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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
die er mir für Dienste oder Wolthaten schuldig seyn
mochte; welche nun als die Lokspeise angesehen wurden,
womit ich die Freyheit, und mit ihr das Eigenthum
meiner Mitbürger, wegzuangeln getrachtet. Kurz:
Eben dieses Volk, welches vor wenigen Monaten mehr
als menschliche Vollkommenheiten an mir bewunderte,
war izt unbillig genug, mir nicht das geringste Ver-
dienst übrig zu lassen; und eben diejenigen, welche auf
den ersten Wink bereit gewesen wären, mir die Ober-
herrschaft in einem allgemeinen Zusammenlauf aufzu-
dringen, waren izt begierig, mich einen Anschlag, den
ich nie gefaßt, gegen eine Freyheit, deren sie sich in
diesem Augenblike selbst begaben, mit meinem Blute
büssen zu sehen. Mein Urtheil war zu eben der Zeit,
da mir die gewöhnliche Frist zur Verantwortung ge-
geben wurde, durch die Mehrheit der Stimmen schon
gefällt; und das Vergnügen, womit ich von einer un-
zählbaren Menge Volks ins Gefängniß begleitet wurde,
würde vollkommen gewesen seyn, wenn die Geseze ge-
stattet hätten, mich, anstatt dahin, ohne weitere Pro-
ceß-Förmlichkeiten, zum Richt-Plaz zu führen.

So glüklich meiuen Feinden ihr Anschlag von stat-
ten gegangen war, so glaubten sie doch, sich meines
Untergangs noch nicht genugsam versichert zu haben;
sie fürchteten die Unbeständigkeit eines Volks, von
welchem sie allzuwol wußten, wie leicht es in entgegen-
gesezte Bewegungen zu sezen war. Es blieb möglich,
daß ich mit einer blossen Verbannung auf einige Jahre

durch-

Agathon.
die er mir fuͤr Dienſte oder Wolthaten ſchuldig ſeyn
mochte; welche nun als die Lokſpeiſe angeſehen wurden,
womit ich die Freyheit, und mit ihr das Eigenthum
meiner Mitbuͤrger, wegzuangeln getrachtet. Kurz:
Eben dieſes Volk, welches vor wenigen Monaten mehr
als menſchliche Vollkommenheiten an mir bewunderte,
war izt unbillig genug, mir nicht das geringſte Ver-
dienſt uͤbrig zu laſſen; und eben diejenigen, welche auf
den erſten Wink bereit geweſen waͤren, mir die Ober-
herrſchaft in einem allgemeinen Zuſammenlauf aufzu-
dringen, waren izt begierig, mich einen Anſchlag, den
ich nie gefaßt, gegen eine Freyheit, deren ſie ſich in
dieſem Augenblike ſelbſt begaben, mit meinem Blute
buͤſſen zu ſehen. Mein Urtheil war zu eben der Zeit,
da mir die gewoͤhnliche Friſt zur Verantwortung ge-
geben wurde, durch die Mehrheit der Stimmen ſchon
gefaͤllt; und das Vergnuͤgen, womit ich von einer un-
zaͤhlbaren Menge Volks ins Gefaͤngniß begleitet wurde,
wuͤrde vollkommen geweſen ſeyn, wenn die Geſeze ge-
ſtattet haͤtten, mich, anſtatt dahin, ohne weitere Pro-
ceß-Foͤrmlichkeiten, zum Richt-Plaz zu fuͤhren.

So gluͤklich meiuen Feinden ihr Anſchlag von ſtat-
ten gegangen war, ſo glaubten ſie doch, ſich meines
Untergangs noch nicht genugſam verſichert zu haben;
ſie fuͤrchteten die Unbeſtaͤndigkeit eines Volks, von
welchem ſie allzuwol wußten, wie leicht es in entgegen-
geſezte Bewegungen zu ſezen war. Es blieb moͤglich,
daß ich mit einer bloſſen Verbannung auf einige Jahre

durch-
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[358/0380] Agathon. die er mir fuͤr Dienſte oder Wolthaten ſchuldig ſeyn mochte; welche nun als die Lokſpeiſe angeſehen wurden, womit ich die Freyheit, und mit ihr das Eigenthum meiner Mitbuͤrger, wegzuangeln getrachtet. Kurz: Eben dieſes Volk, welches vor wenigen Monaten mehr als menſchliche Vollkommenheiten an mir bewunderte, war izt unbillig genug, mir nicht das geringſte Ver- dienſt uͤbrig zu laſſen; und eben diejenigen, welche auf den erſten Wink bereit geweſen waͤren, mir die Ober- herrſchaft in einem allgemeinen Zuſammenlauf aufzu- dringen, waren izt begierig, mich einen Anſchlag, den ich nie gefaßt, gegen eine Freyheit, deren ſie ſich in dieſem Augenblike ſelbſt begaben, mit meinem Blute buͤſſen zu ſehen. Mein Urtheil war zu eben der Zeit, da mir die gewoͤhnliche Friſt zur Verantwortung ge- geben wurde, durch die Mehrheit der Stimmen ſchon gefaͤllt; und das Vergnuͤgen, womit ich von einer un- zaͤhlbaren Menge Volks ins Gefaͤngniß begleitet wurde, wuͤrde vollkommen geweſen ſeyn, wenn die Geſeze ge- ſtattet haͤtten, mich, anſtatt dahin, ohne weitere Pro- ceß-Foͤrmlichkeiten, zum Richt-Plaz zu fuͤhren. So gluͤklich meiuen Feinden ihr Anſchlag von ſtat- ten gegangen war, ſo glaubten ſie doch, ſich meines Untergangs noch nicht genugſam verſichert zu haben; ſie fuͤrchteten die Unbeſtaͤndigkeit eines Volks, von welchem ſie allzuwol wußten, wie leicht es in entgegen- geſezte Bewegungen zu ſezen war. Es blieb moͤglich, daß ich mit einer bloſſen Verbannung auf einige Jahre durch-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/380>, abgerufen am 20.05.2024.