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Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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vorher, hieß es bei solchen Gelegenheiten, den Rest gebraucht, und die neue Sendung aus Lüneburg müsse erst abgewartet werden. So schwer sich der Küster auch den gewohnten Nachmittagstrank versagte, so fand er sich doch ins Unvermeidliche und suchte im Marcus Paulus Trost für das, was ihm an häuslicher Behaglichkeit fehlte. Aber mit dem Lesen wollte es heute nicht gehen. Der Unmuth Marga's donnerte noch zwischen den Töpfen und Schüsseln in der Küche; der Hahn hinkte auf einem Bein und ließ die Flügel kläglich hängen; des Oheims Brille starrte mit Argusblicken vom Fensterbrett herüber; das Kreidebild aus seiner Jugendzeit, das neben dem Pfeifenstande hing, und auf das die Geberden der Schwester wie auf ein verlorenes Land der Unschuld und Paradiesesreinheit hingedeutet hatten, guckte aus dem gesteiften Knabenkragen wie ein lebendiger Vorwurf heraus und schien im fortwährenden Stirnrunzeln begriffen; das ganze kaffeebraune Stübchen schaute mürrisch und verdrießlich aus; ja die Mäuse über der Zimmerdecke verhielten sich so ungewöhnlich still, als sei ihnen der Appetit an dem goldenen Hafer vergangen, seit die Eigenthümerin desselben ihren Nachbar ins Vertrauen gezogen hatte.

Wohl eine Stunde saß der Küster ganz unschlüssig und rathlos im Lehnstuhl, den Eindrücken seiner Umgebung sich wehrlos hingebend und seine Lage nur dann verändernd, wenn einer derselben ihm zu mächtig werden und ihn völlig um seinen Gleichmuth bringen wollte. Er wagte nicht aus dem Fenster zu schauen, aus Furcht,

vorher, hieß es bei solchen Gelegenheiten, den Rest gebraucht, und die neue Sendung aus Lüneburg müsse erst abgewartet werden. So schwer sich der Küster auch den gewohnten Nachmittagstrank versagte, so fand er sich doch ins Unvermeidliche und suchte im Marcus Paulus Trost für das, was ihm an häuslicher Behaglichkeit fehlte. Aber mit dem Lesen wollte es heute nicht gehen. Der Unmuth Marga's donnerte noch zwischen den Töpfen und Schüsseln in der Küche; der Hahn hinkte auf einem Bein und ließ die Flügel kläglich hängen; des Oheims Brille starrte mit Argusblicken vom Fensterbrett herüber; das Kreidebild aus seiner Jugendzeit, das neben dem Pfeifenstande hing, und auf das die Geberden der Schwester wie auf ein verlorenes Land der Unschuld und Paradiesesreinheit hingedeutet hatten, guckte aus dem gesteiften Knabenkragen wie ein lebendiger Vorwurf heraus und schien im fortwährenden Stirnrunzeln begriffen; das ganze kaffeebraune Stübchen schaute mürrisch und verdrießlich aus; ja die Mäuse über der Zimmerdecke verhielten sich so ungewöhnlich still, als sei ihnen der Appetit an dem goldenen Hafer vergangen, seit die Eigenthümerin desselben ihren Nachbar ins Vertrauen gezogen hatte.

Wohl eine Stunde saß der Küster ganz unschlüssig und rathlos im Lehnstuhl, den Eindrücken seiner Umgebung sich wehrlos hingebend und seine Lage nur dann verändernd, wenn einer derselben ihm zu mächtig werden und ihn völlig um seinen Gleichmuth bringen wollte. Er wagte nicht aus dem Fenster zu schauen, aus Furcht,

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[0049] vorher, hieß es bei solchen Gelegenheiten, den Rest gebraucht, und die neue Sendung aus Lüneburg müsse erst abgewartet werden. So schwer sich der Küster auch den gewohnten Nachmittagstrank versagte, so fand er sich doch ins Unvermeidliche und suchte im Marcus Paulus Trost für das, was ihm an häuslicher Behaglichkeit fehlte. Aber mit dem Lesen wollte es heute nicht gehen. Der Unmuth Marga's donnerte noch zwischen den Töpfen und Schüsseln in der Küche; der Hahn hinkte auf einem Bein und ließ die Flügel kläglich hängen; des Oheims Brille starrte mit Argusblicken vom Fensterbrett herüber; das Kreidebild aus seiner Jugendzeit, das neben dem Pfeifenstande hing, und auf das die Geberden der Schwester wie auf ein verlorenes Land der Unschuld und Paradiesesreinheit hingedeutet hatten, guckte aus dem gesteiften Knabenkragen wie ein lebendiger Vorwurf heraus und schien im fortwährenden Stirnrunzeln begriffen; das ganze kaffeebraune Stübchen schaute mürrisch und verdrießlich aus; ja die Mäuse über der Zimmerdecke verhielten sich so ungewöhnlich still, als sei ihnen der Appetit an dem goldenen Hafer vergangen, seit die Eigenthümerin desselben ihren Nachbar ins Vertrauen gezogen hatte. Wohl eine Stunde saß der Küster ganz unschlüssig und rathlos im Lehnstuhl, den Eindrücken seiner Umgebung sich wehrlos hingebend und seine Lage nur dann verändernd, wenn einer derselben ihm zu mächtig werden und ihn völlig um seinen Gleichmuth bringen wollte. Er wagte nicht aus dem Fenster zu schauen, aus Furcht,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:58:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:58:19Z)

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Zitationshilfe: Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/49>, abgerufen am 26.04.2024.