vor Wanzen kein Auge schließen. Letztere sind auf älteren Kauf- fahrteischiffen eine häufige Plage und es giebt kein Mittel, um sie mit Erfolg zu vertreiben. Da flüchteten wir dann auf das Deck und schliefen in selbst gefertigten Hängematten, zu denen der Kapitän uns altes Segeltuch verabfolgen ließ, vorn auf der Back unter dem Sonnensegel. So lange es von oben trocken war, ging es, aber wenn die Gewitterregen losbrachen, bot das Sonnensegel gegen ihre Gewalt wenig Schutz. Wir zogen zwar noch ein Tau über unsere Hängematten und hingen eine wollene Decke zeltartig darüber, aber auch sie half nicht immer und wir wurden bisweilen trotzdem gründlich durchnäßt, was wir indessen den Wanzen bedeutend vorzogen.
Eines Abends standen wir, von der Arbeit todtmüde, im Begriff, in unsere luftige Schlafstätte zu klettern, als wieder eine heftige Gewitterbö einfiel. Es war eine ganze Menge Wind dabei und obwol er über Land kam, wühlte er doch rauhe See auf, so daß das Schiff ziemlich heftig vor seinem Anker stampfte. Unser Großboot war ausgesetzt und hinter dem Schiffe befestigt, wie dies auf Handelsschiffen üblich ist, wenn sie laden oder löschen, um die zum Laderaum führende große Luke freizumachen, auf der in See das Boot sonst steht. Durch die heftigen Stöße, mit denen letzteres in die kurze See ruckte, brach die Fangleine und das Boot trieb seewärts. Der wach- habende Matrose meldete den Verlust dem Steuermann und dieser befahl, eins der Seitenboote, die Schaluppe, zu Wasser zu lassen und zu bemannen, um den Flüchtling wieder einzufangen. Bei der beschränkten Bemannungszahl eines gewöhnlichen Handels- schiffes können die Boote natürlich nicht wie auf Kriegsschiffen eine besonders abgetheilte Besatzung haben, aber es ist Gebrauch, daß bei solchen Gelegenheiten ohne besonderen Befehl die Jünge- ren stets voran sind, und somit sprang auch ich mit drei anderen Leichtmatrosen und dem Untersteuermann in die Schaluppe. Letzte- rer ging an das Steuer, während wir vier anderen rudern sollten.
Eine erſte Seereiſe
vor Wanzen kein Auge ſchließen. Letztere ſind auf älteren Kauf- fahrteiſchiffen eine häufige Plage und es giebt kein Mittel, um ſie mit Erfolg zu vertreiben. Da flüchteten wir dann auf das Deck und ſchliefen in ſelbſt gefertigten Hängematten, zu denen der Kapitän uns altes Segeltuch verabfolgen ließ, vorn auf der Back unter dem Sonnenſegel. So lange es von oben trocken war, ging es, aber wenn die Gewitterregen losbrachen, bot das Sonnenſegel gegen ihre Gewalt wenig Schutz. Wir zogen zwar noch ein Tau über unſere Hängematten und hingen eine wollene Decke zeltartig darüber, aber auch ſie half nicht immer und wir wurden bisweilen trotzdem gründlich durchnäßt, was wir indeſſen den Wanzen bedeutend vorzogen.
Eines Abends ſtanden wir, von der Arbeit todtmüde, im Begriff, in unſere luftige Schlafſtätte zu klettern, als wieder eine heftige Gewitterbö einfiel. Es war eine ganze Menge Wind dabei und obwol er über Land kam, wühlte er doch rauhe See auf, ſo daß das Schiff ziemlich heftig vor ſeinem Anker ſtampfte. Unſer Großboot war ausgeſetzt und hinter dem Schiffe befeſtigt, wie dies auf Handelsſchiffen üblich iſt, wenn ſie laden oder löſchen, um die zum Laderaum führende große Luke freizumachen, auf der in See das Boot ſonſt ſteht. Durch die heftigen Stöße, mit denen letzteres in die kurze See ruckte, brach die Fangleine und das Boot trieb ſeewärts. Der wach- habende Matroſe meldete den Verluſt dem Steuermann und dieſer befahl, eins der Seitenboote, die Schaluppe, zu Waſſer zu laſſen und zu bemannen, um den Flüchtling wieder einzufangen. Bei der beſchränkten Bemannungszahl eines gewöhnlichen Handels- ſchiffes können die Boote natürlich nicht wie auf Kriegsſchiffen eine beſonders abgetheilte Beſatzung haben, aber es iſt Gebrauch, daß bei ſolchen Gelegenheiten ohne beſonderen Befehl die Jünge- ren ſtets voran ſind, und ſomit ſprang auch ich mit drei anderen Leichtmatroſen und dem Unterſteuermann in die Schaluppe. Letzte- rer ging an das Steuer, während wir vier anderen rudern ſollten.
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Eine erſte Seereiſe
vor Wanzen kein Auge ſchließen. Letztere ſind auf älteren Kauf-
fahrteiſchiffen eine häufige Plage und es giebt kein Mittel, um
ſie mit Erfolg zu vertreiben. Da flüchteten wir dann auf das
Deck und ſchliefen in ſelbſt gefertigten Hängematten, zu denen
der Kapitän uns altes Segeltuch verabfolgen ließ, vorn auf
der Back unter dem Sonnenſegel. So lange es von oben
trocken war, ging es, aber wenn die Gewitterregen losbrachen,
bot das Sonnenſegel gegen ihre Gewalt wenig Schutz. Wir
zogen zwar noch ein Tau über unſere Hängematten und hingen
eine wollene Decke zeltartig darüber, aber auch ſie half nicht
immer und wir wurden bisweilen trotzdem gründlich durchnäßt,
was wir indeſſen den Wanzen bedeutend vorzogen.
Eines Abends ſtanden wir, von der Arbeit todtmüde,
im Begriff, in unſere luftige Schlafſtätte zu klettern, als wieder
eine heftige Gewitterbö einfiel. Es war eine ganze Menge
Wind dabei und obwol er über Land kam, wühlte er doch
rauhe See auf, ſo daß das Schiff ziemlich heftig vor ſeinem
Anker ſtampfte. Unſer Großboot war ausgeſetzt und hinter dem
Schiffe befeſtigt, wie dies auf Handelsſchiffen üblich iſt, wenn
ſie laden oder löſchen, um die zum Laderaum führende große
Luke freizumachen, auf der in See das Boot ſonſt ſteht. Durch
die heftigen Stöße, mit denen letzteres in die kurze See ruckte,
brach die Fangleine und das Boot trieb ſeewärts. Der wach-
habende Matroſe meldete den Verluſt dem Steuermann und
dieſer befahl, eins der Seitenboote, die Schaluppe, zu Waſſer zu
laſſen und zu bemannen, um den Flüchtling wieder einzufangen.
Bei der beſchränkten Bemannungszahl eines gewöhnlichen Handels-
ſchiffes können die Boote natürlich nicht wie auf Kriegsſchiffen
eine beſonders abgetheilte Beſatzung haben, aber es iſt Gebrauch,
daß bei ſolchen Gelegenheiten ohne beſonderen Befehl die Jünge-
ren ſtets voran ſind, und ſomit ſprang auch ich mit drei anderen
Leichtmatroſen und dem Unterſteuermann in die Schaluppe. Letzte-
rer ging an das Steuer, während wir vier anderen rudern ſollten.
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/131>, abgerufen am 18.06.2024.
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