Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
20.
Amanda fährt entseelt aus des Geliebten armen,
Gott! ruft sie aus, was haben wir gethan?
Der Schuldbewußte fleht den Schuzgeist um erbarmen,
Um hülfe, wenigstens nur für Amanden, an;
Vergebens! Oberon ist nun der unschuld rächer,
Ist unerbittlich nun in seinem strafgericht;
Verschwunden sind das hifthorn und der becher,
Die pfänder seiner huld; er hört, und rettet nicht.
21.
Der Hauptmann ruft indeß das ganze volk zusammen;
Ihr, spricht er, seht die allgemeine noth;
Mit jedem pulsschlag wird von wasser, wind und flammen
Dem guten schiff der untergang gedroht.
Nie sah ich solchen sturm! Der Himmel scheint zum tod,
Um Eines schuld vielleicht, uns alle zu verdammen;
Um Eines frevlers schuld, zum untergang verflucht,
Den unter uns der bliz des Rächers sucht.
22.
So laßt uns denn durchs Loos den Himmel fragen,
Was für ein opfer er verlangt!
Ist einer unter euch, dem vor der wage bangt?
Wo jeder sterben muß hat keiner was zu wagen!
Er sprachs, und jedermann stimmt in den vorschlag ein.
Der Priester bringt den kelch: man wirft die loose drein;
Rings um ihn her liegt alles auf den knieen,
Er murmelt ein Gebet, und heißt nun jeden ziehen.
23. Ge-
20.
Amanda faͤhrt entſeelt aus des Geliebten armen,
Gott! ruft ſie aus, was haben wir gethan?
Der Schuldbewußte fleht den Schuzgeiſt um erbarmen,
Um huͤlfe, wenigſtens nur fuͤr Amanden, an;
Vergebens! Oberon iſt nun der unſchuld raͤcher,
Iſt unerbittlich nun in ſeinem ſtrafgericht;
Verſchwunden ſind das hifthorn und der becher,
Die pfaͤnder ſeiner huld; er hoͤrt, und rettet nicht.
21.
Der Hauptmann ruft indeß das ganze volk zuſammen;
Ihr, ſpricht er, ſeht die allgemeine noth;
Mit jedem pulsſchlag wird von waſſer, wind und flammen
Dem guten ſchiff der untergang gedroht.
Nie ſah ich ſolchen ſturm! Der Himmel ſcheint zum tod,
Um Eines ſchuld vielleicht, uns alle zu verdammen;
Um Eines frevlers ſchuld, zum untergang verflucht,
Den unter uns der bliz des Raͤchers ſucht.
22.
So laßt uns denn durchs Loos den Himmel fragen,
Was fuͤr ein opfer er verlangt!
Iſt einer unter euch, dem vor der wage bangt?
Wo jeder ſterben muß hat keiner was zu wagen!
Er ſprachs, und jedermann ſtimmt in den vorſchlag ein.
Der Prieſter bringt den kelch: man wirft die looſe drein;
Rings um ihn her liegt alles auf den knieen,
Er murmelt ein Gebet, und heißt nun jeden ziehen.
23. Ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0170"/>
            <lg n="20">
              <head> <hi rendition="#c">20.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">A</hi>manda fa&#x0364;hrt ent&#x017F;eelt aus des Geliebten armen,</l><lb/>
              <l>Gott! ruft &#x017F;ie aus, was haben wir gethan?</l><lb/>
              <l>Der Schuldbewußte fleht den Schuzgei&#x017F;t um erbarmen,</l><lb/>
              <l>Um hu&#x0364;lfe, wenig&#x017F;tens nur fu&#x0364;r Amanden, an;</l><lb/>
              <l>Vergebens! Oberon i&#x017F;t nun der un&#x017F;chuld ra&#x0364;cher,</l><lb/>
              <l>I&#x017F;t unerbittlich nun in &#x017F;einem &#x017F;trafgericht;</l><lb/>
              <l>Ver&#x017F;chwunden &#x017F;ind das hifthorn und der becher,</l><lb/>
              <l>Die pfa&#x0364;nder &#x017F;einer huld; er ho&#x0364;rt, und rettet nicht.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="21">
              <head> <hi rendition="#c">21.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">D</hi>er Hauptmann ruft indeß das ganze volk zu&#x017F;ammen;</l><lb/>
              <l>Ihr, &#x017F;pricht er, &#x017F;eht die allgemeine noth;</l><lb/>
              <l>Mit jedem puls&#x017F;chlag wird von wa&#x017F;&#x017F;er, wind und flammen</l><lb/>
              <l>Dem guten &#x017F;chiff der untergang gedroht.</l><lb/>
              <l>Nie &#x017F;ah ich &#x017F;olchen &#x017F;turm! Der Himmel &#x017F;cheint zum tod,</l><lb/>
              <l>Um Eines &#x017F;chuld vielleicht, uns alle zu verdammen;</l><lb/>
              <l>Um Eines frevlers &#x017F;chuld, zum untergang verflucht,</l><lb/>
              <l>Den unter uns der bliz des Ra&#x0364;chers &#x017F;ucht.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="22">
              <head> <hi rendition="#c">22.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">S</hi>o laßt uns denn durchs Loos den Himmel fragen,</l><lb/>
              <l>Was fu&#x0364;r ein opfer er verlangt!</l><lb/>
              <l>I&#x017F;t einer unter euch, dem vor der wage bangt?</l><lb/>
              <l>Wo jeder &#x017F;terben muß hat keiner was zu wagen!</l><lb/>
              <l>Er &#x017F;prachs, und jedermann &#x017F;timmt in den vor&#x017F;chlag ein.</l><lb/>
              <l>Der Prie&#x017F;ter bringt den kelch: man wirft die loo&#x017F;e drein;</l><lb/>
              <l>Rings um ihn her liegt alles auf den knieen,</l><lb/>
              <l>Er murmelt ein Gebet, und heißt nun jeden ziehen.</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">23. Ge-</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0170] 20. Amanda faͤhrt entſeelt aus des Geliebten armen, Gott! ruft ſie aus, was haben wir gethan? Der Schuldbewußte fleht den Schuzgeiſt um erbarmen, Um huͤlfe, wenigſtens nur fuͤr Amanden, an; Vergebens! Oberon iſt nun der unſchuld raͤcher, Iſt unerbittlich nun in ſeinem ſtrafgericht; Verſchwunden ſind das hifthorn und der becher, Die pfaͤnder ſeiner huld; er hoͤrt, und rettet nicht. 21. Der Hauptmann ruft indeß das ganze volk zuſammen; Ihr, ſpricht er, ſeht die allgemeine noth; Mit jedem pulsſchlag wird von waſſer, wind und flammen Dem guten ſchiff der untergang gedroht. Nie ſah ich ſolchen ſturm! Der Himmel ſcheint zum tod, Um Eines ſchuld vielleicht, uns alle zu verdammen; Um Eines frevlers ſchuld, zum untergang verflucht, Den unter uns der bliz des Raͤchers ſucht. 22. So laßt uns denn durchs Loos den Himmel fragen, Was fuͤr ein opfer er verlangt! Iſt einer unter euch, dem vor der wage bangt? Wo jeder ſterben muß hat keiner was zu wagen! Er ſprachs, und jedermann ſtimmt in den vorſchlag ein. Der Prieſter bringt den kelch: man wirft die looſe drein; Rings um ihn her liegt alles auf den knieen, Er murmelt ein Gebet, und heißt nun jeden ziehen. 23. Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/170
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/170>, abgerufen am 05.05.2024.