Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Goethe's Götz von Berlichingen, nach welchem
einzigen Schauspiel die ungeheure Fluth der Rit¬
terromane sich erhob, wie nach Schiller's erstem
Produkt, den Räubern, die eben so starke Litera¬
tur der Räuberromane Deutschland überschwemmte.
Goethe's, des Dramendichters Würdigung, Goe¬
the's Bedeutung für seine Zeit ist es nun beson¬
ders, was ich mir in diesem Abschnitt zur Aufgabe
setze, der vom deutschen Drama handelt: nicht
vom Drama überhaupt, noch von Völkerdramen
im Allgemeinen, noch einmal vom deutschen
Drama, als von einem Stück und Fachwerk der
schönen deutschen Literatur, sondern vom deutschen
Drama, das nicht mehr ist, das mit Schiller und
Goethe zu den Schatten hinabgestiegen ist, das
mit Schiller, vornämlich aber mit Goethe einer
Zeit angehört, der wir nicht mehr angehören kön¬
nen, noch wollen. Wer klagt nicht über den
Tod des Schönen auf der Erde, über den Hin¬
gang vorleuchtender großer Köpfe, über die Sel¬
tenheit, daß solche Verluste bald durch äquivalente
Anlagen ersetzt werden, wer klagt nicht darüber,
daß Deutschland keinen Schiller mehr hat, oder
daß Goethe nicht ewige Jugend zu Theil wurde?
Wie willig stimme ich dieser Trauer bei, die ich
nur zu gerecht finde, da unsere dramatische Bühne
heutiges Tags verödet ist und ein Raupach, ein

Goethe's Goͤtz von Berlichingen, nach welchem
einzigen Schauſpiel die ungeheure Fluth der Rit¬
terromane ſich erhob, wie nach Schiller's erſtem
Produkt, den Raͤubern, die eben ſo ſtarke Litera¬
tur der Raͤuberromane Deutſchland uͤberſchwemmte.
Goethe's, des Dramendichters Wuͤrdigung, Goe¬
the's Bedeutung fuͤr ſeine Zeit iſt es nun beſon¬
ders, was ich mir in dieſem Abſchnitt zur Aufgabe
ſetze, der vom deutſchen Drama handelt: nicht
vom Drama uͤberhaupt, noch von Voͤlkerdramen
im Allgemeinen, noch einmal vom deutſchen
Drama, als von einem Stuͤck und Fachwerk der
ſchoͤnen deutſchen Literatur, ſondern vom deutſchen
Drama, das nicht mehr iſt, das mit Schiller und
Goethe zu den Schatten hinabgeſtiegen iſt, das
mit Schiller, vornaͤmlich aber mit Goethe einer
Zeit angehoͤrt, der wir nicht mehr angehoͤren koͤn¬
nen, noch wollen. Wer klagt nicht uͤber den
Tod des Schoͤnen auf der Erde, uͤber den Hin¬
gang vorleuchtender großer Koͤpfe, uͤber die Sel¬
tenheit, daß ſolche Verluſte bald durch aͤquivalente
Anlagen erſetzt werden, wer klagt nicht daruͤber,
daß Deutſchland keinen Schiller mehr hat, oder
daß Goethe nicht ewige Jugend zu Theil wurde?
Wie willig ſtimme ich dieſer Trauer bei, die ich
nur zu gerecht finde, da unſere dramatiſche Buͤhne
heutiges Tags veroͤdet iſt und ein Raupach, ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0263" n="249"/>
Goethe's Go&#x0364;tz von Berlichingen, nach welchem<lb/>
einzigen Schau&#x017F;piel die ungeheure Fluth der Rit¬<lb/>
terromane &#x017F;ich erhob, wie nach Schiller's er&#x017F;tem<lb/>
Produkt, den Ra&#x0364;ubern, die eben &#x017F;o &#x017F;tarke Litera¬<lb/>
tur der Ra&#x0364;uberromane Deut&#x017F;chland u&#x0364;ber&#x017F;chwemmte.<lb/>
Goethe's, des Dramendichters Wu&#x0364;rdigung, Goe¬<lb/>
the's Bedeutung fu&#x0364;r &#x017F;eine Zeit i&#x017F;t es nun be&#x017F;on¬<lb/>
ders, was ich mir in die&#x017F;em Ab&#x017F;chnitt zur Aufgabe<lb/>
&#x017F;etze, der vom deut&#x017F;chen Drama handelt: nicht<lb/>
vom Drama u&#x0364;berhaupt, noch von Vo&#x0364;lkerdramen<lb/>
im Allgemeinen, noch einmal vom deut&#x017F;chen<lb/>
Drama, als von einem Stu&#x0364;ck und Fachwerk der<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen deut&#x017F;chen Literatur, &#x017F;ondern vom deut&#x017F;chen<lb/>
Drama, das nicht mehr i&#x017F;t, das mit Schiller und<lb/>
Goethe zu den Schatten hinabge&#x017F;tiegen i&#x017F;t, das<lb/>
mit Schiller, vorna&#x0364;mlich aber mit Goethe einer<lb/>
Zeit angeho&#x0364;rt, der wir nicht mehr angeho&#x0364;ren ko&#x0364;<lb/>
nen, noch wollen. Wer klagt nicht u&#x0364;ber den<lb/>
Tod des Scho&#x0364;nen auf der Erde, u&#x0364;ber den Hin¬<lb/>
gang vorleuchtender großer Ko&#x0364;pfe, u&#x0364;ber die Sel¬<lb/>
tenheit, daß &#x017F;olche Verlu&#x017F;te bald durch a&#x0364;quivalente<lb/>
Anlagen er&#x017F;etzt werden, wer klagt nicht daru&#x0364;ber,<lb/>
daß Deut&#x017F;chland keinen Schiller mehr hat, oder<lb/>
daß Goethe nicht ewige Jugend zu Theil wurde?<lb/>
Wie willig &#x017F;timme ich die&#x017F;er Trauer bei, die ich<lb/>
nur zu gerecht finde, da un&#x017F;ere dramati&#x017F;che Bu&#x0364;hne<lb/>
heutiges Tags vero&#x0364;det i&#x017F;t und ein Raupach, ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0263] Goethe's Goͤtz von Berlichingen, nach welchem einzigen Schauſpiel die ungeheure Fluth der Rit¬ terromane ſich erhob, wie nach Schiller's erſtem Produkt, den Raͤubern, die eben ſo ſtarke Litera¬ tur der Raͤuberromane Deutſchland uͤberſchwemmte. Goethe's, des Dramendichters Wuͤrdigung, Goe¬ the's Bedeutung fuͤr ſeine Zeit iſt es nun beſon¬ ders, was ich mir in dieſem Abſchnitt zur Aufgabe ſetze, der vom deutſchen Drama handelt: nicht vom Drama uͤberhaupt, noch von Voͤlkerdramen im Allgemeinen, noch einmal vom deutſchen Drama, als von einem Stuͤck und Fachwerk der ſchoͤnen deutſchen Literatur, ſondern vom deutſchen Drama, das nicht mehr iſt, das mit Schiller und Goethe zu den Schatten hinabgeſtiegen iſt, das mit Schiller, vornaͤmlich aber mit Goethe einer Zeit angehoͤrt, der wir nicht mehr angehoͤren koͤn¬ nen, noch wollen. Wer klagt nicht uͤber den Tod des Schoͤnen auf der Erde, uͤber den Hin¬ gang vorleuchtender großer Koͤpfe, uͤber die Sel¬ tenheit, daß ſolche Verluſte bald durch aͤquivalente Anlagen erſetzt werden, wer klagt nicht daruͤber, daß Deutſchland keinen Schiller mehr hat, oder daß Goethe nicht ewige Jugend zu Theil wurde? Wie willig ſtimme ich dieſer Trauer bei, die ich nur zu gerecht finde, da unſere dramatiſche Buͤhne heutiges Tags veroͤdet iſt und ein Raupach, ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/263
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/263>, abgerufen am 29.04.2024.