Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch ging fast zu derselben Stunde ab, in der
der Graf abreiste, um in die Residenz zurückzukeh-
ren. Seine Freigebigkeit gegen mich war so groß
gewesen, daß ich ziemlich bequem reisen konnte,
auch stieß mir unterweges nichts neues auf, was
dem Leser mitgetheilt zu werden verdiente, als das
Zusammentreffen mit meiner treulosen Rike.

Jch blieb in keiner der Städte, die ich paßiren
muste, länger als eine Nacht oder höchstens noch
einen Tag, wenn es meine Schwächlichkeit verläng-
te; dieß war der Fall in einer sehr großen und volk-
reichen Stadt, in der ich zu einer andern Zeit lan-
ge verweilt haben würde, um Vergnügungen jeder
Art aufzusuchen. Jch befand mich sehr [ü]bel und
schlich in eine Apotheke, um mir Medicin, zu wel-
cher ich das Recept bei mir hatte, aufs neue machen
zu lassen. Unterweges begegnete mir eine herrlich
geputzte Dame, ich erkannte in ihr Riken, und wu-
ste nicht, sollte ich mich der Freude des Wiederse-
hens meiner Geliebten oder des Ertappens meiner
Spitzbübinn überlassen, und demnach ihr entweder
um den Hals fallen oder sie festhalten und nach Hül-
fe der Polizeidiener schreien? Zu beiden war ich
zu schwach und zu unentschlossen. Doch Rike selbst
war es, die mich aus diesem zweifelhaften Zustande
riß. Sie reichte mir mit den Worten die Hand:
"Seh ich recht, sind Sie es, Herr Schnitzer? O
kommen Sie doch gleich zu mir."

Jch (ihr die Hand wegziehend). Wie kann
sich eine so schlechte Kreatur unterfangen, einen
Menschen, den sie bestohlen, noch so dreust anzure-
den? Jch werde sogleich -- --
Rike. St! Mein Herzchen, 's kann alles
nichts helfen, ich bin hier im Schutz der Vornehm-
sten, habe ein privilegirtes Bordell und kann beste-
chen, du behältst Unrecht -- Komm lieber und ju-
ble mit, es soll dir nichts abgehn.

Jch

Jch ging faſt zu derſelben Stunde ab, in der
der Graf abreiſte, um in die Reſidenz zuruͤckzukeh-
ren. Seine Freigebigkeit gegen mich war ſo groß
geweſen, daß ich ziemlich bequem reiſen konnte,
auch ſtieß mir unterweges nichts neues auf, was
dem Leſer mitgetheilt zu werden verdiente, als das
Zuſammentreffen mit meiner treuloſen Rike.

Jch blieb in keiner der Staͤdte, die ich paßiren
muſte, laͤnger als eine Nacht oder hoͤchſtens noch
einen Tag, wenn es meine Schwaͤchlichkeit verlaͤng-
te; dieß war der Fall in einer ſehr großen und volk-
reichen Stadt, in der ich zu einer andern Zeit lan-
ge verweilt haben wuͤrde, um Vergnuͤgungen jeder
Art aufzuſuchen. Jch befand mich ſehr [uͤ]bel und
ſchlich in eine Apotheke, um mir Medicin, zu wel-
cher ich das Recept bei mir hatte, aufs neue machen
zu laſſen. Unterweges begegnete mir eine herrlich
geputzte Dame, ich erkannte in ihr Riken, und wu-
ſte nicht, ſollte ich mich der Freude des Wiederſe-
hens meiner Geliebten oder des Ertappens meiner
Spitzbuͤbinn uͤberlaſſen, und demnach ihr entweder
um den Hals fallen oder ſie feſthalten und nach Huͤl-
fe der Polizeidiener ſchreien? Zu beiden war ich
zu ſchwach und zu unentſchloſſen. Doch Rike ſelbſt
war es, die mich aus dieſem zweifelhaften Zuſtande
riß. Sie reichte mir mit den Worten die Hand:
„Seh ich recht, ſind Sie es, Herr Schnitzer? O
kommen Sie doch gleich zu mir.“

Jch (ihr die Hand wegziehend). Wie kann
ſich eine ſo ſchlechte Kreatur unterfangen, einen
Menſchen, den ſie beſtohlen, noch ſo dreuſt anzure-
den? Jch werde ſogleich — —
Rike. St! Mein Herzchen, ’s kann alles
nichts helfen, ich bin hier im Schutz der Vornehm-
ſten, habe ein privilegirtes Bordell und kann beſte-
chen, du behaͤltſt Unrecht — Komm lieber und ju-
ble mit, es ſoll dir nichts abgehn.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0494" n="490"/>
        <p>Jch ging fa&#x017F;t zu der&#x017F;elben Stunde ab, in der<lb/>
der Graf abrei&#x017F;te, um in die Re&#x017F;idenz zuru&#x0364;ckzukeh-<lb/>
ren. Seine Freigebigkeit gegen mich war &#x017F;o groß<lb/>
gewe&#x017F;en, daß ich ziemlich bequem rei&#x017F;en konnte,<lb/>
auch &#x017F;tieß mir unterweges nichts neues auf, was<lb/>
dem Le&#x017F;er mitgetheilt zu werden verdiente, als das<lb/>
Zu&#x017F;ammentreffen mit meiner treulo&#x017F;en Rike.</p><lb/>
        <p>Jch blieb in keiner der Sta&#x0364;dte, die ich paßiren<lb/>
mu&#x017F;te, la&#x0364;nger als eine Nacht oder ho&#x0364;ch&#x017F;tens noch<lb/>
einen Tag, wenn es meine Schwa&#x0364;chlichkeit verla&#x0364;ng-<lb/>
te; dieß war der Fall in einer &#x017F;ehr großen und volk-<lb/>
reichen Stadt, in der ich zu einer andern Zeit lan-<lb/>
ge verweilt haben wu&#x0364;rde, um Vergnu&#x0364;gungen jeder<lb/>
Art aufzu&#x017F;uchen. Jch befand mich &#x017F;ehr <supplied>u&#x0364;</supplied>bel und<lb/>
&#x017F;chlich in eine Apotheke, um mir Medicin, zu wel-<lb/>
cher ich das Recept bei mir hatte, aufs neue machen<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en. Unterweges begegnete mir eine herrlich<lb/>
geputzte Dame, ich erkannte in ihr Riken, und wu-<lb/>
&#x017F;te nicht, &#x017F;ollte ich mich der Freude des Wieder&#x017F;e-<lb/>
hens meiner Geliebten oder des Ertappens meiner<lb/>
Spitzbu&#x0364;binn u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en, und demnach ihr entweder<lb/>
um den Hals fallen oder &#x017F;ie fe&#x017F;thalten und nach Hu&#x0364;l-<lb/>
fe der Polizeidiener &#x017F;chreien? Zu beiden war ich<lb/>
zu &#x017F;chwach und zu unent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Doch Rike &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
war es, die mich aus die&#x017F;em zweifelhaften Zu&#x017F;tande<lb/>
riß. Sie reichte mir mit den Worten die Hand:<lb/>
&#x201E;Seh ich recht, &#x017F;ind Sie es, Herr Schnitzer? O<lb/>
kommen Sie doch gleich zu mir.&#x201C;</p><lb/>
        <sp who="#JCH">
          <speaker> <hi rendition="#g">Jch</hi> </speaker>
          <p>(ihr die Hand wegziehend). Wie kann<lb/>
&#x017F;ich eine &#x017F;o &#x017F;chlechte Kreatur unterfangen, einen<lb/>
Men&#x017F;chen, den &#x017F;ie be&#x017F;tohlen, noch &#x017F;o dreu&#x017F;t anzure-<lb/>
den? Jch werde &#x017F;ogleich &#x2014; &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#RIK">
          <speaker> <hi rendition="#g">Rike.</hi> </speaker>
          <p>St! Mein Herzchen, &#x2019;s kann alles<lb/>
nichts helfen, ich bin hier im Schutz der Vornehm-<lb/>
&#x017F;ten, habe ein privilegirtes Bordell und kann be&#x017F;te-<lb/>
chen, du beha&#x0364;lt&#x017F;t Unrecht &#x2014; Komm lieber und ju-<lb/>
ble mit, es &#x017F;oll dir nichts abgehn.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[490/0494] Jch ging faſt zu derſelben Stunde ab, in der der Graf abreiſte, um in die Reſidenz zuruͤckzukeh- ren. Seine Freigebigkeit gegen mich war ſo groß geweſen, daß ich ziemlich bequem reiſen konnte, auch ſtieß mir unterweges nichts neues auf, was dem Leſer mitgetheilt zu werden verdiente, als das Zuſammentreffen mit meiner treuloſen Rike. Jch blieb in keiner der Staͤdte, die ich paßiren muſte, laͤnger als eine Nacht oder hoͤchſtens noch einen Tag, wenn es meine Schwaͤchlichkeit verlaͤng- te; dieß war der Fall in einer ſehr großen und volk- reichen Stadt, in der ich zu einer andern Zeit lan- ge verweilt haben wuͤrde, um Vergnuͤgungen jeder Art aufzuſuchen. Jch befand mich ſehr uͤbel und ſchlich in eine Apotheke, um mir Medicin, zu wel- cher ich das Recept bei mir hatte, aufs neue machen zu laſſen. Unterweges begegnete mir eine herrlich geputzte Dame, ich erkannte in ihr Riken, und wu- ſte nicht, ſollte ich mich der Freude des Wiederſe- hens meiner Geliebten oder des Ertappens meiner Spitzbuͤbinn uͤberlaſſen, und demnach ihr entweder um den Hals fallen oder ſie feſthalten und nach Huͤl- fe der Polizeidiener ſchreien? Zu beiden war ich zu ſchwach und zu unentſchloſſen. Doch Rike ſelbſt war es, die mich aus dieſem zweifelhaften Zuſtande riß. Sie reichte mir mit den Worten die Hand: „Seh ich recht, ſind Sie es, Herr Schnitzer? O kommen Sie doch gleich zu mir.“ Jch (ihr die Hand wegziehend). Wie kann ſich eine ſo ſchlechte Kreatur unterfangen, einen Menſchen, den ſie beſtohlen, noch ſo dreuſt anzure- den? Jch werde ſogleich — — Rike. St! Mein Herzchen, ’s kann alles nichts helfen, ich bin hier im Schutz der Vornehm- ſten, habe ein privilegirtes Bordell und kann beſte- chen, du behaͤltſt Unrecht — Komm lieber und ju- ble mit, es ſoll dir nichts abgehn. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/494
Zitationshilfe: Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/494>, abgerufen am 17.06.2024.