Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

scharf ausgesprochener Form scheinen solche Fälle zwar nicht
sehr häufig zu sein, in geringeren Graden aber findet ein
Schwanken von der väterlichen nach der mütterlichen Seite
hin fast bei allen solchen Bastarden statt, welche man gewöhn-
lich als Mittelformen bezeichnet. Es wurde oben schon er-
wähnt, dass die von Koelreutter für eine reine Mittelform ge-
haltene Bastardpflanze von Nicotiana rustica x paniculata
in der Länge der Kronenröhre ein Wenig näher der paniculata,
in der Weite derselben dagegen ein Wenig näher der rustica
steht. Solche kleine Schwankungen von dem reinen Mittel
nach der einen und der andern Seite hin scheinen sehr häufig
zu sein. Es giebt aber auch Fälle, in denen sie eine be-
deutendere Grösse erlangen und auffällig werden. Manchmal
erinnert z. B. der Mischling in den Blättern mehr an die eine,
in den Blüthen mehr an die andere Stammform. Brandza 1)
hat neuerdings einige Bastarde auch mit dem Mikroskop auf
ihre Zusammensetzung aus elterlichen Merkmalen geprüft und
hat bei manchen von ihnen einen solchen Wechsel nachweisen
können. So zeigte Marrubium Vaillantii, ein Bastard von Leo-
nurus Cardiaca und Marrubium vulgare die zwei Flügelkanten
des Blattstieles von Marrubium vulgare, aber im Innern des
Blattstieles die Anordnung der Gefässbündel von Leonurus. Die
Oberseite des Blattstieles zeigte die verzweigten Haare von
Leonurus, während auf der Unterseite Haare wie bei Marrubium
vulgare standen.

Ich will diesen Wechsel in der Ähnlichkeit mit den Eltern
nach Organen als "Verschiebung der Vererbungs-
Resultante in der Ontogenese
" bezeichnen.

A priori hätte man denken können, dass eine solche über-
haupt nicht möglich sei. Wenn, wie es doch feststeht, die

1) Brandza in "Compt. rend." 1890, T. 111, p. 317.
Weismann, Das Keimplasma. 23

scharf ausgesprochener Form scheinen solche Fälle zwar nicht
sehr häufig zu sein, in geringeren Graden aber findet ein
Schwanken von der väterlichen nach der mütterlichen Seite
hin fast bei allen solchen Bastarden statt, welche man gewöhn-
lich als Mittelformen bezeichnet. Es wurde oben schon er-
wähnt, dass die von Koelreutter für eine reine Mittelform ge-
haltene Bastardpflanze von Nicotiana rustica ♀ × paniculata ♂
in der Länge der Kronenröhre ein Wenig näher der paniculata,
in der Weite derselben dagegen ein Wenig näher der rustica
steht. Solche kleine Schwankungen von dem reinen Mittel
nach der einen und der andern Seite hin scheinen sehr häufig
zu sein. Es giebt aber auch Fälle, in denen sie eine be-
deutendere Grösse erlangen und auffällig werden. Manchmal
erinnert z. B. der Mischling in den Blättern mehr an die eine,
in den Blüthen mehr an die andere Stammform. Brandza 1)
hat neuerdings einige Bastarde auch mit dem Mikroskop auf
ihre Zusammensetzung aus elterlichen Merkmalen geprüft und
hat bei manchen von ihnen einen solchen Wechsel nachweisen
können. So zeigte Marrubium Vaillantii, ein Bastard von Leo-
nurus Cardiaca und Marrubium vulgare die zwei Flügelkanten
des Blattstieles von Marrubium vulgare, aber im Innern des
Blattstieles die Anordnung der Gefässbündel von Leonurus. Die
Oberseite des Blattstieles zeigte die verzweigten Haare von
Leonurus, während auf der Unterseite Haare wie bei Marrubium
vulgare standen.

Ich will diesen Wechsel in der Ähnlichkeit mit den Eltern
nach Organen als „Verschiebung der Vererbungs-
Resultante in der Ontogenese
“ bezeichnen.

A priori hätte man denken können, dass eine solche über-
haupt nicht möglich sei. Wenn, wie es doch feststeht, die

1) Brandza in „Compt. rend.“ 1890, T. 111, p. 317.
Weismann, Das Keimplasma. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0377" n="353"/>
scharf ausgesprochener Form scheinen solche Fälle zwar nicht<lb/>
sehr häufig zu sein, in geringeren Graden aber findet ein<lb/>
Schwanken von der väterlichen nach der mütterlichen Seite<lb/>
hin fast bei allen solchen Bastarden statt, welche man gewöhn-<lb/>
lich als Mittelformen bezeichnet. Es wurde oben schon er-<lb/>
wähnt, dass die von <hi rendition="#g">Koelreutter</hi> für eine reine Mittelform ge-<lb/>
haltene Bastardpflanze von Nicotiana rustica &#x2640; × paniculata &#x2642;<lb/>
in der Länge der Kronenröhre ein Wenig näher der paniculata,<lb/>
in der Weite derselben dagegen ein Wenig näher der rustica<lb/>
steht. Solche kleine Schwankungen von dem reinen Mittel<lb/>
nach der einen und der andern Seite hin scheinen sehr häufig<lb/>
zu sein. Es giebt aber auch Fälle, in denen sie eine be-<lb/>
deutendere Grösse erlangen und auffällig werden. Manchmal<lb/>
erinnert z. B. der Mischling in den Blättern mehr an die eine,<lb/>
in den Blüthen mehr an die andere Stammform. <hi rendition="#g">Brandza</hi> <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Brandza</hi> in &#x201E;Compt. rend.&#x201C; 1890, T. 111, p. 317.</note><lb/>
hat neuerdings einige Bastarde auch mit dem Mikroskop auf<lb/>
ihre Zusammensetzung aus elterlichen Merkmalen geprüft und<lb/>
hat bei manchen von ihnen einen solchen Wechsel nachweisen<lb/>
können. So zeigte Marrubium Vaillantii, ein Bastard von Leo-<lb/>
nurus Cardiaca und Marrubium vulgare die zwei Flügelkanten<lb/>
des Blattstieles von Marrubium vulgare, aber im Innern des<lb/>
Blattstieles die Anordnung der Gefässbündel von Leonurus. Die<lb/>
Oberseite des Blattstieles zeigte die verzweigten Haare von<lb/>
Leonurus, während auf der Unterseite Haare wie bei Marrubium<lb/>
vulgare standen.</p><lb/>
              <p>Ich will diesen Wechsel in der Ähnlichkeit mit den Eltern<lb/><hi rendition="#g">nach Organen</hi> als &#x201E;<hi rendition="#g">Verschiebung der Vererbungs-<lb/>
Resultante in der Ontogenese</hi>&#x201C; bezeichnen.</p><lb/>
              <p>A priori hätte man denken können, dass eine solche über-<lb/>
haupt nicht möglich sei. Wenn, wie es doch feststeht, die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Weismann</hi>, Das Keimplasma. 23</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0377] scharf ausgesprochener Form scheinen solche Fälle zwar nicht sehr häufig zu sein, in geringeren Graden aber findet ein Schwanken von der väterlichen nach der mütterlichen Seite hin fast bei allen solchen Bastarden statt, welche man gewöhn- lich als Mittelformen bezeichnet. Es wurde oben schon er- wähnt, dass die von Koelreutter für eine reine Mittelform ge- haltene Bastardpflanze von Nicotiana rustica ♀ × paniculata ♂ in der Länge der Kronenröhre ein Wenig näher der paniculata, in der Weite derselben dagegen ein Wenig näher der rustica steht. Solche kleine Schwankungen von dem reinen Mittel nach der einen und der andern Seite hin scheinen sehr häufig zu sein. Es giebt aber auch Fälle, in denen sie eine be- deutendere Grösse erlangen und auffällig werden. Manchmal erinnert z. B. der Mischling in den Blättern mehr an die eine, in den Blüthen mehr an die andere Stammform. Brandza 1) hat neuerdings einige Bastarde auch mit dem Mikroskop auf ihre Zusammensetzung aus elterlichen Merkmalen geprüft und hat bei manchen von ihnen einen solchen Wechsel nachweisen können. So zeigte Marrubium Vaillantii, ein Bastard von Leo- nurus Cardiaca und Marrubium vulgare die zwei Flügelkanten des Blattstieles von Marrubium vulgare, aber im Innern des Blattstieles die Anordnung der Gefässbündel von Leonurus. Die Oberseite des Blattstieles zeigte die verzweigten Haare von Leonurus, während auf der Unterseite Haare wie bei Marrubium vulgare standen. Ich will diesen Wechsel in der Ähnlichkeit mit den Eltern nach Organen als „Verschiebung der Vererbungs- Resultante in der Ontogenese“ bezeichnen. A priori hätte man denken können, dass eine solche über- haupt nicht möglich sei. Wenn, wie es doch feststeht, die 1) Brandza in „Compt. rend.“ 1890, T. 111, p. 317. Weismann, Das Keimplasma. 23

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/377
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/377>, abgerufen am 26.04.2024.