pwa_185.001 verbundenen Kette eben eine Handlung hervorgeht. Daraus ergiebt pwa_185.002 sich, dass wohl mit der Einheit eines epischen Liedes immer die Einfachheit pwa_185.003 verbunden sein müsse, nicht aber mit der Einheit der dramatischen pwa_185.004 Handlung. Es ist ein andres, wenn vergangne Einzelheiten pwa_185.005 uns erzählt werden, ein andres, wenn in gegenwärtiger Anschaulichkeit pwa_185.006 eine Handlung sich vor uns entwickelt. Im epischen Liede je pwa_185.007 mehr Einzelheiten da aufgezählt werden, desto mehr verwirrt es die pwa_185.008 Production und erschwert es die Reproduction, desto eher ermüdet es pwa_185.009 den Hörer: im Drama, wo die Reproduction so leicht gemacht ist, pwa_185.010 würde grade eine zu grosse Einfachheit der Handlung den Dichter pwa_185.011 wie den Zuschauer ermüden und langweilen; ja es würde unmöglich pwa_185.012 sein, den Verlauf der Begebenheiten zur Handlung zu erheben, wenn pwa_185.013 man bei der epischen Einfachheit stehn bliebe.
pwa_185.014 Somit stellt sich der Einfachheit des epischen Liedes im Drama pwa_185.015 die Verwickelung gegenüber: das Drama motiviert überall reichlicher pwa_185.016 und umständlicher; das epische Lied lässt alle minder wesentlichen pwa_185.017 Motive getrost bei Seite, das Drama zieht ebensolche mit in den Verlauf pwa_185.018 der Begebenheiten, damit daraus eine Handlung hervorgehe; das pwa_185.019 epische Lied bringt seine Begebenheiten in eine einzige, gradaus auf pwa_185.020 das Ziel zulaufende Linie: das Drama wandelt zwar auch einem einzigen pwa_185.021 Endpuncte entgegen, aber von mehr als einem Ausgangspuncte; pwa_185.022 die Handlung vertheilt sich unter mehrere Radien, wenn schon einer pwa_185.023 der Hauptradius sein mag. Die Erzählung eines epischen Liedes verlangt pwa_185.024 also Einheit und Einfachheit, die Handlung eines Dramas Einheit pwa_185.025 und Verwickelung.
pwa_185.026 Diese Einheit der verwickelten Handlung zeigt sich nun, wie pwa_185.027 bereits ist angedeutet worden, in drei Stücken: dass Eine Hauptperson pwa_185.028 sei, Eine Hauptbegebenheit, ein stätiger und ununterbrochener pwa_185.029 Verlauf der Handlung. Es sind das Anforderungen, die sich eigentlich pwa_185.030 ganz von selbst verstehn, und es wäre deshalb unnöthig, noch pwa_185.031 weiter davon zu sprechen, wenn sie nicht dennoch so häufig verletzt pwa_185.032 würden.
pwa_185.033 Was zuerst die Einzahl der Hauptperson betrifft, so ist sie für pwa_185.034 eine rechte Einheit der Handlung ebenso erforderlich, als es in der pwa_185.035 Grammatik für einen einheitlichen Satz erforderlich und bezeichnend pwa_185.036 ist, dass er nur Ein Subject habe; und grade wie ein Satz zusammengesetzt pwa_185.037 wird, sobald er zwei Subjecte hat, so verliert auch die Handlung pwa_185.038 ihre Einheit, und es tritt eine Zweiheit derselben ein, sowie in pwa_185.039 ihr zwei Hauptpersonen agieren. Die Schöpferkraft des Dichters und pwa_185.040 mit ihr das reproducierende Interesse des Zuschauers spalten sich alsdann pwa_185.041 nach zwei gesonderten Richtungen und kommen aus dieser
pwa_185.001 verbundenen Kette eben eine Handlung hervorgeht. Daraus ergiebt pwa_185.002 sich, dass wohl mit der Einheit eines epischen Liedes immer die Einfachheit pwa_185.003 verbunden sein müsse, nicht aber mit der Einheit der dramatischen pwa_185.004 Handlung. Es ist ein andres, wenn vergangne Einzelheiten pwa_185.005 uns erzählt werden, ein andres, wenn in gegenwärtiger Anschaulichkeit pwa_185.006 eine Handlung sich vor uns entwickelt. Im epischen Liede je pwa_185.007 mehr Einzelheiten da aufgezählt werden, desto mehr verwirrt es die pwa_185.008 Production und erschwert es die Reproduction, desto eher ermüdet es pwa_185.009 den Hörer: im Drama, wo die Reproduction so leicht gemacht ist, pwa_185.010 würde grade eine zu grosse Einfachheit der Handlung den Dichter pwa_185.011 wie den Zuschauer ermüden und langweilen; ja es würde unmöglich pwa_185.012 sein, den Verlauf der Begebenheiten zur Handlung zu erheben, wenn pwa_185.013 man bei der epischen Einfachheit stehn bliebe.
pwa_185.014 Somit stellt sich der Einfachheit des epischen Liedes im Drama pwa_185.015 die Verwickelung gegenüber: das Drama motiviert überall reichlicher pwa_185.016 und umständlicher; das epische Lied lässt alle minder wesentlichen pwa_185.017 Motive getrost bei Seite, das Drama zieht ebensolche mit in den Verlauf pwa_185.018 der Begebenheiten, damit daraus eine Handlung hervorgehe; das pwa_185.019 epische Lied bringt seine Begebenheiten in eine einzige, gradaus auf pwa_185.020 das Ziel zulaufende Linie: das Drama wandelt zwar auch einem einzigen pwa_185.021 Endpuncte entgegen, aber von mehr als einem Ausgangspuncte; pwa_185.022 die Handlung vertheilt sich unter mehrere Radien, wenn schon einer pwa_185.023 der Hauptradius sein mag. Die Erzählung eines epischen Liedes verlangt pwa_185.024 also Einheit und Einfachheit, die Handlung eines Dramas Einheit pwa_185.025 und Verwickelung.
pwa_185.026 Diese Einheit der verwickelten Handlung zeigt sich nun, wie pwa_185.027 bereits ist angedeutet worden, in drei Stücken: dass Eine Hauptperson pwa_185.028 sei, Eine Hauptbegebenheit, ein stätiger und ununterbrochener pwa_185.029 Verlauf der Handlung. Es sind das Anforderungen, die sich eigentlich pwa_185.030 ganz von selbst verstehn, und es wäre deshalb unnöthig, noch pwa_185.031 weiter davon zu sprechen, wenn sie nicht dennoch so häufig verletzt pwa_185.032 würden.
pwa_185.033 Was zuerst die Einzahl der Hauptperson betrifft, so ist sie für pwa_185.034 eine rechte Einheit der Handlung ebenso erforderlich, als es in der pwa_185.035 Grammatik für einen einheitlichen Satz erforderlich und bezeichnend pwa_185.036 ist, dass er nur Ein Subject habe; und grade wie ein Satz zusammengesetzt pwa_185.037 wird, sobald er zwei Subjecte hat, so verliert auch die Handlung pwa_185.038 ihre Einheit, und es tritt eine Zweiheit derselben ein, sowie in pwa_185.039 ihr zwei Hauptpersonen agieren. Die Schöpferkraft des Dichters und pwa_185.040 mit ihr das reproducierende Interesse des Zuschauers spalten sich alsdann pwa_185.041 nach zwei gesonderten Richtungen und kommen aus dieser
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verbundenen Kette eben eine Handlung hervorgeht. Daraus ergiebt pwa_185.002
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/203>, abgerufen am 28.04.2024.
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