Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Gründen entschieden zurück, freilich hätte sie ihn auch nach einer anderen Stadt versetzt und somit von Leonie getrennt. Der alte Graf war überrascht, doch schreckte ihn dieses Fehlschlagen seines guten Willens nicht ab; und mit Wort und That trat er wirksam gegen das Vorurtheil auf, das sich gegen Louis geltend gemacht.

Leonie war sehr erfreut über diese unerwartete Wendung der Dinge; es bewies, ihr Vater sei, wenigstens jetzt, zu keinem Argwohn geneigt, und das beruhigte sie sehr. Auch hatte sie dadurch den Zweck mehr als erreicht, den sie erst durch Otto's Bekanntwerden mit Louis zu erstreben gesucht. Ihr Vater hatte den Vater des Marquis gekannt, es war fast eine Verwandtschaft, welche in diesem Begriffe lag. Selbst auf ihren Mann übte es einen gewissen Einfluß aus. Er wurde herzlicher gegen den jungen Mann, und seine Zuneigung für ihn war nicht mehr bloß eine Erdichtung Leonie's. Das Alles war gut, und doch schärfte es merkwürdig die Gedanken der jungen Frau, etwas Anderes als nur das Gute darin zu sehen. Warum war ihr Vater erblaßt bei der Erinnerung an eine Bekanntschaft, die schon so lange vergangen war? Welche Erinnerung war es, welche die Ähnlichkeit Louis' mit seinem Vater so furchtbar in ihm geweckt? Leonie dachte an einen Racheschrei, den sie einmal gehört, -- war es möglich, das dieser Racheschrei mit der längst Verstorbenen in Verbindung stand? Sonderbare Verkettung der Umstände, die hier auf fremdem Boden den Faden wieder anknüpfte, den der Tod seit so langer Zeit zerrissen zu haben schien. Aber was war es dann, was ihren Vater, der gegen alle Welt so verschlossen und fast abstoßend war, zu solcher Freundschaft für den Sohn eines so wenig geliebten Mannes trieb? Wußte sie es nur! Sie sah keinen Weg, und doch hatte sie es so gerne gewußt! Der unsichere Boden, auf dem sie ging, und der, ihrem Vater gegenüber, ihr noch einmal so unsicher erschien, mußte fester werden, so dünkte es ihr,

Gründen entschieden zurück, freilich hätte sie ihn auch nach einer anderen Stadt versetzt und somit von Leonie getrennt. Der alte Graf war überrascht, doch schreckte ihn dieses Fehlschlagen seines guten Willens nicht ab; und mit Wort und That trat er wirksam gegen das Vorurtheil auf, das sich gegen Louis geltend gemacht.

Leonie war sehr erfreut über diese unerwartete Wendung der Dinge; es bewies, ihr Vater sei, wenigstens jetzt, zu keinem Argwohn geneigt, und das beruhigte sie sehr. Auch hatte sie dadurch den Zweck mehr als erreicht, den sie erst durch Otto's Bekanntwerden mit Louis zu erstreben gesucht. Ihr Vater hatte den Vater des Marquis gekannt, es war fast eine Verwandtschaft, welche in diesem Begriffe lag. Selbst auf ihren Mann übte es einen gewissen Einfluß aus. Er wurde herzlicher gegen den jungen Mann, und seine Zuneigung für ihn war nicht mehr bloß eine Erdichtung Leonie's. Das Alles war gut, und doch schärfte es merkwürdig die Gedanken der jungen Frau, etwas Anderes als nur das Gute darin zu sehen. Warum war ihr Vater erblaßt bei der Erinnerung an eine Bekanntschaft, die schon so lange vergangen war? Welche Erinnerung war es, welche die Ähnlichkeit Louis' mit seinem Vater so furchtbar in ihm geweckt? Leonie dachte an einen Racheschrei, den sie einmal gehört, — war es möglich, das dieser Racheschrei mit der längst Verstorbenen in Verbindung stand? Sonderbare Verkettung der Umstände, die hier auf fremdem Boden den Faden wieder anknüpfte, den der Tod seit so langer Zeit zerrissen zu haben schien. Aber was war es dann, was ihren Vater, der gegen alle Welt so verschlossen und fast abstoßend war, zu solcher Freundschaft für den Sohn eines so wenig geliebten Mannes trieb? Wußte sie es nur! Sie sah keinen Weg, und doch hatte sie es so gerne gewußt! Der unsichere Boden, auf dem sie ging, und der, ihrem Vater gegenüber, ihr noch einmal so unsicher erschien, mußte fester werden, so dünkte es ihr,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0125"/>
Gründen entschieden      zurück, freilich hätte sie ihn auch nach einer anderen Stadt versetzt und somit von Leonie      getrennt. Der alte Graf war überrascht, doch schreckte ihn dieses Fehlschlagen seines guten      Willens nicht ab; und mit Wort und That trat er wirksam gegen das Vorurtheil auf, das sich      gegen Louis geltend gemacht.</p><lb/>
        <p>Leonie war sehr erfreut über diese unerwartete Wendung der Dinge; es bewies, ihr Vater sei,      wenigstens jetzt, zu keinem Argwohn geneigt, und das beruhigte sie sehr. Auch hatte sie dadurch      den Zweck mehr als erreicht, den sie erst durch Otto's Bekanntwerden mit Louis zu erstreben      gesucht. Ihr Vater hatte den Vater des Marquis gekannt, es war fast eine Verwandtschaft, welche      in diesem Begriffe lag. Selbst auf ihren Mann übte es einen gewissen Einfluß aus. Er wurde      herzlicher gegen den jungen Mann, und seine Zuneigung für ihn war nicht mehr bloß eine      Erdichtung Leonie's. Das Alles war gut, und doch schärfte es merkwürdig die Gedanken der jungen      Frau, etwas Anderes als nur das Gute darin zu sehen. Warum war ihr Vater erblaßt bei der      Erinnerung an eine Bekanntschaft, die schon so lange vergangen war? Welche Erinnerung war es,      welche die Ähnlichkeit Louis' mit seinem Vater so furchtbar in ihm geweckt? Leonie dachte an      einen Racheschrei, den sie einmal gehört, &#x2014; war es möglich, das dieser Racheschrei mit der      längst Verstorbenen in Verbindung stand? Sonderbare Verkettung der Umstände, die hier auf      fremdem Boden den Faden wieder anknüpfte, den der Tod seit so langer Zeit zerrissen zu haben      schien. Aber was war es dann, was ihren Vater, der gegen alle Welt so verschlossen und fast      abstoßend war, zu solcher Freundschaft für den Sohn eines so wenig geliebten Mannes trieb?      Wußte sie es nur! Sie sah keinen Weg, und doch hatte sie es so gerne gewußt! Der unsichere      Boden, auf dem sie ging, und der, ihrem Vater gegenüber, ihr noch einmal so unsicher erschien,      mußte fester werden, so dünkte es ihr,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0125] Gründen entschieden zurück, freilich hätte sie ihn auch nach einer anderen Stadt versetzt und somit von Leonie getrennt. Der alte Graf war überrascht, doch schreckte ihn dieses Fehlschlagen seines guten Willens nicht ab; und mit Wort und That trat er wirksam gegen das Vorurtheil auf, das sich gegen Louis geltend gemacht. Leonie war sehr erfreut über diese unerwartete Wendung der Dinge; es bewies, ihr Vater sei, wenigstens jetzt, zu keinem Argwohn geneigt, und das beruhigte sie sehr. Auch hatte sie dadurch den Zweck mehr als erreicht, den sie erst durch Otto's Bekanntwerden mit Louis zu erstreben gesucht. Ihr Vater hatte den Vater des Marquis gekannt, es war fast eine Verwandtschaft, welche in diesem Begriffe lag. Selbst auf ihren Mann übte es einen gewissen Einfluß aus. Er wurde herzlicher gegen den jungen Mann, und seine Zuneigung für ihn war nicht mehr bloß eine Erdichtung Leonie's. Das Alles war gut, und doch schärfte es merkwürdig die Gedanken der jungen Frau, etwas Anderes als nur das Gute darin zu sehen. Warum war ihr Vater erblaßt bei der Erinnerung an eine Bekanntschaft, die schon so lange vergangen war? Welche Erinnerung war es, welche die Ähnlichkeit Louis' mit seinem Vater so furchtbar in ihm geweckt? Leonie dachte an einen Racheschrei, den sie einmal gehört, — war es möglich, das dieser Racheschrei mit der längst Verstorbenen in Verbindung stand? Sonderbare Verkettung der Umstände, die hier auf fremdem Boden den Faden wieder anknüpfte, den der Tod seit so langer Zeit zerrissen zu haben schien. Aber was war es dann, was ihren Vater, der gegen alle Welt so verschlossen und fast abstoßend war, zu solcher Freundschaft für den Sohn eines so wenig geliebten Mannes trieb? Wußte sie es nur! Sie sah keinen Weg, und doch hatte sie es so gerne gewußt! Der unsichere Boden, auf dem sie ging, und der, ihrem Vater gegenüber, ihr noch einmal so unsicher erschien, mußte fester werden, so dünkte es ihr,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/125
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/125>, abgerufen am 29.04.2024.