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Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701.

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Erste Handlung.
einen blick zu schanden gemacht; das grüne gras/ die
lebhafften bäume/ die kühlen crystallen-bäche/ die vor-
mahls mein gemüthe erquickten/ kommen mir nunmehr
gantz todt und unscheinbar vor/ und mein hertz stellet
sich gar eine andere freude für/ als die eitele feld-lust
gewesen ist; ich mag hingehn/ wo ich wil/ so erblicke ich
nichts/ daran ich mich vergnügen könne: Jch sehne
mich nach etwas/ und an allen habe ich einen eckel; ich
hoffe/ ich dencke/ ich wünsche/ und wenn ich die warheit
bekennen soll/ so weiß ich nicht was? ach du schöne un-
bekante! dürffte ich dir biß in die stadt nachfolgen/ so
würde ich vielleicht in meinem verlangen befriediget
werden: So habe ich mich des stadt-wesens begeben/
und habe mich zugleich aller stadt-freude verlustig ge-
macht. Ach wäre mein vater mit diesem magnet an-
kommen/ wie hätte ich so willig folgen wollen! doch/
was kan ich thun?
(Er wirfft den schäfer-stock
von sich)
Da liegt der eitle stock/ der viel zu schwach
ist/ meine freyheit zu unterstützen. Gute nacht ihr tod-
ten bäume/ ihr stummen sträuche/ jetzt sehe ich/ daß euch
die natur nicht den menschen/ sondern vielmehr den
wilden thieren zur ergötzligkeit erzeuget hat; euer äus-
serlicher glantz hat mich betrogen: Doch nun gerathe
ich gar zu spät in ein solches erkäntnüß/ welches mich
in die stadt locket.
(er sihet seinen Vulgus an)
Aber sieh da Vulgus/ du wirst mein bote seyn müssen/
der mich in der stadt anmeldet. Hörst du nicht/ du
klotz/ bist du todt/ oder hast du sonst deine fünff sinne
nicht beysammen?
(Vulgus läufft an einen andern ort/ und setzt
sich eben so traurig nieder/ und so offt Phi-
lyrus
P p 4
Erſte Handlung.
einen blick zu ſchanden gemacht; das gruͤne gras/ die
lebhafften baͤume/ die kuͤhlen cryſtallen-baͤche/ die vor-
mahls mein gemuͤthe erquickten/ kom̃en mir nunmehr
gantz todt und unſcheinbar vor/ und mein hertz ſtellet
ſich gar eine andere freude fuͤr/ als die eitele feld-luſt
geweſen iſt; ich mag hingehn/ wo ich wil/ ſo erblicke ich
nichts/ daran ich mich vergnuͤgen koͤnne: Jch ſehne
mich nach etwas/ und an allen habe ich einen eckel; ich
hoffe/ ich dencke/ ich wuͤnſche/ und wenn ich die warheit
bekennen ſoll/ ſo weiß ich nicht was? ach du ſchoͤne un-
bekante! duͤrffte ich dir biß in die ſtadt nachfolgen/ ſo
wuͤrde ich vielleicht in meinem verlangen befriediget
werden: So habe ich mich des ſtadt-weſens begeben/
und habe mich zugleich aller ſtadt-freude verluſtig ge-
macht. Ach waͤre mein vater mit dieſem magnet an-
kommen/ wie haͤtte ich ſo willig folgen wollen! doch/
was kan ich thun?
(Er wirfft den ſchaͤfer-ſtock
von ſich)
Da liegt der eitle ſtock/ der viel zu ſchwach
iſt/ meine freyheit zu unterſtuͤtzen. Gute nacht ihr tod-
ten baͤume/ ihr ſtummen ſtraͤuche/ jetzt ſehe ich/ daß euch
die natur nicht den menſchen/ ſondern vielmehr den
wilden thieren zur ergoͤtzligkeit erzeuget hat; euer aͤuſ-
ſerlicher glantz hat mich betrogen: Doch nun gerathe
ich gar zu ſpaͤt in ein ſolches erkaͤntnuͤß/ welches mich
in die ſtadt locket.
(er ſihet ſeinen Vulgus an)
Aber ſieh da Vulgus/ du wirſt mein bote ſeyn muͤſſen/
der mich in der ſtadt anmeldet. Hoͤrſt du nicht/ du
klotz/ biſt du todt/ oder haſt du ſonſt deine fuͤnff ſinne
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(Vulgus laͤufft an einen andern ort/ und ſetzt
ſich eben ſo traurig nieder/ und ſo offt Phi-
lyrus
P p 4
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[599/0615] Erſte Handlung. einen blick zu ſchanden gemacht; das gruͤne gras/ die lebhafften baͤume/ die kuͤhlen cryſtallen-baͤche/ die vor- mahls mein gemuͤthe erquickten/ kom̃en mir nunmehr gantz todt und unſcheinbar vor/ und mein hertz ſtellet ſich gar eine andere freude fuͤr/ als die eitele feld-luſt geweſen iſt; ich mag hingehn/ wo ich wil/ ſo erblicke ich nichts/ daran ich mich vergnuͤgen koͤnne: Jch ſehne mich nach etwas/ und an allen habe ich einen eckel; ich hoffe/ ich dencke/ ich wuͤnſche/ und wenn ich die warheit bekennen ſoll/ ſo weiß ich nicht was? ach du ſchoͤne un- bekante! duͤrffte ich dir biß in die ſtadt nachfolgen/ ſo wuͤrde ich vielleicht in meinem verlangen befriediget werden: So habe ich mich des ſtadt-weſens begeben/ und habe mich zugleich aller ſtadt-freude verluſtig ge- macht. Ach waͤre mein vater mit dieſem magnet an- kommen/ wie haͤtte ich ſo willig folgen wollen! doch/ was kan ich thun? (Er wirfft den ſchaͤfer-ſtock von ſich) Da liegt der eitle ſtock/ der viel zu ſchwach iſt/ meine freyheit zu unterſtuͤtzen. Gute nacht ihr tod- ten baͤume/ ihr ſtummen ſtraͤuche/ jetzt ſehe ich/ daß euch die natur nicht den menſchen/ ſondern vielmehr den wilden thieren zur ergoͤtzligkeit erzeuget hat; euer aͤuſ- ſerlicher glantz hat mich betrogen: Doch nun gerathe ich gar zu ſpaͤt in ein ſolches erkaͤntnuͤß/ welches mich in die ſtadt locket. (er ſihet ſeinen Vulgus an) Aber ſieh da Vulgus/ du wirſt mein bote ſeyn muͤſſen/ der mich in der ſtadt anmeldet. Hoͤrſt du nicht/ du klotz/ biſt du todt/ oder haſt du ſonſt deine fuͤnff ſinne nicht beyſammen? (Vulgus laͤufft an einen andern ort/ und ſetzt ſich eben ſo traurig nieder/ und ſo offt Phi- lyrus P p 4

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Zitationshilfe: Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weise_jugend_1701/615>, abgerufen am 29.05.2024.