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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Bekanntwerden der tragiker in Italien. die französische philologie.
Musurus, der nicht nur Euripides und Theokrit, sondern auch Hesych
Athenaeus die Aristophanesscholien mit grosser kühnheit aber auch mit
grossem geschick zu bearbeiten verstanden hat 3). er besass selbst das
jetzt als Palatin. 287 im Vatican befindliche bruchstück der oben s. 208
behandelten handschrift, hat die euripideischen dramen darin durchcor-
rigirt und nicht ausschliesslich aber wesentlich danach bei Aldus 1503
herausgegeben. diese grundlage des textes ist bis in die zweite hälfte
des 18. jahrhunderts unerschüttert geblieben. ein viel mehr genannter
aber weit geringerer gelehrter, Johannes Laskaris, hatte zugang zum
Laur. 32, 9, als er in Rom 1518 die Sophoklesscholien herausgab, die somit
von anfang an auf der besten grundlage ruhten. der text des Sophokles
war schon 1502 in Venedig gedruckt, zwar nicht aus dem Laurentianus,
aber doch aus einer leidlichen handschrift. dagegen standen Arsenios,
dem herausgeber der Euripidesscholien (Rom 1534) nur sehr schlechte
byzantinische handschriften zu gebote, und da hat erst das 19. jahrhundert
besserung gebracht. den text des Aischylos, der vorher aus minder-
wertigen handschriften genommen war, stellten Robortelli (1552) und
P. Vettori (1557) auf grund des Laur. 32, 9 fest, nicht ohne eine anzahl
bleibender eigener verbesserungen. Victorius, dem nicht nur die schätze
der Florentiner bibliotheken offen standen 4), sondern der mit einer be-
deutenden sprachkenntnis die einsicht in das geschäft der kritischen
recensio verband, war leider auf lange zeit der letzte Hellenist Italiens.
von nun an schlummerten die besten tragikerhandschriften in Italiens
bücherschränken, bis fremde gelehrte sie im 19. jahrhundert hervorzogen.
die gegenreformation hatte ihre schuldigkeit getan.

Diesseits der Alpen konnte man sich zunächst nur receptiv ver-Die franzö-
sische phi-
lologie.

halten, denn erst mit den gedruckten büchern überschritt der Helle-
nismus die grenzen Italiens. aber die empfänglichkeit war eine erstaun-
liche. sehr bald begann man die griechischen bücher nachzudrucken,
und immer neue auflagen wurden nötig. dabei verbesserten die gelehrten,
welche in den druckereien die correctur überwachten, hie und da eine
kleinigkeit; eine eingreifendere tätigkeit beabsichtigten sie nicht, und die
grundlage des textes zu ändern fehlten ihnen die mittel, oder sie sahen

3) Über ihn vornehmlich zu vergleichen F. Didot Alde Manuce und was im
anhang zu M. Schmidts grösserem Hesych beigebracht ist. Musurus verdient eine
monographie.
4) Er hat auch die bisher übersehene Elektra des Euripides 1545 aus dem
Laurentianus veröffentlicht, den er besser gelesen hatte als die abschreiber, nach
denen man ihn seit Musgrave zu berichtigen pflegte.

Bekanntwerden der tragiker in Italien. die französische philologie.
Musurus, der nicht nur Euripides und Theokrit, sondern auch Hesych
Athenaeus die Aristophanesscholien mit groſser kühnheit aber auch mit
groſsem geschick zu bearbeiten verstanden hat 3). er besaſs selbst das
jetzt als Palatin. 287 im Vatican befindliche bruchstück der oben s. 208
behandelten handschrift, hat die euripideischen dramen darin durchcor-
rigirt und nicht ausschlieſslich aber wesentlich danach bei Aldus 1503
herausgegeben. diese grundlage des textes ist bis in die zweite hälfte
des 18. jahrhunderts unerschüttert geblieben. ein viel mehr genannter
aber weit geringerer gelehrter, Johannes Laskaris, hatte zugang zum
Laur. 32, 9, als er in Rom 1518 die Sophoklesscholien herausgab, die somit
von anfang an auf der besten grundlage ruhten. der text des Sophokles
war schon 1502 in Venedig gedruckt, zwar nicht aus dem Laurentianus,
aber doch aus einer leidlichen handschrift. dagegen standen Arsenios,
dem herausgeber der Euripidesscholien (Rom 1534) nur sehr schlechte
byzantinische handschriften zu gebote, und da hat erst das 19. jahrhundert
besserung gebracht. den text des Aischylos, der vorher aus minder-
wertigen handschriften genommen war, stellten Robortelli (1552) und
P. Vettori (1557) auf grund des Laur. 32, 9 fest, nicht ohne eine anzahl
bleibender eigener verbesserungen. Victorius, dem nicht nur die schätze
der Florentiner bibliotheken offen standen 4), sondern der mit einer be-
deutenden sprachkenntnis die einsicht in das geschäft der kritischen
recensio verband, war leider auf lange zeit der letzte Hellenist Italiens.
von nun an schlummerten die besten tragikerhandschriften in Italiens
bücherschränken, bis fremde gelehrte sie im 19. jahrhundert hervorzogen.
die gegenreformation hatte ihre schuldigkeit getan.

Diesseits der Alpen konnte man sich zunächst nur receptiv ver-Die franzö-
sische phi-
lologie.

halten, denn erst mit den gedruckten büchern überschritt der Helle-
nismus die grenzen Italiens. aber die empfänglichkeit war eine erstaun-
liche. sehr bald begann man die griechischen bücher nachzudrucken,
und immer neue auflagen wurden nötig. dabei verbesserten die gelehrten,
welche in den druckereien die correctur überwachten, hie und da eine
kleinigkeit; eine eingreifendere tätigkeit beabsichtigten sie nicht, und die
grundlage des textes zu ändern fehlten ihnen die mittel, oder sie sahen

3) Über ihn vornehmlich zu vergleichen F. Didot Alde Manuce und was im
anhang zu M. Schmidts gröſserem Hesych beigebracht ist. Musurus verdient eine
monographie.
4) Er hat auch die bisher übersehene Elektra des Euripides 1545 aus dem
Laurentianus veröffentlicht, den er besser gelesen hatte als die abschreiber, nach
denen man ihn seit Musgrave zu berichtigen pflegte.
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[221/0241] Bekanntwerden der tragiker in Italien. die französische philologie. Musurus, der nicht nur Euripides und Theokrit, sondern auch Hesych Athenaeus die Aristophanesscholien mit groſser kühnheit aber auch mit groſsem geschick zu bearbeiten verstanden hat 3). er besaſs selbst das jetzt als Palatin. 287 im Vatican befindliche bruchstück der oben s. 208 behandelten handschrift, hat die euripideischen dramen darin durchcor- rigirt und nicht ausschlieſslich aber wesentlich danach bei Aldus 1503 herausgegeben. diese grundlage des textes ist bis in die zweite hälfte des 18. jahrhunderts unerschüttert geblieben. ein viel mehr genannter aber weit geringerer gelehrter, Johannes Laskaris, hatte zugang zum Laur. 32, 9, als er in Rom 1518 die Sophoklesscholien herausgab, die somit von anfang an auf der besten grundlage ruhten. der text des Sophokles war schon 1502 in Venedig gedruckt, zwar nicht aus dem Laurentianus, aber doch aus einer leidlichen handschrift. dagegen standen Arsenios, dem herausgeber der Euripidesscholien (Rom 1534) nur sehr schlechte byzantinische handschriften zu gebote, und da hat erst das 19. jahrhundert besserung gebracht. den text des Aischylos, der vorher aus minder- wertigen handschriften genommen war, stellten Robortelli (1552) und P. Vettori (1557) auf grund des Laur. 32, 9 fest, nicht ohne eine anzahl bleibender eigener verbesserungen. Victorius, dem nicht nur die schätze der Florentiner bibliotheken offen standen 4), sondern der mit einer be- deutenden sprachkenntnis die einsicht in das geschäft der kritischen recensio verband, war leider auf lange zeit der letzte Hellenist Italiens. von nun an schlummerten die besten tragikerhandschriften in Italiens bücherschränken, bis fremde gelehrte sie im 19. jahrhundert hervorzogen. die gegenreformation hatte ihre schuldigkeit getan. Diesseits der Alpen konnte man sich zunächst nur receptiv ver- halten, denn erst mit den gedruckten büchern überschritt der Helle- nismus die grenzen Italiens. aber die empfänglichkeit war eine erstaun- liche. sehr bald begann man die griechischen bücher nachzudrucken, und immer neue auflagen wurden nötig. dabei verbesserten die gelehrten, welche in den druckereien die correctur überwachten, hie und da eine kleinigkeit; eine eingreifendere tätigkeit beabsichtigten sie nicht, und die grundlage des textes zu ändern fehlten ihnen die mittel, oder sie sahen Die franzö- sische phi- lologie. 3) Über ihn vornehmlich zu vergleichen F. Didot Alde Manuce und was im anhang zu M. Schmidts gröſserem Hesych beigebracht ist. Musurus verdient eine monographie. 4) Er hat auch die bisher übersehene Elektra des Euripides 1545 aus dem Laurentianus veröffentlicht, den er besser gelesen hatte als die abschreiber, nach denen man ihn seit Musgrave zu berichtigen pflegte.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/241>, abgerufen am 26.04.2024.