unsere; der Branntwein bildet den Fluch seines Lebens; er bietet alles auf, um ihn sich zu verschaffen und sich darin zu übernehmen. In Momenten der Gefahr ist er weniger zuver- lässig als der unsere und seine Führer verlieren leicht die Gewalt über ihn. Natürlich giebt es auch unter den deutschen See- leuten Subjecte, die den Engländern darin nichts nachgeben, aber sie bilden nur einen kleinen Bruchtheil der Gesammtheit, und diese hat auch im Auslande einen so guten Ruf, daß jeder Kapitän, namentlich aber der englische, deutsche Matrosen lieber wirbt, als seine Landsleute, weil er, neben ihren fachlichen Vor- zügen, ihre Zuverlässigkeit, ihr ruhiges fleißiges Wesen und ihre Nüchternheit zu schätzen weiß.
Während wir anfangs mit unsern deutschen Mannschaften, was Disciplin und Kriegsschiffszucht anbetraf, eine verhältniß- mäßig leichte Aufgabe hatten, wurde die Sache späterhin doch etwas schwieriger. Nach Ablauf ihres Engagements gingen die guten mecklenburgischen und friesischen Seeleute zum größten Theile fort, weil ihnen das ruhm- und thatenlose Stillliegen der Schiffe nicht behagte. Was sich statt ihrer zum Eintritt meldete, war oft ziemlich zweifelhafter Natur und bestand viel- fach aus Nichtseeleuten. In Ermangelung besserer Elemente und um zur ungestörten Handhabung des Dienstes unsere Mannschaftsstärke vollzählig zu halten, wurde bei der An- nahme nicht sehr scrupulös verfahren. Wenn das seemännische Interesse an die sich Meldenden stets die erste Frage richten ließ "Wie lange haben Sie gefahren?" so begnügten wir uns doch auch mit solchen, die keine Fahrzeit hatten, da auf fest verankerten Räderdampfschiffen, die außerdem nur mit einer sehr dürftigen Betakelung versehen waren, eigentliche Seemann- schaft weniger in das Gewicht fiel.
Bei jener stereotypen Frage lief jedoch bisweilen ein drasti- sches qui pro quo unter. So erinnere ich mich, daß sich eines Tages auf unserem Schiffe ein junger kräftiger Mann an-
Werner
unſere; der Branntwein bildet den Fluch ſeines Lebens; er bietet alles auf, um ihn ſich zu verſchaffen und ſich darin zu übernehmen. In Momenten der Gefahr iſt er weniger zuver- läſſig als der unſere und ſeine Führer verlieren leicht die Gewalt über ihn. Natürlich giebt es auch unter den deutſchen See- leuten Subjecte, die den Engländern darin nichts nachgeben, aber ſie bilden nur einen kleinen Bruchtheil der Geſammtheit, und dieſe hat auch im Auslande einen ſo guten Ruf, daß jeder Kapitän, namentlich aber der engliſche, deutſche Matroſen lieber wirbt, als ſeine Landsleute, weil er, neben ihren fachlichen Vor- zügen, ihre Zuverläſſigkeit, ihr ruhiges fleißiges Weſen und ihre Nüchternheit zu ſchätzen weiß.
Während wir anfangs mit unſern deutſchen Mannſchaften, was Disciplin und Kriegsſchiffszucht anbetraf, eine verhältniß- mäßig leichte Aufgabe hatten, wurde die Sache ſpäterhin doch etwas ſchwieriger. Nach Ablauf ihres Engagements gingen die guten mecklenburgiſchen und frieſiſchen Seeleute zum größten Theile fort, weil ihnen das ruhm- und thatenloſe Stillliegen der Schiffe nicht behagte. Was ſich ſtatt ihrer zum Eintritt meldete, war oft ziemlich zweifelhafter Natur und beſtand viel- fach aus Nichtſeeleuten. In Ermangelung beſſerer Elemente und um zur ungeſtörten Handhabung des Dienſtes unſere Mannſchaftsſtärke vollzählig zu halten, wurde bei der An- nahme nicht ſehr ſcrupulös verfahren. Wenn das ſeemänniſche Intereſſe an die ſich Meldenden ſtets die erſte Frage richten ließ „Wie lange haben Sie gefahren?“ ſo begnügten wir uns doch auch mit ſolchen, die keine Fahrzeit hatten, da auf feſt verankerten Räderdampfſchiffen, die außerdem nur mit einer ſehr dürftigen Betakelung verſehen waren, eigentliche Seemann- ſchaft weniger in das Gewicht fiel.
Bei jener ſtereotypen Frage lief jedoch bisweilen ein draſti- ſches qui pro quo unter. So erinnere ich mich, daß ſich eines Tages auf unſerem Schiffe ein junger kräftiger Mann an-
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Werner
unſere; der Branntwein bildet den Fluch ſeines Lebens; er
bietet alles auf, um ihn ſich zu verſchaffen und ſich darin zu
übernehmen. In Momenten der Gefahr iſt er weniger zuver-
läſſig als der unſere und ſeine Führer verlieren leicht die Gewalt
über ihn. Natürlich giebt es auch unter den deutſchen See-
leuten Subjecte, die den Engländern darin nichts nachgeben, aber
ſie bilden nur einen kleinen Bruchtheil der Geſammtheit, und
dieſe hat auch im Auslande einen ſo guten Ruf, daß jeder
Kapitän, namentlich aber der engliſche, deutſche Matroſen lieber
wirbt, als ſeine Landsleute, weil er, neben ihren fachlichen Vor-
zügen, ihre Zuverläſſigkeit, ihr ruhiges fleißiges Weſen und ihre
Nüchternheit zu ſchätzen weiß.
Während wir anfangs mit unſern deutſchen Mannſchaften,
was Disciplin und Kriegsſchiffszucht anbetraf, eine verhältniß-
mäßig leichte Aufgabe hatten, wurde die Sache ſpäterhin doch
etwas ſchwieriger. Nach Ablauf ihres Engagements gingen die
guten mecklenburgiſchen und frieſiſchen Seeleute zum größten
Theile fort, weil ihnen das ruhm- und thatenloſe Stillliegen
der Schiffe nicht behagte. Was ſich ſtatt ihrer zum Eintritt
meldete, war oft ziemlich zweifelhafter Natur und beſtand viel-
fach aus Nichtſeeleuten. In Ermangelung beſſerer Elemente
und um zur ungeſtörten Handhabung des Dienſtes unſere
Mannſchaftsſtärke vollzählig zu halten, wurde bei der An-
nahme nicht ſehr ſcrupulös verfahren. Wenn das ſeemänniſche
Intereſſe an die ſich Meldenden ſtets die erſte Frage richten
ließ „Wie lange haben Sie gefahren?“ ſo begnügten wir uns
doch auch mit ſolchen, die keine Fahrzeit hatten, da auf feſt
verankerten Räderdampfſchiffen, die außerdem nur mit einer
ſehr dürftigen Betakelung verſehen waren, eigentliche Seemann-
ſchaft weniger in das Gewicht fiel.
Bei jener ſtereotypen Frage lief jedoch bisweilen ein draſti-
ſches qui pro quo unter. So erinnere ich mich, daß ſich eines
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/244>, abgerufen am 16.06.2024.
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