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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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Individuums waren bis in die kleinsten Einzelheiten
hinein gleich
. So hatte eine Pflanze lila Blumenblätter mit
etwas röthlicherem Ton als die eine Stammart, und jedes
Blumenblatt war an seinem einen Seitenrand stark roth an-
geflogen und zwar immer an demselben Rand. Ich konnte keine
Blume an dem betreffenden Stock finden, die anders gefärbt
gewesen wäre. Bei einem andern Stock hatten alle Kelchblätter
einen braunen Saum, bei einem dritten zeigte sich bei allen
Blumen in der Tiefe der Blume ein schmaler, orangerother
Ring. Hier war also die Mischung der elterlichen
Farben auf dem Blumenblatt schon mit der Befruchtung
gegeben
. Wieso nun diese Mischung bei den verschiedenen
Pflanzen eine etwas verschiedene sein konnte, wird später klar
werden.

Wenn aber bei den identischen Zwillingen des Menschen
auch sicherlich ein Theil der kleinen Unterschiede, die die Beob-
achtung aufweits, auf minutiösen Unterschieden des Idioplasma's
selbst beruht, so muss doch eben so sicher ein andrer Theil
auf den Einfluss verschiedener äusserer Einwirkungen bezogen
werden. Auf meinen Photographien zeigt der Zwilling No. 507
eine auffallend weisse Hand, der No. 508 aber eine gebräunte.
Niemand wird dies auf eine Ungleichheit der beiderseitigen
Keimplasmen, oder auf eine ontogenetische Verschiebung des
Verhältnisses zwischen mütterlichem und väterlichem Idioplasma
beziehen, sondern darauf, dass No. 508 seine Hände mehr der
Sonnenstrahlung ausgesetzt hat, als No. 507. In der That war
derselbe auch unmittelbar vor seiner Aufnahme mehr im Freien
beschäftigt gewesen, als No. 507. In ähnlicher Weise kann
man sich auch manche der Grössen-Unterschiede entstanden
denken.

Individuums waren bis in die kleinsten Einzelheiten
hinein gleich
. So hatte eine Pflanze lila Blumenblätter mit
etwas röthlicherem Ton als die eine Stammart, und jedes
Blumenblatt war an seinem einen Seitenrand stark roth an-
geflogen und zwar immer an demselben Rand. Ich konnte keine
Blume an dem betreffenden Stock finden, die anders gefärbt
gewesen wäre. Bei einem andern Stock hatten alle Kelchblätter
einen braunen Saum, bei einem dritten zeigte sich bei allen
Blumen in der Tiefe der Blume ein schmaler, orangerother
Ring. Hier war also die Mischung der elterlichen
Farben auf dem Blumenblatt schon mit der Befruchtung
gegeben
. Wieso nun diese Mischung bei den verschiedenen
Pflanzen eine etwas verschiedene sein konnte, wird später klar
werden.

Wenn aber bei den identischen Zwillingen des Menschen
auch sicherlich ein Theil der kleinen Unterschiede, die die Beob-
achtung aufweits, auf minutiösen Unterschieden des Idioplasma’s
selbst beruht, so muss doch eben so sicher ein andrer Theil
auf den Einfluss verschiedener äusserer Einwirkungen bezogen
werden. Auf meinen Photographien zeigt der Zwilling No. 507
eine auffallend weisse Hand, der No. 508 aber eine gebräunte.
Niemand wird dies auf eine Ungleichheit der beiderseitigen
Keimplasmen, oder auf eine ontogenetische Verschiebung des
Verhältnisses zwischen mütterlichem und väterlichem Idioplasma
beziehen, sondern darauf, dass No. 508 seine Hände mehr der
Sonnenstrahlung ausgesetzt hat, als No. 507. In der That war
derselbe auch unmittelbar vor seiner Aufnahme mehr im Freien
beschäftigt gewesen, als No. 507. In ähnlicher Weise kann
man sich auch manche der Grössen-Unterschiede entstanden
denken.

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[335/0359] Individuums waren bis in die kleinsten Einzelheiten hinein gleich. So hatte eine Pflanze lila Blumenblätter mit etwas röthlicherem Ton als die eine Stammart, und jedes Blumenblatt war an seinem einen Seitenrand stark roth an- geflogen und zwar immer an demselben Rand. Ich konnte keine Blume an dem betreffenden Stock finden, die anders gefärbt gewesen wäre. Bei einem andern Stock hatten alle Kelchblätter einen braunen Saum, bei einem dritten zeigte sich bei allen Blumen in der Tiefe der Blume ein schmaler, orangerother Ring. Hier war also die Mischung der elterlichen Farben auf dem Blumenblatt schon mit der Befruchtung gegeben. Wieso nun diese Mischung bei den verschiedenen Pflanzen eine etwas verschiedene sein konnte, wird später klar werden. Wenn aber bei den identischen Zwillingen des Menschen auch sicherlich ein Theil der kleinen Unterschiede, die die Beob- achtung aufweits, auf minutiösen Unterschieden des Idioplasma’s selbst beruht, so muss doch eben so sicher ein andrer Theil auf den Einfluss verschiedener äusserer Einwirkungen bezogen werden. Auf meinen Photographien zeigt der Zwilling No. 507 eine auffallend weisse Hand, der No. 508 aber eine gebräunte. Niemand wird dies auf eine Ungleichheit der beiderseitigen Keimplasmen, oder auf eine ontogenetische Verschiebung des Verhältnisses zwischen mütterlichem und väterlichem Idioplasma beziehen, sondern darauf, dass No. 508 seine Hände mehr der Sonnenstrahlung ausgesetzt hat, als No. 507. In der That war derselbe auch unmittelbar vor seiner Aufnahme mehr im Freien beschäftigt gewesen, als No. 507. In ähnlicher Weise kann man sich auch manche der Grössen-Unterschiede entstanden denken.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/359>, abgerufen am 26.04.2024.