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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Belphegorn zerstreute diese ruhige un-
angefochtene Lebensart allmählich die düstern
Wolken, die seine Widerwärtigkeiten um seine
Seele versammelt hatten; er sahe die Dinge
der Welt weniger schwarz, weil der Zirkel
um ihn erheiterter war, und weil er sich ge-
wöhnte, mehr das Gegenwärtige zu empfin-
den als darüber nachzudenken, seinen Blick
mehr in sich und den kleinen Umkreis seiner
kleinen Bedürfnisse und Freuden zurückzu-
ziehn und überhaupt den Horizont seines
Nachdenkens mehr und mehr zu verengern,
mehr finnlich als geistig, mehr empfinden-
des und handelndes als denkendes Thier
seyn zu wollen. Zu gleicher Zeit nahm er
unvermerkt die gutherzige Philosophie seines
Freundes, Medardus an, sich zu überre-
den,
daß alles gut sey, und daß vielleicht
die größten Unordnungen der moralischen
und körperlichen Natur zu einem unbekann-
ten Guten abzwecken, nichts der Natur zur
Last zu legen, zu glauben, daß sie ganz
Nordamerika Jahrhunderte hindurch sich be-
kriegen, fressen, schinden lassen kann --
Denn das konnte er sich nicht ausreden,
daß die Natur die erste Urheberinn dieser

herge-
U 2

Belphegorn zerſtreute dieſe ruhige un-
angefochtene Lebensart allmaͤhlich die duͤſtern
Wolken, die ſeine Widerwaͤrtigkeiten um ſeine
Seele verſammelt hatten; er ſahe die Dinge
der Welt weniger ſchwarz, weil der Zirkel
um ihn erheiterter war, und weil er ſich ge-
woͤhnte, mehr das Gegenwaͤrtige zu empfin-
den als daruͤber nachzudenken, ſeinen Blick
mehr in ſich und den kleinen Umkreis ſeiner
kleinen Beduͤrfniſſe und Freuden zuruͤckzu-
ziehn und uͤberhaupt den Horizont ſeines
Nachdenkens mehr und mehr zu verengern,
mehr finnlich als geiſtig, mehr empfinden-
des und handelndes als denkendes Thier
ſeyn zu wollen. Zu gleicher Zeit nahm er
unvermerkt die gutherzige Philoſophie ſeines
Freundes, Medardus an, ſich zu uͤberre-
den,
daß alles gut ſey, und daß vielleicht
die groͤßten Unordnungen der moraliſchen
und koͤrperlichen Natur zu einem unbekann-
ten Guten abzwecken, nichts der Natur zur
Laſt zu legen, zu glauben, daß ſie ganz
Nordamerika Jahrhunderte hindurch ſich be-
kriegen, freſſen, ſchinden laſſen kann —
Denn das konnte er ſich nicht ausreden,
daß die Natur die erſte Urheberinn dieſer

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[305/0311] Belphegorn zerſtreute dieſe ruhige un- angefochtene Lebensart allmaͤhlich die duͤſtern Wolken, die ſeine Widerwaͤrtigkeiten um ſeine Seele verſammelt hatten; er ſahe die Dinge der Welt weniger ſchwarz, weil der Zirkel um ihn erheiterter war, und weil er ſich ge- woͤhnte, mehr das Gegenwaͤrtige zu empfin- den als daruͤber nachzudenken, ſeinen Blick mehr in ſich und den kleinen Umkreis ſeiner kleinen Beduͤrfniſſe und Freuden zuruͤckzu- ziehn und uͤberhaupt den Horizont ſeines Nachdenkens mehr und mehr zu verengern, mehr finnlich als geiſtig, mehr empfinden- des und handelndes als denkendes Thier ſeyn zu wollen. Zu gleicher Zeit nahm er unvermerkt die gutherzige Philoſophie ſeines Freundes, Medardus an, ſich zu uͤberre- den, daß alles gut ſey, und daß vielleicht die groͤßten Unordnungen der moraliſchen und koͤrperlichen Natur zu einem unbekann- ten Guten abzwecken, nichts der Natur zur Laſt zu legen, zu glauben, daß ſie ganz Nordamerika Jahrhunderte hindurch ſich be- kriegen, freſſen, ſchinden laſſen kann — Denn das konnte er ſich nicht ausreden, daß die Natur die erſte Urheberinn dieſer herge- U 2

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/311>, abgerufen am 29.04.2024.