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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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12.
Entrissen ward sie mir! Noch strekt sie aus der flut
Die arme gegen mich -- noch stokt vor angst mein blut --
Und ach! Wie an den grund mit ketten
Geschmiedet, stand ich da, ohnmächtig sie zu retten.
Das war im traum, spricht Scherasmin: wofür
Euch ohne noth mit schwarzer ahnung grämen?
Ein traum läßt nie von art. Das beste, glaubet mit,
Ist, sich daraus nur was uns freut zu nehmen.
13.
Daß euch im traum ein wohlgewogner geist
Die künftge Königin von euern herzen weißt,
Das hat er gut gemacht; so etwas läßt sich glauben,
Und kurz, wir nehmen's nun für baare wahrheit an.
Allein den strom, den wirbelwind, die schrauben
An hand und fuß, die hat der traum hinzugethan.
Mir selbst ist oft in meinen jüngern Jahren,
Wenn mich der Alp gedrükt, dergleichen wiederfahren.
14.
Da, zum Exempel, läuft ein schwarzer zottelbär,
Indem ich wandeln geh, der himmel weiß woher,
Mir in den weg; ich greif im schrecken nach dem degen
Und zieh, und zieh -- umsonst! Ein plözlich unvermögen
Strikt jede sehne mir an allen gliedern loß;
Zusehens wird der bär noch siebenmal so groß,
Sperrt einen rachen auf so gräßlich wie die hölle:
Ich flieh und ängstige mich, und kann nicht von der stelle.
15. Ein
12.
Entriſſen ward ſie mir! Noch ſtrekt ſie aus der flut
Die arme gegen mich — noch ſtokt vor angſt mein blut —
Und ach! Wie an den grund mit ketten
Geſchmiedet, ſtand ich da, ohnmaͤchtig ſie zu retten.
Das war im traum, ſpricht Scherasmin: wofuͤr
Euch ohne noth mit ſchwarzer ahnung graͤmen?
Ein traum laͤßt nie von art. Das beſte, glaubet mit,
Iſt, ſich daraus nur was uns freut zu nehmen.
13.
Daß euch im traum ein wohlgewogner geiſt
Die kuͤnftge Koͤnigin von euern herzen weißt,
Das hat er gut gemacht; ſo etwas laͤßt ſich glauben,
Und kurz, wir nehmen's nun fuͤr baare wahrheit an.
Allein den ſtrom, den wirbelwind, die ſchrauben
An hand und fuß, die hat der traum hinzugethan.
Mir ſelbſt iſt oft in meinen juͤngern Jahren,
Wenn mich der Alp gedruͤkt, dergleichen wiederfahren.
14.
Da, zum Exempel, laͤuft ein ſchwarzer zottelbaͤr,
Indem ich wandeln geh, der himmel weiß woher,
Mir in den weg; ich greif im ſchrecken nach dem degen
Und zieh, und zieh — umſonſt! Ein ploͤzlich unvermoͤgen
Strikt jede ſehne mir an allen gliedern loß;
Zuſehens wird der baͤr noch ſiebenmal ſo groß,
Sperrt einen rachen auf ſo graͤßlich wie die hoͤlle:
Ich flieh und aͤngſtige mich, und kann nicht von der ſtelle.
15. Ein
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[0080] 12. Entriſſen ward ſie mir! Noch ſtrekt ſie aus der flut Die arme gegen mich — noch ſtokt vor angſt mein blut — Und ach! Wie an den grund mit ketten Geſchmiedet, ſtand ich da, ohnmaͤchtig ſie zu retten. Das war im traum, ſpricht Scherasmin: wofuͤr Euch ohne noth mit ſchwarzer ahnung graͤmen? Ein traum laͤßt nie von art. Das beſte, glaubet mit, Iſt, ſich daraus nur was uns freut zu nehmen. 13. Daß euch im traum ein wohlgewogner geiſt Die kuͤnftge Koͤnigin von euern herzen weißt, Das hat er gut gemacht; ſo etwas laͤßt ſich glauben, Und kurz, wir nehmen's nun fuͤr baare wahrheit an. Allein den ſtrom, den wirbelwind, die ſchrauben An hand und fuß, die hat der traum hinzugethan. Mir ſelbſt iſt oft in meinen juͤngern Jahren, Wenn mich der Alp gedruͤkt, dergleichen wiederfahren. 14. Da, zum Exempel, laͤuft ein ſchwarzer zottelbaͤr, Indem ich wandeln geh, der himmel weiß woher, Mir in den weg; ich greif im ſchrecken nach dem degen Und zieh, und zieh — umſonſt! Ein ploͤzlich unvermoͤgen Strikt jede ſehne mir an allen gliedern loß; Zuſehens wird der baͤr noch ſiebenmal ſo groß, Sperrt einen rachen auf ſo graͤßlich wie die hoͤlle: Ich flieh und aͤngſtige mich, und kann nicht von der ſtelle. 15. Ein

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/80>, abgerufen am 29.04.2024.