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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wollte, hatten nur mehr eine kalte Aufnahme für den jungen Mann, und Mütter heirathsfähiger Töchter, denen er bisher als Mariens Verlobter keine Sorge erregt, sprachen von der Nothwendigkeit, ihm ihre Thüre zu schließen. Louis ersparte ihnen die Verlegenheit, indem er sich von selbst zurückzog. Daß auch Marie, wie die Baronin gefürchtet, dabei manchen kleinen Seitenhieb bekam, versteht sich wohl von selbst; doch sie war schön und reich, und die Mutter hoffte, es wurde bald vergessen sein. Die Baronin, nun die Trennung entschieden war, und sie sah, mit welcher Kraft ihre Tochter jede Äußerung des Schmerzes niederzuhalten verstand, hatte sich damit ausgesöhnt. Die Einwürfe, die sie früher gegen die Partie gehabt, lebten wieder aus in ihrem Herzen. Marie konnte auf weit mehr Anspruch machen, und die nächste Wahl mußte eine sehr schlechte sein, wenn sie nicht in jeder Hinsicht die übertreffen sollte, die eben so schimpflich zunichte geworden.

Unterdessen zog sich Louis vor der äußeren Welt, die ihm plötzlich so rauh geworden warf, mehr und mehr in sich selbst zurück. Vielleicht wird man es ungerecht finden, das die Folgen einer unwillkürlichen und im Grunde redlich bekämpften Leidenschaft so schwer auf ihn zurückfiel; man wird sagen, das eine liebevolle Behandlung wohl mehr geeignet gewesen wäre, sein verirrtes Herz in die rechte Bahn zurückzulenken; man wird es sagen, und vielleicht hat man Recht. Aber erstens war Niemand verpflichtet, ihn liebevoll zu behandeln, und zweitens kann kein Mensch fürchten, was ans einen Anderen wirken mag. Für jetzt wenigstens brachte die Katastrophe, die seinem Leben eine andere Richtung gegeben, eine heilsame Erschütterung in seinem Gemüthe hervor. Der Schmerz, den er einem reinen, edlen Wesen zugefügt, weckte den Ernst in seiner eigenen Brust. Mariens Thränen fielen löschend in die Flammen seines Blutes, und alle Plackereien, welche die Trennung von ihr ihm gebracht, schienen ihm eine

wollte, hatten nur mehr eine kalte Aufnahme für den jungen Mann, und Mütter heirathsfähiger Töchter, denen er bisher als Mariens Verlobter keine Sorge erregt, sprachen von der Nothwendigkeit, ihm ihre Thüre zu schließen. Louis ersparte ihnen die Verlegenheit, indem er sich von selbst zurückzog. Daß auch Marie, wie die Baronin gefürchtet, dabei manchen kleinen Seitenhieb bekam, versteht sich wohl von selbst; doch sie war schön und reich, und die Mutter hoffte, es wurde bald vergessen sein. Die Baronin, nun die Trennung entschieden war, und sie sah, mit welcher Kraft ihre Tochter jede Äußerung des Schmerzes niederzuhalten verstand, hatte sich damit ausgesöhnt. Die Einwürfe, die sie früher gegen die Partie gehabt, lebten wieder aus in ihrem Herzen. Marie konnte auf weit mehr Anspruch machen, und die nächste Wahl mußte eine sehr schlechte sein, wenn sie nicht in jeder Hinsicht die übertreffen sollte, die eben so schimpflich zunichte geworden.

Unterdessen zog sich Louis vor der äußeren Welt, die ihm plötzlich so rauh geworden warf, mehr und mehr in sich selbst zurück. Vielleicht wird man es ungerecht finden, das die Folgen einer unwillkürlichen und im Grunde redlich bekämpften Leidenschaft so schwer auf ihn zurückfiel; man wird sagen, das eine liebevolle Behandlung wohl mehr geeignet gewesen wäre, sein verirrtes Herz in die rechte Bahn zurückzulenken; man wird es sagen, und vielleicht hat man Recht. Aber erstens war Niemand verpflichtet, ihn liebevoll zu behandeln, und zweitens kann kein Mensch fürchten, was ans einen Anderen wirken mag. Für jetzt wenigstens brachte die Katastrophe, die seinem Leben eine andere Richtung gegeben, eine heilsame Erschütterung in seinem Gemüthe hervor. Der Schmerz, den er einem reinen, edlen Wesen zugefügt, weckte den Ernst in seiner eigenen Brust. Mariens Thränen fielen löschend in die Flammen seines Blutes, und alle Plackereien, welche die Trennung von ihr ihm gebracht, schienen ihm eine

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[0102] wollte, hatten nur mehr eine kalte Aufnahme für den jungen Mann, und Mütter heirathsfähiger Töchter, denen er bisher als Mariens Verlobter keine Sorge erregt, sprachen von der Nothwendigkeit, ihm ihre Thüre zu schließen. Louis ersparte ihnen die Verlegenheit, indem er sich von selbst zurückzog. Daß auch Marie, wie die Baronin gefürchtet, dabei manchen kleinen Seitenhieb bekam, versteht sich wohl von selbst; doch sie war schön und reich, und die Mutter hoffte, es wurde bald vergessen sein. Die Baronin, nun die Trennung entschieden war, und sie sah, mit welcher Kraft ihre Tochter jede Äußerung des Schmerzes niederzuhalten verstand, hatte sich damit ausgesöhnt. Die Einwürfe, die sie früher gegen die Partie gehabt, lebten wieder aus in ihrem Herzen. Marie konnte auf weit mehr Anspruch machen, und die nächste Wahl mußte eine sehr schlechte sein, wenn sie nicht in jeder Hinsicht die übertreffen sollte, die eben so schimpflich zunichte geworden. Unterdessen zog sich Louis vor der äußeren Welt, die ihm plötzlich so rauh geworden warf, mehr und mehr in sich selbst zurück. Vielleicht wird man es ungerecht finden, das die Folgen einer unwillkürlichen und im Grunde redlich bekämpften Leidenschaft so schwer auf ihn zurückfiel; man wird sagen, das eine liebevolle Behandlung wohl mehr geeignet gewesen wäre, sein verirrtes Herz in die rechte Bahn zurückzulenken; man wird es sagen, und vielleicht hat man Recht. Aber erstens war Niemand verpflichtet, ihn liebevoll zu behandeln, und zweitens kann kein Mensch fürchten, was ans einen Anderen wirken mag. Für jetzt wenigstens brachte die Katastrophe, die seinem Leben eine andere Richtung gegeben, eine heilsame Erschütterung in seinem Gemüthe hervor. Der Schmerz, den er einem reinen, edlen Wesen zugefügt, weckte den Ernst in seiner eigenen Brust. Mariens Thränen fielen löschend in die Flammen seines Blutes, und alle Plackereien, welche die Trennung von ihr ihm gebracht, schienen ihm eine

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/102>, abgerufen am 29.04.2024.