Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Werner
Generalmarsch ertönte; die Mannschaften waren wie electrisirt
durch den Gedanken, an den Feind zu kommen und die Deutsch-
land durch die Blockade angethanene Schmach zu rächen. Sie
flogen förmlich auf ihre Posten, unter ihren nervigen Armen
bewegten sich die schweren Geschütze wie Kinderspielzeug und
waren im Nu fertig zum Laden.

Etwa zwei Meilen nördlich von Helgoland kamen noch
zwei dänische Fregatten in Sicht, und noch weiter hin zeichnete
sich die Rauchwolke eines Dampfers am Himmel ab, aber auch
dort war Windstille, die Segelschiffe konnten nicht herankommen,
dem Dampfer waren wir gewachsen und es wurde deshalb keine
weitere Notiz davon genommen. Die Kartuschen und Granaten
wurden gebracht. Es sollte von uns zum ersten Male scharf
geschossen werden.

"Geladen!" tönte das Commando.

Die Kartuschen wurden in die Mündung geführt und die
Ansetzer fertig gehalten.

"Setzt an!" Die beiden Lader schoben die Kartuschen bis
auf den Boden des Rohres und setzten sie mit einem kurzen
Stoße an.

Die Bewegungen waren so gleichmäßig und prompt wie
bei der bestexercirten Mannschaft -- da aber stockte auf ein-
mal das ganze Manöver. Die Ansetzer saßen in den Ge-
schützen wie festgenagelt und waren auf keine Weise wieder
herauszubekommen. Der zur Aufnahme der Kartusche bestimmte
Ladungsraum im Rohr der Bombengeschütze war konisch geformt,
der Kopf der Ansetzer aber cylindrisch. Die Exercirkartusche
füllte diesen konischen Raum voll aus, die wirkliche Kartusche
aber nicht, und durch den Stoß hatten sich die Ansetzer so ver-
zweifelt festgeklemmt. Beim Exerciren kam dies nicht vor und
unsere artilleristischen Erfahrungen waren, wie bemerkt, noch zu
gering, um den Unterschied vorher zu bedenken. Unter anderen
Verhältnissen würde die Situation lächerlich gewesen sein, hier

Werner
Generalmarſch ertönte; die Mannſchaften waren wie electriſirt
durch den Gedanken, an den Feind zu kommen und die Deutſch-
land durch die Blockade angethanene Schmach zu rächen. Sie
flogen förmlich auf ihre Poſten, unter ihren nervigen Armen
bewegten ſich die ſchweren Geſchütze wie Kinderſpielzeug und
waren im Nu fertig zum Laden.

Etwa zwei Meilen nördlich von Helgoland kamen noch
zwei däniſche Fregatten in Sicht, und noch weiter hin zeichnete
ſich die Rauchwolke eines Dampfers am Himmel ab, aber auch
dort war Windſtille, die Segelſchiffe konnten nicht herankommen,
dem Dampfer waren wir gewachſen und es wurde deshalb keine
weitere Notiz davon genommen. Die Kartuſchen und Granaten
wurden gebracht. Es ſollte von uns zum erſten Male ſcharf
geſchoſſen werden.

„Geladen!“ tönte das Commando.

Die Kartuſchen wurden in die Mündung geführt und die
Anſetzer fertig gehalten.

„Setzt an!“ Die beiden Lader ſchoben die Kartuſchen bis
auf den Boden des Rohres und ſetzten ſie mit einem kurzen
Stoße an.

Die Bewegungen waren ſo gleichmäßig und prompt wie
bei der beſtexercirten Mannſchaft — da aber ſtockte auf ein-
mal das ganze Manöver. Die Anſetzer ſaßen in den Ge-
ſchützen wie feſtgenagelt und waren auf keine Weiſe wieder
herauszubekommen. Der zur Aufnahme der Kartuſche beſtimmte
Ladungsraum im Rohr der Bombengeſchütze war koniſch geformt,
der Kopf der Anſetzer aber cylindriſch. Die Exercirkartuſche
füllte dieſen koniſchen Raum voll aus, die wirkliche Kartuſche
aber nicht, und durch den Stoß hatten ſich die Anſetzer ſo ver-
zweifelt feſtgeklemmt. Beim Exerciren kam dies nicht vor und
unſere artilleriſtiſchen Erfahrungen waren, wie bemerkt, noch zu
gering, um den Unterſchied vorher zu bedenken. Unter anderen
Verhältniſſen würde die Situation lächerlich geweſen ſein, hier

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0204" n="192"/><fw place="top" type="header">Werner</fw><lb/>
Generalmar&#x017F;ch ertönte; die Mann&#x017F;chaften waren wie electri&#x017F;irt<lb/>
durch den Gedanken, an den Feind zu kommen und die Deut&#x017F;ch-<lb/>
land durch die Blockade angethanene Schmach zu rächen. Sie<lb/>
flogen förmlich auf ihre Po&#x017F;ten, unter ihren nervigen Armen<lb/>
bewegten &#x017F;ich die &#x017F;chweren Ge&#x017F;chütze wie Kinder&#x017F;pielzeug und<lb/>
waren im Nu fertig zum Laden.</p><lb/>
          <p>Etwa zwei Meilen nördlich von Helgoland kamen noch<lb/>
zwei däni&#x017F;che Fregatten in Sicht, und noch weiter hin zeichnete<lb/>
&#x017F;ich die Rauchwolke eines Dampfers am Himmel ab, aber auch<lb/>
dort war Wind&#x017F;tille, die Segel&#x017F;chiffe konnten nicht herankommen,<lb/>
dem Dampfer waren wir gewach&#x017F;en und es wurde deshalb keine<lb/>
weitere Notiz davon genommen. Die Kartu&#x017F;chen und Granaten<lb/>
wurden gebracht. Es &#x017F;ollte von uns zum er&#x017F;ten Male &#x017F;charf<lb/>
ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en werden.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Geladen!&#x201C; tönte das Commando.</p><lb/>
          <p>Die Kartu&#x017F;chen wurden in die Mündung geführt und die<lb/>
An&#x017F;etzer fertig gehalten.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Setzt an!&#x201C; Die beiden Lader &#x017F;choben die Kartu&#x017F;chen bis<lb/>
auf den Boden des Rohres und &#x017F;etzten &#x017F;ie mit einem kurzen<lb/>
Stoße an.</p><lb/>
          <p>Die Bewegungen waren &#x017F;o gleichmäßig und prompt wie<lb/>
bei der be&#x017F;texercirten Mann&#x017F;chaft &#x2014; da aber &#x017F;tockte auf ein-<lb/>
mal das ganze Manöver. Die An&#x017F;etzer &#x017F;aßen in den Ge-<lb/>
&#x017F;chützen wie fe&#x017F;tgenagelt und waren auf keine Wei&#x017F;e wieder<lb/>
herauszubekommen. Der zur Aufnahme der Kartu&#x017F;che be&#x017F;timmte<lb/>
Ladungsraum im Rohr der Bombenge&#x017F;chütze war koni&#x017F;ch geformt,<lb/>
der Kopf der An&#x017F;etzer aber cylindri&#x017F;ch. Die Exercirkartu&#x017F;che<lb/>
füllte die&#x017F;en koni&#x017F;chen Raum voll aus, die wirkliche Kartu&#x017F;che<lb/>
aber nicht, und durch den Stoß hatten &#x017F;ich die An&#x017F;etzer &#x017F;o ver-<lb/>
zweifelt fe&#x017F;tgeklemmt. Beim Exerciren kam dies nicht vor und<lb/>
un&#x017F;ere artilleri&#x017F;ti&#x017F;chen Erfahrungen waren, wie bemerkt, noch zu<lb/>
gering, um den Unter&#x017F;chied vorher zu bedenken. Unter anderen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;en würde die Situation lächerlich gewe&#x017F;en &#x017F;ein, hier<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0204] Werner Generalmarſch ertönte; die Mannſchaften waren wie electriſirt durch den Gedanken, an den Feind zu kommen und die Deutſch- land durch die Blockade angethanene Schmach zu rächen. Sie flogen förmlich auf ihre Poſten, unter ihren nervigen Armen bewegten ſich die ſchweren Geſchütze wie Kinderſpielzeug und waren im Nu fertig zum Laden. Etwa zwei Meilen nördlich von Helgoland kamen noch zwei däniſche Fregatten in Sicht, und noch weiter hin zeichnete ſich die Rauchwolke eines Dampfers am Himmel ab, aber auch dort war Windſtille, die Segelſchiffe konnten nicht herankommen, dem Dampfer waren wir gewachſen und es wurde deshalb keine weitere Notiz davon genommen. Die Kartuſchen und Granaten wurden gebracht. Es ſollte von uns zum erſten Male ſcharf geſchoſſen werden. „Geladen!“ tönte das Commando. Die Kartuſchen wurden in die Mündung geführt und die Anſetzer fertig gehalten. „Setzt an!“ Die beiden Lader ſchoben die Kartuſchen bis auf den Boden des Rohres und ſetzten ſie mit einem kurzen Stoße an. Die Bewegungen waren ſo gleichmäßig und prompt wie bei der beſtexercirten Mannſchaft — da aber ſtockte auf ein- mal das ganze Manöver. Die Anſetzer ſaßen in den Ge- ſchützen wie feſtgenagelt und waren auf keine Weiſe wieder herauszubekommen. Der zur Aufnahme der Kartuſche beſtimmte Ladungsraum im Rohr der Bombengeſchütze war koniſch geformt, der Kopf der Anſetzer aber cylindriſch. Die Exercirkartuſche füllte dieſen koniſchen Raum voll aus, die wirkliche Kartuſche aber nicht, und durch den Stoß hatten ſich die Anſetzer ſo ver- zweifelt feſtgeklemmt. Beim Exerciren kam dies nicht vor und unſere artilleriſtiſchen Erfahrungen waren, wie bemerkt, noch zu gering, um den Unterſchied vorher zu bedenken. Unter anderen Verhältniſſen würde die Situation lächerlich geweſen ſein, hier

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/204
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/204>, abgerufen am 28.04.2024.