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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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42.
Er küßt mit diesem wort die sanftbezwungne Schöne
Zum drittenmal auf ihren holden mund.
Ha! schreyt der Sultan auf, und knirscht, und stampft den grund
Vor Ungeduld -- ihr leidet daß der hund
Von einem Franken so mich höhne?
Ergreift ihn! Zaudern ist verrath!
Und, tropfenweis erpreßt, versöhne
Sein schwarzes blut die ungeheure that!
43.
Auf einmal blitzen hundert klingen
In Hüons aug', und kaum erhascht er noch,
Eh sie im sturm auf ihn von allen seiten dringen,
Sein hingeworfenes schwert. Er schwingt es dräuend. Doch
Die schöne Rezia, von lieb' und angst entgeistert,
Schlingt einen arm um ihn, macht ihre brust zum schild
Der seinigen -- der andre arm bemeistert
Sich seines schwerts. Zurück, verwegne, schreyt sie wild:
44.
Zurück! es ist kein weg zu diesem busen
Als mitten durch den meinen, ruft sie laut;
Und, kaum so sanft und hold wie Amors braut,
Macht die verzweiflung sie so gräßlich wie Medusen.
Vermeßne, haltet ein, ruft sie den Emirn zu,
Zurück! -- O schone sein, mein Vater! -- und, o du,
Den zum Gemahl das schiksal mir gegeben,
O! spart mein blut in euer beyder leben!
45. Um-
42.
Er kuͤßt mit dieſem wort die ſanftbezwungne Schoͤne
Zum drittenmal auf ihren holden mund.
Ha! ſchreyt der Sultan auf, und knirſcht, und ſtampft den grund
Vor Ungeduld — ihr leidet daß der hund
Von einem Franken ſo mich hoͤhne?
Ergreift ihn! Zaudern iſt verrath!
Und, tropfenweis erpreßt, verſoͤhne
Sein ſchwarzes blut die ungeheure that!
43.
Auf einmal blitzen hundert klingen
In Huͤons aug', und kaum erhaſcht er noch,
Eh ſie im ſturm auf ihn von allen ſeiten dringen,
Sein hingeworfenes ſchwert. Er ſchwingt es draͤuend. Doch
Die ſchoͤne Rezia, von lieb' und angſt entgeiſtert,
Schlingt einen arm um ihn, macht ihre bruſt zum ſchild
Der ſeinigen — der andre arm bemeiſtert
Sich ſeines ſchwerts. Zuruͤck, verwegne, ſchreyt ſie wild:
44.
Zuruͤck! es iſt kein weg zu dieſem buſen
Als mitten durch den meinen, ruft ſie laut;
Und, kaum ſo ſanft und hold wie Amors braut,
Macht die verzweiflung ſie ſo graͤßlich wie Meduſen.
Vermeßne, haltet ein, ruft ſie den Emirn zu,
Zuruͤck! — O ſchone ſein, mein Vater! — und, o du,
Den zum Gemahl das ſchikſal mir gegeben,
O! ſpart mein blut in euer beyder leben!
45. Um-
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[0112] 42. Er kuͤßt mit dieſem wort die ſanftbezwungne Schoͤne Zum drittenmal auf ihren holden mund. Ha! ſchreyt der Sultan auf, und knirſcht, und ſtampft den grund Vor Ungeduld — ihr leidet daß der hund Von einem Franken ſo mich hoͤhne? Ergreift ihn! Zaudern iſt verrath! Und, tropfenweis erpreßt, verſoͤhne Sein ſchwarzes blut die ungeheure that! 43. Auf einmal blitzen hundert klingen In Huͤons aug', und kaum erhaſcht er noch, Eh ſie im ſturm auf ihn von allen ſeiten dringen, Sein hingeworfenes ſchwert. Er ſchwingt es draͤuend. Doch Die ſchoͤne Rezia, von lieb' und angſt entgeiſtert, Schlingt einen arm um ihn, macht ihre bruſt zum ſchild Der ſeinigen — der andre arm bemeiſtert Sich ſeines ſchwerts. Zuruͤck, verwegne, ſchreyt ſie wild: 44. Zuruͤck! es iſt kein weg zu dieſem buſen Als mitten durch den meinen, ruft ſie laut; Und, kaum ſo ſanft und hold wie Amors braut, Macht die verzweiflung ſie ſo graͤßlich wie Meduſen. Vermeßne, haltet ein, ruft ſie den Emirn zu, Zuruͤck! — O ſchone ſein, mein Vater! — und, o du, Den zum Gemahl das ſchikſal mir gegeben, O! ſpart mein blut in euer beyder leben! 45. Um-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/112>, abgerufen am 08.05.2024.