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Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674.

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Vom Unterscheid der Sachen Das VIII.
theilet; dahero die gantze Politische vornehme Lehre von der Geltung
bißhero fast allein in denen Rechenbüchern getrieben/ und von iederman
als eine sonderliche Mathematische Wissenschafft erkennet und ange-
nommen worden; nicht als ob die andern natürlichen und Politischen
Ermessungen nicht auch eine dergleichen Mathematische Weiß-
heit wären/ sondern weil des Geldes Ermessung allezeit auff gewissen
Zahlen beruhet/ und/ des genauen abrechnens wegen auch biß auf den
geringsten Heller/ etwas weitleuftiger ist/ als andere politische Ermessun-
gen/ (ubi minima non curat Praetor) sonst aber also gemein/ daß wir
bey Beschreibung der Zahl-Kunst keine bessere und deutlichere Exem-
pel als die Geldzahlen anführen und gebrauchen können.

§. 4. Dann die Mathematic/ wie es Pythagoras und seine
Nachfolger die alten Weltweisen benahmet/ begreifft aller Din-
ge ihre genaue Ermessungen in sich/ deren die schweresten und weit-
leufftigsten zwar besonders unter dem außdrücklichen Nahmen der Ma-
thematic: die andern aber/ so viel man bißhero hat heraus bringen kön-
nen/ stracks bey dem ihnen gleich benahmten special Stück der Welt-
Weißheit/ unter ihren eigenen Nahmen in den Büchern zufinden.
Wie dann die wahre Mathematic nichts anders ist/ als der andere
Theil (nemlich der genaue Ermessungs-Theil) von einer ieden Wis-
senschafft/ darinnen die Beschaffenheiten der Dinge nicht nur bloß er-
zehlet/ sondern genau zuermessen und zu nutzbarn effect anzuordnen/
angewiesen werden. Dahero/ wie die würckliche Physic nichts
anders ist/ als eine natürliche Geometrie: also ist die Poli-
tic und Sittenlehre gleicher Gestalt/ wann mans recht beden-
cken wil/ nichts anders als eine Moralische Arithmetic/ nemlich
eine der Rechenkunst-Gerechtigkeit oder Schuldigkeit/ da man durch
Addirung oder Zusammenrechnung/ Subtrahirung und Zurückneh-
mung/ durch Multiplicirung oder Vielfältigung/ durch division oder
Eintheilung/ durch die Regul de Tri, das ist durch Proportionirung
dessen was man gethan/ gegen die Strafen; dessen was man gestifftet/
gegen den Lohn; dessen was man vermag/ gegen die Schuldigkeit/ etc.
zu einem gewissen Facit, nach eigentlicher Rechenmanier verfähret/
und schliesset. Welches ihrer viel und zwar die meisten durch ihre gute
Naturalien/ ohne Formal-Rechenkunst/ vermittels langer Ubung/ auch
wohl zutreffen wissen; viel leichter aber kämen sie dazu/ und manchen

Vortheil

Vom Unterſcheid der Sachen Das VIII.
theilet; dahero die gantze Politiſche vornehme Lehre von der Geltung
bißhero faſt allein in denẽ Rechenbuͤchern getrieben/ und von iederman
als eine ſonderliche Mathematiſche Wiſſenſchafft erkennet und ange-
nommen worden; nicht als ob die andern natuͤrlichen und Politiſchen
Ermeſſungen nicht auch eine dergleichen Mathematiſche Weiß-
heit waͤren/ ſondern weil des Geldes Ermeſſung allezeit auff gewiſſen
Zahlen beruhet/ und/ des genauen abrechnens wegen auch biß auf den
geringſten Heller/ etwas weitleuftiger iſt/ als andere politiſche Ermeſſun-
gen/ (ubi minima non curat Prætor) ſonſt aber alſo gemein/ daß wir
bey Beſchreibung der Zahl-Kunſt keine beſſere und deutlichere Exem-
pel als die Geldzahlen anfuͤhren und gebrauchen koͤnnen.

§. 4. Dann die Mathematic/ wie es Pythagoras und ſeine
Nachfolger die alten Weltweiſen benahmet/ begreifft aller Din-
ge ihre genaue Ermeſſungen in ſich/ deren die ſchwereſten und weit-
leufftigſten zwar beſonders unter dem außdruͤcklichen Nahmen der Ma-
thematic: die andern aber/ ſo viel man bißhero hat heraus bringen koͤn-
nen/ ſtracks bey dem ihnen gleich benahmten ſpecial Stuͤck der Welt-
Weißheit/ unter ihren eigenen Nahmen in den Buͤchern zufinden.
Wie dann die wahre Mathematic nichts anders iſt/ als der andere
Theil (nemlich der genaue Ermeſſungs-Theil) von einer ieden Wiſ-
ſenſchafft/ darinnen die Beſchaffenheiten der Dinge nicht nur bloß er-
zehlet/ ſondern genau zuermeſſen und zu nutzbarn effect anzuordnen/
angewieſen werden. Dahero/ wie die wuͤrckliche Phyſic nichts
anders iſt/ als eine natuͤrliche Geometrie: alſo iſt die Poli-
tic und Sittenlehre gleicher Geſtalt/ wann mans recht beden-
cken wil/ nichts anders als eine Moraliſche Arithmetic/ nemlich
eine der Rechenkunſt-Gerechtigkeit oder Schuldigkeit/ da man durch
Addirung oder Zuſammenrechnung/ Subtrahirung und Zuruͤckneh-
mung/ durch Multiplicirung oder Vielfaͤltigung/ durch diviſion oder
Eintheilung/ durch die Regul de Tri, das iſt durch Proportionirung
deſſen was man gethan/ gegen die Strafen; deſſen was man geſtifftet/
gegen den Lohn; deſſen was man vermag/ gegen die Schuldigkeit/ ꝛc.
zu einem gewiſſen Facit, nach eigentlicher Rechenmanier verfaͤhret/
und ſchlieſſet. Welches ihrer viel und zwar die meiſten durch ihre gute
Naturalien/ ohne Formal-Rechenkunſt/ vermittels langer Ubung/ auch
wohl zutreffen wiſſen; viel leichter aber kaͤmen ſie dazu/ und manchen

Vortheil
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[44/0054] Vom Unterſcheid der Sachen Das VIII. theilet; dahero die gantze Politiſche vornehme Lehre von der Geltung bißhero faſt allein in denẽ Rechenbuͤchern getrieben/ und von iederman als eine ſonderliche Mathematiſche Wiſſenſchafft erkennet und ange- nommen worden; nicht als ob die andern natuͤrlichen und Politiſchen Ermeſſungen nicht auch eine dergleichen Mathematiſche Weiß- heit waͤren/ ſondern weil des Geldes Ermeſſung allezeit auff gewiſſen Zahlen beruhet/ und/ des genauen abrechnens wegen auch biß auf den geringſten Heller/ etwas weitleuftiger iſt/ als andere politiſche Ermeſſun- gen/ (ubi minima non curat Prætor) ſonſt aber alſo gemein/ daß wir bey Beſchreibung der Zahl-Kunſt keine beſſere und deutlichere Exem- pel als die Geldzahlen anfuͤhren und gebrauchen koͤnnen. §. 4. Dann die Mathematic/ wie es Pythagoras und ſeine Nachfolger die alten Weltweiſen benahmet/ begreifft aller Din- ge ihre genaue Ermeſſungen in ſich/ deren die ſchwereſten und weit- leufftigſten zwar beſonders unter dem außdruͤcklichen Nahmen der Ma- thematic: die andern aber/ ſo viel man bißhero hat heraus bringen koͤn- nen/ ſtracks bey dem ihnen gleich benahmten ſpecial Stuͤck der Welt- Weißheit/ unter ihren eigenen Nahmen in den Buͤchern zufinden. Wie dann die wahre Mathematic nichts anders iſt/ als der andere Theil (nemlich der genaue Ermeſſungs-Theil) von einer ieden Wiſ- ſenſchafft/ darinnen die Beſchaffenheiten der Dinge nicht nur bloß er- zehlet/ ſondern genau zuermeſſen und zu nutzbarn effect anzuordnen/ angewieſen werden. Dahero/ wie die wuͤrckliche Phyſic nichts anders iſt/ als eine natuͤrliche Geometrie: alſo iſt die Poli- tic und Sittenlehre gleicher Geſtalt/ wann mans recht beden- cken wil/ nichts anders als eine Moraliſche Arithmetic/ nemlich eine der Rechenkunſt-Gerechtigkeit oder Schuldigkeit/ da man durch Addirung oder Zuſammenrechnung/ Subtrahirung und Zuruͤckneh- mung/ durch Multiplicirung oder Vielfaͤltigung/ durch diviſion oder Eintheilung/ durch die Regul de Tri, das iſt durch Proportionirung deſſen was man gethan/ gegen die Strafen; deſſen was man geſtifftet/ gegen den Lohn; deſſen was man vermag/ gegen die Schuldigkeit/ ꝛc. zu einem gewiſſen Facit, nach eigentlicher Rechenmanier verfaͤhret/ und ſchlieſſet. Welches ihrer viel und zwar die meiſten durch ihre gute Naturalien/ ohne Formal-Rechenkunſt/ vermittels langer Ubung/ auch wohl zutreffen wiſſen; viel leichter aber kaͤmen ſie dazu/ und manchen Vortheil

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Zitationshilfe: Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_moralweissheit_1674/54>, abgerufen am 28.04.2024.