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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sträuben vor Entsetzen. Ihr Mann kam jetzt heran, nach ihr zu sehen. Sie lächelte ihm zu, sie nickte, sie sprach mit ihrer Nachbarin rechts, mit der, die ihr gegenüber saß, sie war witzig, heiter, glänzend, Alles aus furchtbarer Todesangst. Ihr Vater stand noch immer neben ihr, den starren Blick auf den Marquis geheftet, selbst zu aufgeregt, um die Aufregung seiner Tochter zu sehen: Er sieht seinem Vater sehr ähnlich, sagte er endlich, als spräche er mit sich selbst.

Leonie athmete auf, aber die Angst machte sogleich einer lebhaften Neugierde Platz: Sie haben seinen Vater gekannt? frug sie lebhaft.

Der Graf fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um eine unangenehme Erinnerung zu verwischen. Ja, sagte er dann kurz.

Und ist es wahr, das er auf eine so schreckliche Weise umkam?

Wer hat dir das gesagt?

O man hat es mir erzählt -- er erschoß sich, sagt man.

Ja, versetzte er dumpf, es war eine grässliche Geschichte.

Leonie wagte nicht weiter zu fragen, aus Furcht, ein zu großes Interesse an den Tag zu legen, und biß sich schier die geschwätzige Zunge ab.

Louis trat jetzt selbst heran, das Gespräch nahm eine andere Wendung, und sie lehnte sich in das Sofa zurück. Sie hatte das Gesicht fast ganz mit dem aufgespannten Fächer bedeckt und ließ die Unterhaltung gehen wie sie wollte. Das Unmögliche hätte sie gegeben, daß ihr Vater sich nur entfernt hätte, aber er entfernte sich nicht. Die Erscheinung des Marquis rief in ausfallendem Grade seine Theilnahme wach. Und damit war ihre Folter für heute noch nicht aus.

Was macht denn deine Freundin, Fräulein von Lohenstein? sagte plötzlich Otto, über den Tisch gebeugt, zu seiner Schwester.

sträuben vor Entsetzen. Ihr Mann kam jetzt heran, nach ihr zu sehen. Sie lächelte ihm zu, sie nickte, sie sprach mit ihrer Nachbarin rechts, mit der, die ihr gegenüber saß, sie war witzig, heiter, glänzend, Alles aus furchtbarer Todesangst. Ihr Vater stand noch immer neben ihr, den starren Blick auf den Marquis geheftet, selbst zu aufgeregt, um die Aufregung seiner Tochter zu sehen: Er sieht seinem Vater sehr ähnlich, sagte er endlich, als spräche er mit sich selbst.

Leonie athmete auf, aber die Angst machte sogleich einer lebhaften Neugierde Platz: Sie haben seinen Vater gekannt? frug sie lebhaft.

Der Graf fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um eine unangenehme Erinnerung zu verwischen. Ja, sagte er dann kurz.

Und ist es wahr, das er auf eine so schreckliche Weise umkam?

Wer hat dir das gesagt?

O man hat es mir erzählt — er erschoß sich, sagt man.

Ja, versetzte er dumpf, es war eine grässliche Geschichte.

Leonie wagte nicht weiter zu fragen, aus Furcht, ein zu großes Interesse an den Tag zu legen, und biß sich schier die geschwätzige Zunge ab.

Louis trat jetzt selbst heran, das Gespräch nahm eine andere Wendung, und sie lehnte sich in das Sofa zurück. Sie hatte das Gesicht fast ganz mit dem aufgespannten Fächer bedeckt und ließ die Unterhaltung gehen wie sie wollte. Das Unmögliche hätte sie gegeben, daß ihr Vater sich nur entfernt hätte, aber er entfernte sich nicht. Die Erscheinung des Marquis rief in ausfallendem Grade seine Theilnahme wach. Und damit war ihre Folter für heute noch nicht aus.

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/120>, abgerufen am 29.04.2024.