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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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Menschen, den Blutzellen, den Haaren und Federn, den Krallen
und Hufen, den Deckepithelien auf den Flächen der Athem-
wege, auch bei dem Geweih der Hirsche u. s. w. In allen diesen
Fällen findet normaler Weise continuirlich oder periodisch eine
Abnutzung und Abstossung von Zellengruppen statt, deren con-
tinuirlicher oder periodischer Wiederersatz ebenfalls zu den
normalen Funktionen des Körpers gehört und also vor-
gesehen ist.

Die theoretische Erklärung der einfachsten dieser Fälle
von physiologischer Regeneration ist unschwer zu geben. So-
bald das sich abnützende und stets wieder ergänzende Gewebe,
z. B. die Epidermis des Menschen, nur aus einer Art von
Zellen besteht, wird dazu Nichts nöthig sein, als dass nicht
alle Zellen, welche das Gewebe bilden, zu gleicher Zeit ab-
gängig werden, dass vielmehr mehrere Altersstufen derselben
gleichzeitig vorhanden sind, und dass die jüngsten unter be-
stimmten Ernährungs- und Druck-Einflüssen stets jung und
vermehrungsfähig bleiben, so dass sie einen Grundstock bilden,
von welchem der nothwendige Ersatz für die alternden Zellen
fortwährend abgegeben werden kann. Hier wird also durch den
Verlust an abgängigen Zellen nicht zugleich der ganze Vor-
rath an Determinanten dieser Art aus dem Körper entfernt,
denn die zurückbleibenden jungen Zellen enthalten diese Deter-
minante. Bei der Epidermis des Menschen bildet das sogen.
Rete Malpighi, oder die "Schleimschicht" diesen Grundstock,
von welchem, als der tiefsten Lage der Oberhaut immer neue
junge Zellen durch Theilung gebildet werden und in dem
Maasse altern, als sie mechanisch in die obern Schichten empor-
geschoben werden, während die tiefsten immerfort aus jungen
und theilungsfähigen Zellen fortbestehen.

Wir brauchen hier keine besondere theoretische Annahme
zu machen, als die einer auf viele Generationen von Zellen

Menschen, den Blutzellen, den Haaren und Federn, den Krallen
und Hufen, den Deckepithelien auf den Flächen der Athem-
wege, auch bei dem Geweih der Hirsche u. s. w. In allen diesen
Fällen findet normaler Weise continuirlich oder periodisch eine
Abnutzung und Abstossung von Zellengruppen statt, deren con-
tinuirlicher oder periodischer Wiederersatz ebenfalls zu den
normalen Funktionen des Körpers gehört und also vor-
gesehen ist.

Die theoretische Erklärung der einfachsten dieser Fälle
von physiologischer Regeneration ist unschwer zu geben. So-
bald das sich abnützende und stets wieder ergänzende Gewebe,
z. B. die Epidermis des Menschen, nur aus einer Art von
Zellen besteht, wird dazu Nichts nöthig sein, als dass nicht
alle Zellen, welche das Gewebe bilden, zu gleicher Zeit ab-
gängig werden, dass vielmehr mehrere Altersstufen derselben
gleichzeitig vorhanden sind, und dass die jüngsten unter be-
stimmten Ernährungs- und Druck-Einflüssen stets jung und
vermehrungsfähig bleiben, so dass sie einen Grundstock bilden,
von welchem der nothwendige Ersatz für die alternden Zellen
fortwährend abgegeben werden kann. Hier wird also durch den
Verlust an abgängigen Zellen nicht zugleich der ganze Vor-
rath an Determinanten dieser Art aus dem Körper entfernt,
denn die zurückbleibenden jungen Zellen enthalten diese Deter-
minante. Bei der Epidermis des Menschen bildet das sogen.
Rete Malpighi, oder die „Schleimschicht“ diesen Grundstock,
von welchem, als der tiefsten Lage der Oberhaut immer neue
junge Zellen durch Theilung gebildet werden und in dem
Maasse altern, als sie mechanisch in die obern Schichten empor-
geschoben werden, während die tiefsten immerfort aus jungen
und theilungsfähigen Zellen fortbestehen.

Wir brauchen hier keine besondere theoretische Annahme
zu machen, als die einer auf viele Generationen von Zellen

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[126/0150] Menschen, den Blutzellen, den Haaren und Federn, den Krallen und Hufen, den Deckepithelien auf den Flächen der Athem- wege, auch bei dem Geweih der Hirsche u. s. w. In allen diesen Fällen findet normaler Weise continuirlich oder periodisch eine Abnutzung und Abstossung von Zellengruppen statt, deren con- tinuirlicher oder periodischer Wiederersatz ebenfalls zu den normalen Funktionen des Körpers gehört und also vor- gesehen ist. Die theoretische Erklärung der einfachsten dieser Fälle von physiologischer Regeneration ist unschwer zu geben. So- bald das sich abnützende und stets wieder ergänzende Gewebe, z. B. die Epidermis des Menschen, nur aus einer Art von Zellen besteht, wird dazu Nichts nöthig sein, als dass nicht alle Zellen, welche das Gewebe bilden, zu gleicher Zeit ab- gängig werden, dass vielmehr mehrere Altersstufen derselben gleichzeitig vorhanden sind, und dass die jüngsten unter be- stimmten Ernährungs- und Druck-Einflüssen stets jung und vermehrungsfähig bleiben, so dass sie einen Grundstock bilden, von welchem der nothwendige Ersatz für die alternden Zellen fortwährend abgegeben werden kann. Hier wird also durch den Verlust an abgängigen Zellen nicht zugleich der ganze Vor- rath an Determinanten dieser Art aus dem Körper entfernt, denn die zurückbleibenden jungen Zellen enthalten diese Deter- minante. Bei der Epidermis des Menschen bildet das sogen. Rete Malpighi, oder die „Schleimschicht“ diesen Grundstock, von welchem, als der tiefsten Lage der Oberhaut immer neue junge Zellen durch Theilung gebildet werden und in dem Maasse altern, als sie mechanisch in die obern Schichten empor- geschoben werden, während die tiefsten immerfort aus jungen und theilungsfähigen Zellen fortbestehen. Wir brauchen hier keine besondere theoretische Annahme zu machen, als die einer auf viele Generationen von Zellen

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/150>, abgerufen am 27.04.2024.