurchwimmelte Weltmeer.
Wie er Taͤlepuͤlos dann und die Laiſtruͤgonen geſehen,
Wo er die ruͤſtigen Schiffe und ſchoͤngeharniſchten Freunde
Alle verlor; nur er ſelber entrann mit dem ſchwaͤrzlichen Schiffe. 320
Auch von Kirkaͤ's Betrug' und Zauberkuͤnſten erzaͤhlt' er;
Und wie er hingefahren in Aïdaͤs dumpfe Behauſung,
Um des thaͤbaiiſchen Greiſes Teireſias Seele zu fragen,
Im vielrudrigen Schiff', und alle Freunde geſehen,
Auch die Mutter, die ihn gebar und als Knaben ernaͤhrte. 325
Wie er dann den Geſang der holden Sirenen gehoͤret;

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[446/0452] Oduͤßee. Und ſie legten ſich ſchlafen umher im dunkeln Palaſte. Jene, nachdem ſie die Fuͤlle der ſeligen Liebe gekoſtet, Wachten noch lang', ihr Herz mit vielen Geſpraͤchen erfreuend. Erſt erzaͤhlte das goͤttliche Weib, wie viel ſie im Hauſe Von dem verwuͤſtenden Schwarme der boͤſen Freier erduldet, Wie ſie um ihrentwillen die fetten Rinder und Schafe Schaarenweiſe geſchlachtet, und frech im Weine geſchwelget. Dann erzaͤhlte der Held, wie vielen Jammer er andern Menſchen gebracht, und wie viel er ſelber vom Schickſal erduldet. Und die Koͤnigin horchte mit inniger Wonne; kein Schlummer Sank auf die Augenlieder, bevor er alles erzaͤhlet. 300 305 Und er begann, wie er erſt die Kikonen bezwungen, und hierauf An der fruchtbaren Kuͤſte der Lotofagen gelandet. Was der Kuͤklope gethan, und wie er der edlen Gefaͤhrten Tod beſtraft, die er fraß, der unbarmherzige Wuͤtrich. Und wie Aiolos ihn, nach milder Bewirtung, zur Heimfahrt Ausgeruͤſtet; allein die Stunde der froͤhlichen Heimkehr War noch nicht; denn er trieb, von dem wilden Orkane geſchleudert, Lautwehklagend zuruͤck ins fiſchdurchwimmelte Weltmeer. Wie er Taͤlepuͤlos dann und die Laiſtruͤgonen geſehen, Wo er die ruͤſtigen Schiffe und ſchoͤngeharniſchten Freunde Alle verlor; nur er ſelber entrann mit dem ſchwaͤrzlichen Schiffe. Auch von Kirkaͤ's Betrug' und Zauberkuͤnſten erzaͤhlt' er; Und wie er hingefahren in Aïdaͤs dumpfe Behauſung, Um des thaͤbaiiſchen Greiſes Teireſias Seele zu fragen, Im vielrudrigen Schiff', und alle Freunde geſehen, Auch die Mutter, die ihn gebar und als Knaben ernaͤhrte. Wie er dann den Geſang der holden Sirenen gehoͤret; 310 315 320 325

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/452>, abgerufen am 02.05.2024.