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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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32.
In eben dieser Nacht, von dunkeln vorgefühlen
Der zukunft aufgeschrekt, erhub Titania
Die augen himmelwärts -- und alle rosen fielen
Von ihren wangen ab, indem sie stand, und sah,
Und las. Sie rief den lieblichen Gespielen,
Mit ihr zu sehen was in diesem nu geschah,
Und wie zu unglükschwangern zügen
Amandens Sterne schon sich an einander fügen.
33.
Und, dicht in schatten eingeschleyert, fliegt
Sie schnell dem lager zu, wo zwischen mandelbäumen
(Der Knabe neben ihr) die Königstochter liegt,
Aus ihrem schlaf von ahnungsvollen träumen
Oft aufgestört. Titania berührt
Die brust der Schläferin (damit die unruh schweige
Die in ihr klopft) mit ihrem rosenzweige,
Und raubt den knaben weg, der nichts davon verspürt.
34.
Sie kommt zurük mit ihrem schönen Raube
Und spricht zu ihren Grazien: ihr seht
Das grausame gestirn, das ob Amanden steht:
Eilt, rettet dieses kind in meine schönste laube,
Und pfleget sein, als wär's mein eigner sohn.
Drauf zog sie aus dem kranz um ihre stirne
Drey rosenknospen aus, gab jeder holden Dirne
Ein knöspchen hin, und sprach: hinweg, es dämmert schon!
35. Thut,
P 3
32.
In eben dieſer Nacht, von dunkeln vorgefuͤhlen
Der zukunft aufgeſchrekt, erhub Titania
Die augen himmelwaͤrts — und alle roſen fielen
Von ihren wangen ab, indem ſie ſtand, und ſah,
Und las. Sie rief den lieblichen Geſpielen,
Mit ihr zu ſehen was in dieſem nu geſchah,
Und wie zu ungluͤkſchwangern zuͤgen
Amandens Sterne ſchon ſich an einander fuͤgen.
33.
Und, dicht in ſchatten eingeſchleyert, fliegt
Sie ſchnell dem lager zu, wo zwiſchen mandelbaͤumen
(Der Knabe neben ihr) die Koͤnigstochter liegt,
Aus ihrem ſchlaf von ahnungsvollen traͤumen
Oft aufgeſtoͤrt. Titania beruͤhrt
Die bruſt der Schlaͤferin (damit die unruh ſchweige
Die in ihr klopft) mit ihrem roſenzweige,
Und raubt den knaben weg, der nichts davon verſpuͤrt.
34.
Sie kommt zuruͤk mit ihrem ſchoͤnen Raube
Und ſpricht zu ihren Grazien: ihr ſeht
Das grauſame geſtirn, das ob Amanden ſteht:
Eilt, rettet dieſes kind in meine ſchoͤnſte laube,
Und pfleget ſein, als waͤr's mein eigner ſohn.
Drauf zog ſie aus dem kranz um ihre ſtirne
Drey roſenknoſpen aus, gab jeder holden Dirne
Ein knoͤſpchen hin, und ſprach: hinweg, es daͤmmert ſchon!
35. Thut,
P 3
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[0235] 32. In eben dieſer Nacht, von dunkeln vorgefuͤhlen Der zukunft aufgeſchrekt, erhub Titania Die augen himmelwaͤrts — und alle roſen fielen Von ihren wangen ab, indem ſie ſtand, und ſah, Und las. Sie rief den lieblichen Geſpielen, Mit ihr zu ſehen was in dieſem nu geſchah, Und wie zu ungluͤkſchwangern zuͤgen Amandens Sterne ſchon ſich an einander fuͤgen. 33. Und, dicht in ſchatten eingeſchleyert, fliegt Sie ſchnell dem lager zu, wo zwiſchen mandelbaͤumen (Der Knabe neben ihr) die Koͤnigstochter liegt, Aus ihrem ſchlaf von ahnungsvollen traͤumen Oft aufgeſtoͤrt. Titania beruͤhrt Die bruſt der Schlaͤferin (damit die unruh ſchweige Die in ihr klopft) mit ihrem roſenzweige, Und raubt den knaben weg, der nichts davon verſpuͤrt. 34. Sie kommt zuruͤk mit ihrem ſchoͤnen Raube Und ſpricht zu ihren Grazien: ihr ſeht Das grauſame geſtirn, das ob Amanden ſteht: Eilt, rettet dieſes kind in meine ſchoͤnſte laube, Und pfleget ſein, als waͤr's mein eigner ſohn. Drauf zog ſie aus dem kranz um ihre ſtirne Drey roſenknoſpen aus, gab jeder holden Dirne Ein knoͤſpchen hin, und ſprach: hinweg, es daͤmmert ſchon! 35. Thut, P 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/235>, abgerufen am 03.05.2024.