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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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wir die Determinirung einzelner Zellen bei andern Thierarten
nachweisen. So steht auf den vorderen Fühlern vieler Kruster
eine Anzahl nervöser Endapparate, welche dem Geruchsinn
dienen und deren jeder einer Zelle entspricht. Die Anzahl,
Stellung und Gestalt dieser sogenannten "Riechfäden" ist für
jede Art genau bestimmt, bei den Muschelkrebsen der Gattung
Cypris ist immer nur ein Riechfaden vorhanden, bei dem ge-
meinen Flohkrebs finden sich deren etwa 20, die einzeln stehen
an der Basis mehrerer aufeinander folgender Fühlerglieder. Bei
manchen im Dunkeln lebenden blinden Krebsen steigt die Zahl
dieser Riechfäden höher als bei ihren sehenden Verwandten,
und wenn auch hier, wie in allen den erwähnten Fällen indi-
viduelle Schwankungen vorkommen, so dürfen wir doch ver-
muthen, dass diese vererbbar sind, weil sonst die Zunahme der
Riechfäden mit dem Leben in Finsterniss sich nicht als Art-
charakter hätte festsetzen können.

Bei kleineren und einfacheren Organismen mag wohl jede
einzelne Zelle vom Keimplasma aus determinirt sein, nicht nur
derart, dass die Zahl der Zellen eine fest bestimmte und die
Stellung einer jeden von ihnen eine fest lokalisirte ist, sondern
in dem Sinn, dass individuelle Besonderheiten einer derselben
-- falls sie überhaupt auf Keimesänderung beruhen, also blasto-
gen sind, auch in der nächsten Generation wieder an derselben
Zelle auftreten, ganz so, wie bei jenem Muttermal des Menschen,
das genau auf dieselbe Stelle derselben Körperhälfte sich ver-
erbte. So mag es etwa bei Thieren von der Einfachheit der
Dicyemiden oder der Tardigraden sich verhalten, wenn es auch
nicht möglich ist, einen förmlichen Beweis dafür beizubringen.

Bei allen höher differenzirten Thieren ist die Zahl der
Determinanten wohl immer sehr viel geringer, als die der Zellen,
welche die Ontogenese ausmachen. Das Keimplasma wird also
auf diese Weise einigermassen entlastet gegenüber der Annahme

wir die Determinirung einzelner Zellen bei andern Thierarten
nachweisen. So steht auf den vorderen Fühlern vieler Kruster
eine Anzahl nervöser Endapparate, welche dem Geruchsinn
dienen und deren jeder einer Zelle entspricht. Die Anzahl,
Stellung und Gestalt dieser sogenannten „Riechfäden“ ist für
jede Art genau bestimmt, bei den Muschelkrebsen der Gattung
Cypris ist immer nur ein Riechfaden vorhanden, bei dem ge-
meinen Flohkrebs finden sich deren etwa 20, die einzeln stehen
an der Basis mehrerer aufeinander folgender Fühlerglieder. Bei
manchen im Dunkeln lebenden blinden Krebsen steigt die Zahl
dieser Riechfäden höher als bei ihren sehenden Verwandten,
und wenn auch hier, wie in allen den erwähnten Fällen indi-
viduelle Schwankungen vorkommen, so dürfen wir doch ver-
muthen, dass diese vererbbar sind, weil sonst die Zunahme der
Riechfäden mit dem Leben in Finsterniss sich nicht als Art-
charakter hätte festsetzen können.

Bei kleineren und einfacheren Organismen mag wohl jede
einzelne Zelle vom Keimplasma aus determinirt sein, nicht nur
derart, dass die Zahl der Zellen eine fest bestimmte und die
Stellung einer jeden von ihnen eine fest lokalisirte ist, sondern
in dem Sinn, dass individuelle Besonderheiten einer derselben
— falls sie überhaupt auf Keimesänderung beruhen, also blasto-
gen sind, auch in der nächsten Generation wieder an derselben
Zelle auftreten, ganz so, wie bei jenem Muttermal des Menschen,
das genau auf dieselbe Stelle derselben Körperhälfte sich ver-
erbte. So mag es etwa bei Thieren von der Einfachheit der
Dicyemiden oder der Tardigraden sich verhalten, wenn es auch
nicht möglich ist, einen förmlichen Beweis dafür beizubringen.

Bei allen höher differenzirten Thieren ist die Zahl der
Determinanten wohl immer sehr viel geringer, als die der Zellen,
welche die Ontogenese ausmachen. Das Keimplasma wird also
auf diese Weise einigermassen entlastet gegenüber der Annahme

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[79/0103] wir die Determinirung einzelner Zellen bei andern Thierarten nachweisen. So steht auf den vorderen Fühlern vieler Kruster eine Anzahl nervöser Endapparate, welche dem Geruchsinn dienen und deren jeder einer Zelle entspricht. Die Anzahl, Stellung und Gestalt dieser sogenannten „Riechfäden“ ist für jede Art genau bestimmt, bei den Muschelkrebsen der Gattung Cypris ist immer nur ein Riechfaden vorhanden, bei dem ge- meinen Flohkrebs finden sich deren etwa 20, die einzeln stehen an der Basis mehrerer aufeinander folgender Fühlerglieder. Bei manchen im Dunkeln lebenden blinden Krebsen steigt die Zahl dieser Riechfäden höher als bei ihren sehenden Verwandten, und wenn auch hier, wie in allen den erwähnten Fällen indi- viduelle Schwankungen vorkommen, so dürfen wir doch ver- muthen, dass diese vererbbar sind, weil sonst die Zunahme der Riechfäden mit dem Leben in Finsterniss sich nicht als Art- charakter hätte festsetzen können. Bei kleineren und einfacheren Organismen mag wohl jede einzelne Zelle vom Keimplasma aus determinirt sein, nicht nur derart, dass die Zahl der Zellen eine fest bestimmte und die Stellung einer jeden von ihnen eine fest lokalisirte ist, sondern in dem Sinn, dass individuelle Besonderheiten einer derselben — falls sie überhaupt auf Keimesänderung beruhen, also blasto- gen sind, auch in der nächsten Generation wieder an derselben Zelle auftreten, ganz so, wie bei jenem Muttermal des Menschen, das genau auf dieselbe Stelle derselben Körperhälfte sich ver- erbte. So mag es etwa bei Thieren von der Einfachheit der Dicyemiden oder der Tardigraden sich verhalten, wenn es auch nicht möglich ist, einen förmlichen Beweis dafür beizubringen. Bei allen höher differenzirten Thieren ist die Zahl der Determinanten wohl immer sehr viel geringer, als die der Zellen, welche die Ontogenese ausmachen. Das Keimplasma wird also auf diese Weise einigermassen entlastet gegenüber der Annahme

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/103>, abgerufen am 29.04.2024.