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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Sechstes Buch, erstes Capitel.
lichkeiten von Smirna, alle Ansprüche an Beyfall, alle
Befriedigungen der Eitelkeit, und eine ganze Welt voll
Liebhaber wie eine Nußschale hinzuwerfen, um mit
Callias in einer mit Stroh bedekten Hütte zu leben, und
mit diesen Händen, welche nicht zu weiß und zärtlich da-
zu seyn sollten, die Milch zuzubereiten, die ihm, vom
Felde wiederkommend, weil ich sie ihm reichte, lieblicher
schmeken würde, als Nektar aus den Händen der Lie-
besgöttin.

O, das ist was anders, rief Hippias, der sich nun
nicht länger halten konnte, in ein lautes Gelächter aus-
zubrechen; wenn Dauae aus diesem Tone spricht, so hat
Hippias nichts mehr zu sagen. Aber, fuhr er fort, nach-
dem er sich die Augen gewischt und den Mund in Falten
gelegt hatte; in der That, schöne Freundin, ich lache zur
Unzeit; die Sache ist ernsthafter als ich beym ersten
Anblik dachte, und ich besorge nun in ganzem Ernste,
daß Callias, so sehr er dich anzubeten scheint, nicht
Liebe genug haben möchte, die deinige zu erwiedern.
Jch erlasse dem Hippias diese Sorge, sagte Danae mit
einem spöttischen Lächeln, welches ihr sehr reizend ließ;
das soll meine Sorge seyn; und mich däucht, Hippias,
welcher ein so grosser Meister ist, von den Würkungen
auf die Ursachen zu schliessen, sollte ganz ruhig darüber
seyn könuen, daß sich Danae nicht wie ein vierzehn-
jähriges Mädchen fangen läßt. Die Götter der Liebe
und Freude verhüten, daß meine Worte einen überweis-
sagenden Sinn in sich fassen, erwiederte Hippias! Du

liebest,
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Sechstes Buch, erſtes Capitel.
lichkeiten von Smirna, alle Anſpruͤche an Beyfall, alle
Befriedigungen der Eitelkeit, und eine ganze Welt voll
Liebhaber wie eine Nußſchale hinzuwerfen, um mit
Callias in einer mit Stroh bedekten Huͤtte zu leben, und
mit dieſen Haͤnden, welche nicht zu weiß und zaͤrtlich da-
zu ſeyn ſollten, die Milch zuzubereiten, die ihm, vom
Felde wiederkommend, weil ich ſie ihm reichte, lieblicher
ſchmeken wuͤrde, als Nektar aus den Haͤnden der Lie-
besgoͤttin.

O, das iſt was anders, rief Hippias, der ſich nun
nicht laͤnger halten konnte, in ein lautes Gelaͤchter aus-
zubrechen; wenn Dauae aus dieſem Tone ſpricht, ſo hat
Hippias nichts mehr zu ſagen. Aber, fuhr er fort, nach-
dem er ſich die Augen gewiſcht und den Mund in Falten
gelegt hatte; in der That, ſchoͤne Freundin, ich lache zur
Unzeit; die Sache iſt ernſthafter als ich beym erſten
Anblik dachte, und ich beſorge nun in ganzem Ernſte,
daß Callias, ſo ſehr er dich anzubeten ſcheint, nicht
Liebe genug haben moͤchte, die deinige zu erwiedern.
Jch erlaſſe dem Hippias dieſe Sorge, ſagte Danae mit
einem ſpoͤttiſchen Laͤcheln, welches ihr ſehr reizend ließ;
das ſoll meine Sorge ſeyn; und mich daͤucht, Hippias,
welcher ein ſo groſſer Meiſter iſt, von den Wuͤrkungen
auf die Urſachen zu ſchlieſſen, ſollte ganz ruhig daruͤber
ſeyn koͤnuen, daß ſich Danae nicht wie ein vierzehn-
jaͤhriges Maͤdchen fangen laͤßt. Die Goͤtter der Liebe
und Freude verhuͤten, daß meine Worte einen uͤberweiſ-
ſagenden Sinn in ſich faſſen, erwiederte Hippias! Du

liebeſt,
P 2
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[227/0249] Sechstes Buch, erſtes Capitel. lichkeiten von Smirna, alle Anſpruͤche an Beyfall, alle Befriedigungen der Eitelkeit, und eine ganze Welt voll Liebhaber wie eine Nußſchale hinzuwerfen, um mit Callias in einer mit Stroh bedekten Huͤtte zu leben, und mit dieſen Haͤnden, welche nicht zu weiß und zaͤrtlich da- zu ſeyn ſollten, die Milch zuzubereiten, die ihm, vom Felde wiederkommend, weil ich ſie ihm reichte, lieblicher ſchmeken wuͤrde, als Nektar aus den Haͤnden der Lie- besgoͤttin. O, das iſt was anders, rief Hippias, der ſich nun nicht laͤnger halten konnte, in ein lautes Gelaͤchter aus- zubrechen; wenn Dauae aus dieſem Tone ſpricht, ſo hat Hippias nichts mehr zu ſagen. Aber, fuhr er fort, nach- dem er ſich die Augen gewiſcht und den Mund in Falten gelegt hatte; in der That, ſchoͤne Freundin, ich lache zur Unzeit; die Sache iſt ernſthafter als ich beym erſten Anblik dachte, und ich beſorge nun in ganzem Ernſte, daß Callias, ſo ſehr er dich anzubeten ſcheint, nicht Liebe genug haben moͤchte, die deinige zu erwiedern. Jch erlaſſe dem Hippias dieſe Sorge, ſagte Danae mit einem ſpoͤttiſchen Laͤcheln, welches ihr ſehr reizend ließ; das ſoll meine Sorge ſeyn; und mich daͤucht, Hippias, welcher ein ſo groſſer Meiſter iſt, von den Wuͤrkungen auf die Urſachen zu ſchlieſſen, ſollte ganz ruhig daruͤber ſeyn koͤnuen, daß ſich Danae nicht wie ein vierzehn- jaͤhriges Maͤdchen fangen laͤßt. Die Goͤtter der Liebe und Freude verhuͤten, daß meine Worte einen uͤberweiſ- ſagenden Sinn in ſich faſſen, erwiederte Hippias! Du liebeſt, P 2

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/249>, abgerufen am 26.04.2024.