Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

pressen, die über dem lächelnden Kolorite
der Fruchtbäume mit ihrem melancholischen
Grün in vier Spitzen emporstiegen und un-
ter ihre Zweige die Wohnung des Derwisches
gleichsam wie unter Flügel nahmen. Der
ehrwürdige Alte saß mit zwo Töchtern in
persischer Kleidung auf einem Steine vor
seiner Wohnung und schaute mit entblöß-
tem Haupte nach der Sonne hin, die eben
hinter dem gegenüber stehenden Berge ver-
sinken wollte.

Belphegor hatte ihn kaum in der Ferne
erblickt, als er mit seiner Hastigkeit auf ihn
zuflog sich ihm zu Füßen warf und mit der
feurigsten Innbrunst seine Kniee umfaßte.
Der Alte hub ihn lächelnd auf und nöthigte
ihn durch ein freundliches Zeichen, sich neben
ihm niederzusetzen. Das Gefühl einer ge-
genwärtigen Gottheit könnte kaum feuriger
und mehr überwältigend seyn, als Belphe-
gors Empfindungen: er war sich seines Da-
seyns nicht bewußt, ein Schwarm ununter-
schiedner Vorstellungen und glänzender Bil-
dern schwebten um seine betäubte Seele,
und eben so viele verwickelte Gefühle fuhren
durch sein Herz. Lange saß er, so außer

sich

preſſen, die uͤber dem laͤchelnden Kolorite
der Fruchtbaͤume mit ihrem melancholiſchen
Gruͤn in vier Spitzen emporſtiegen und un-
ter ihre Zweige die Wohnung des Derwiſches
gleichſam wie unter Fluͤgel nahmen. Der
ehrwuͤrdige Alte ſaß mit zwo Toͤchtern in
perſiſcher Kleidung auf einem Steine vor
ſeiner Wohnung und ſchaute mit entbloͤß-
tem Haupte nach der Sonne hin, die eben
hinter dem gegenuͤber ſtehenden Berge ver-
ſinken wollte.

Belphegor hatte ihn kaum in der Ferne
erblickt, als er mit ſeiner Haſtigkeit auf ihn
zuflog ſich ihm zu Fuͤßen warf und mit der
feurigſten Innbrunſt ſeine Kniee umfaßte.
Der Alte hub ihn laͤchelnd auf und noͤthigte
ihn durch ein freundliches Zeichen, ſich neben
ihm niederzuſetzen. Das Gefuͤhl einer ge-
genwaͤrtigen Gottheit koͤnnte kaum feuriger
und mehr uͤberwaͤltigend ſeyn, als Belphe-
gors Empfindungen: er war ſich ſeines Da-
ſeyns nicht bewußt, ein Schwarm ununter-
ſchiedner Vorſtellungen und glaͤnzender Bil-
dern ſchwebten um ſeine betaͤubte Seele,
und eben ſo viele verwickelte Gefuͤhle fuhren
durch ſein Herz. Lange ſaß er, ſo außer

ſich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0079" n="73"/>
pre&#x017F;&#x017F;en, die u&#x0364;ber dem la&#x0364;chelnden Kolorite<lb/>
der Fruchtba&#x0364;ume mit ihrem melancholi&#x017F;chen<lb/>
Gru&#x0364;n in vier Spitzen empor&#x017F;tiegen und un-<lb/>
ter ihre Zweige die Wohnung des Derwi&#x017F;ches<lb/>
gleich&#x017F;am wie unter Flu&#x0364;gel nahmen. Der<lb/>
ehrwu&#x0364;rdige Alte &#x017F;aß mit zwo To&#x0364;chtern in<lb/>
per&#x017F;i&#x017F;cher Kleidung auf einem Steine vor<lb/>
&#x017F;einer Wohnung und &#x017F;chaute mit entblo&#x0364;ß-<lb/>
tem Haupte nach der Sonne hin, die eben<lb/>
hinter dem gegenu&#x0364;ber &#x017F;tehenden Berge ver-<lb/>
&#x017F;inken wollte.</p><lb/>
        <p>Belphegor hatte ihn kaum in der Ferne<lb/>
erblickt, als er mit &#x017F;einer Ha&#x017F;tigkeit auf ihn<lb/>
zuflog &#x017F;ich ihm zu Fu&#x0364;ßen warf und mit der<lb/>
feurig&#x017F;ten Innbrun&#x017F;t &#x017F;eine Kniee umfaßte.<lb/>
Der Alte hub ihn la&#x0364;chelnd auf und no&#x0364;thigte<lb/>
ihn durch ein freundliches Zeichen, &#x017F;ich neben<lb/>
ihm niederzu&#x017F;etzen. Das Gefu&#x0364;hl einer ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtigen Gottheit ko&#x0364;nnte kaum feuriger<lb/>
und mehr u&#x0364;berwa&#x0364;ltigend &#x017F;eyn, als Belphe-<lb/>
gors Empfindungen: er war &#x017F;ich &#x017F;eines Da-<lb/>
&#x017F;eyns nicht bewußt, ein Schwarm ununter-<lb/>
&#x017F;chiedner Vor&#x017F;tellungen und gla&#x0364;nzender Bil-<lb/>
dern &#x017F;chwebten um &#x017F;eine beta&#x0364;ubte Seele,<lb/>
und eben &#x017F;o viele verwickelte Gefu&#x0364;hle fuhren<lb/>
durch &#x017F;ein Herz. Lange &#x017F;aß er, &#x017F;o außer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ich</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0079] preſſen, die uͤber dem laͤchelnden Kolorite der Fruchtbaͤume mit ihrem melancholiſchen Gruͤn in vier Spitzen emporſtiegen und un- ter ihre Zweige die Wohnung des Derwiſches gleichſam wie unter Fluͤgel nahmen. Der ehrwuͤrdige Alte ſaß mit zwo Toͤchtern in perſiſcher Kleidung auf einem Steine vor ſeiner Wohnung und ſchaute mit entbloͤß- tem Haupte nach der Sonne hin, die eben hinter dem gegenuͤber ſtehenden Berge ver- ſinken wollte. Belphegor hatte ihn kaum in der Ferne erblickt, als er mit ſeiner Haſtigkeit auf ihn zuflog ſich ihm zu Fuͤßen warf und mit der feurigſten Innbrunſt ſeine Kniee umfaßte. Der Alte hub ihn laͤchelnd auf und noͤthigte ihn durch ein freundliches Zeichen, ſich neben ihm niederzuſetzen. Das Gefuͤhl einer ge- genwaͤrtigen Gottheit koͤnnte kaum feuriger und mehr uͤberwaͤltigend ſeyn, als Belphe- gors Empfindungen: er war ſich ſeines Da- ſeyns nicht bewußt, ein Schwarm ununter- ſchiedner Vorſtellungen und glaͤnzender Bil- dern ſchwebten um ſeine betaͤubte Seele, und eben ſo viele verwickelte Gefuͤhle fuhren durch ſein Herz. Lange ſaß er, ſo außer ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/79
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/79>, abgerufen am 04.05.2024.