Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

müßten wir jetzt verschieben, bis Mariens Stimmung sich besser damit vertragt. Das liebe Kind soll nicht unsertwegen ein Glück annehmen, das sie nicht als ein Glück empfinden würde. Sie verstehen, liebe Gräfin, Marie soll frei wählen, das heißt, setzte die gute Mutter bedachtsam hinzu, so frei, als es sich mit ihrem Glücke verträgt.

Leonie nickte ihr verstehend zu. Es wird meinen Bruder sehr glücklich machen, sagte sie mit einem zauberhaft freundlichen Lächeln, zu hören, das Mariens Herz nicht unheilbar verwundet ist. Das seinige ist wenigstens sehr krank. Mein Vater glaubt es mit mir. -- Sie erlauben mir doch, aus der Schule zu plaudern?

O, es soll durchaus kein Geheimnis sein, erwiderte die Baronin verbindlich. Leonie erschien ihr als die liebenswürdigste Frau von der Welt, und sie übernahm von nun an die Schwärmerei, die früher ihr Mann für die hübsche Gräfin gehabt.

Und unterdessen ging Leonie's Roman mit Louis seinen stillen, geheimen Gang ungestört und unaufhaltsam fort. Seit jenem Abend, wo er die vielsagende Thräne an ihrer Wimper zittern gesehen, war der junge Mann mehr als je gefangen.

Noch hatte er mit Leonie kein Wort von Liebe gesprochen, und doch, wie weit mit einander waren sie schon! Wie brannte sein Blut, wenn ihr Kleid ihn streifte, welche heiße Wollust lag in ihrem Blicke! Die gewaltige Sprache der Leidenschaft flog zündend zwischen ihnen hin und her, während die Welt nur gleichgültige, inhaltleere Worte vernahm. Da war an kein Halten mehr zu denken, was sie noch trennte, war nur die kalte Macht der Nothwendigkeit. Ein einziger Funke, und an allen Ecken schlugen die Flammen hervor.

Thun wir denn etwas Unrechtes? beschwichtigte er sein Gewissen, wenn es dann und wann noch die Stimme in ihm erhob. Was haben wir von dem Allen, als das wir Beide unglücklich sind?

müßten wir jetzt verschieben, bis Mariens Stimmung sich besser damit vertragt. Das liebe Kind soll nicht unsertwegen ein Glück annehmen, das sie nicht als ein Glück empfinden würde. Sie verstehen, liebe Gräfin, Marie soll frei wählen, das heißt, setzte die gute Mutter bedachtsam hinzu, so frei, als es sich mit ihrem Glücke verträgt.

Leonie nickte ihr verstehend zu. Es wird meinen Bruder sehr glücklich machen, sagte sie mit einem zauberhaft freundlichen Lächeln, zu hören, das Mariens Herz nicht unheilbar verwundet ist. Das seinige ist wenigstens sehr krank. Mein Vater glaubt es mit mir. — Sie erlauben mir doch, aus der Schule zu plaudern?

O, es soll durchaus kein Geheimnis sein, erwiderte die Baronin verbindlich. Leonie erschien ihr als die liebenswürdigste Frau von der Welt, und sie übernahm von nun an die Schwärmerei, die früher ihr Mann für die hübsche Gräfin gehabt.

Und unterdessen ging Leonie's Roman mit Louis seinen stillen, geheimen Gang ungestört und unaufhaltsam fort. Seit jenem Abend, wo er die vielsagende Thräne an ihrer Wimper zittern gesehen, war der junge Mann mehr als je gefangen.

Noch hatte er mit Leonie kein Wort von Liebe gesprochen, und doch, wie weit mit einander waren sie schon! Wie brannte sein Blut, wenn ihr Kleid ihn streifte, welche heiße Wollust lag in ihrem Blicke! Die gewaltige Sprache der Leidenschaft flog zündend zwischen ihnen hin und her, während die Welt nur gleichgültige, inhaltleere Worte vernahm. Da war an kein Halten mehr zu denken, was sie noch trennte, war nur die kalte Macht der Nothwendigkeit. Ein einziger Funke, und an allen Ecken schlugen die Flammen hervor.

Thun wir denn etwas Unrechtes? beschwichtigte er sein Gewissen, wenn es dann und wann noch die Stimme in ihm erhob. Was haben wir von dem Allen, als das wir Beide unglücklich sind?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0129"/>
müßten wir jetzt verschieben, bis      Mariens Stimmung sich besser damit vertragt. Das liebe Kind soll nicht unsertwegen ein Glück      annehmen, das sie nicht als ein Glück empfinden würde. Sie verstehen, liebe Gräfin, Marie soll      frei wählen, das heißt, setzte die gute Mutter bedachtsam hinzu, so frei, als es sich mit ihrem      Glücke verträgt.</p><lb/>
        <p>Leonie nickte ihr verstehend zu. Es wird meinen Bruder sehr glücklich machen, sagte sie mit      einem zauberhaft freundlichen Lächeln, zu hören, das Mariens Herz nicht unheilbar verwundet      ist. Das seinige ist wenigstens sehr krank. Mein Vater glaubt es mit mir. &#x2014; Sie erlauben mir      doch, aus der Schule zu plaudern?</p><lb/>
        <p>O, es soll durchaus kein Geheimnis sein, erwiderte die Baronin verbindlich. Leonie erschien      ihr als die liebenswürdigste Frau von der Welt, und sie übernahm von nun an die Schwärmerei,      die früher ihr Mann für die hübsche Gräfin gehabt.</p><lb/>
        <p>Und unterdessen ging Leonie's Roman mit Louis seinen stillen, geheimen Gang ungestört und      unaufhaltsam fort. Seit jenem Abend, wo er die vielsagende Thräne an ihrer Wimper zittern      gesehen, war der junge Mann mehr als je gefangen.</p><lb/>
        <p>Noch hatte er mit Leonie kein Wort von Liebe gesprochen, und doch, wie weit mit einander      waren sie schon! Wie brannte sein Blut, wenn ihr Kleid ihn streifte, welche heiße Wollust lag      in ihrem Blicke! Die gewaltige Sprache der Leidenschaft flog zündend zwischen ihnen hin und      her, während die Welt nur gleichgültige, inhaltleere Worte vernahm. Da war an kein Halten mehr      zu denken, was sie noch trennte, war nur die kalte Macht der Nothwendigkeit. Ein einziger      Funke, und an allen Ecken schlugen die Flammen hervor.</p><lb/>
        <p>Thun wir denn etwas Unrechtes? beschwichtigte er sein Gewissen, wenn es dann und wann noch      die Stimme in ihm erhob. Was haben wir von dem Allen, als das wir Beide unglücklich sind?</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] müßten wir jetzt verschieben, bis Mariens Stimmung sich besser damit vertragt. Das liebe Kind soll nicht unsertwegen ein Glück annehmen, das sie nicht als ein Glück empfinden würde. Sie verstehen, liebe Gräfin, Marie soll frei wählen, das heißt, setzte die gute Mutter bedachtsam hinzu, so frei, als es sich mit ihrem Glücke verträgt. Leonie nickte ihr verstehend zu. Es wird meinen Bruder sehr glücklich machen, sagte sie mit einem zauberhaft freundlichen Lächeln, zu hören, das Mariens Herz nicht unheilbar verwundet ist. Das seinige ist wenigstens sehr krank. Mein Vater glaubt es mit mir. — Sie erlauben mir doch, aus der Schule zu plaudern? O, es soll durchaus kein Geheimnis sein, erwiderte die Baronin verbindlich. Leonie erschien ihr als die liebenswürdigste Frau von der Welt, und sie übernahm von nun an die Schwärmerei, die früher ihr Mann für die hübsche Gräfin gehabt. Und unterdessen ging Leonie's Roman mit Louis seinen stillen, geheimen Gang ungestört und unaufhaltsam fort. Seit jenem Abend, wo er die vielsagende Thräne an ihrer Wimper zittern gesehen, war der junge Mann mehr als je gefangen. Noch hatte er mit Leonie kein Wort von Liebe gesprochen, und doch, wie weit mit einander waren sie schon! Wie brannte sein Blut, wenn ihr Kleid ihn streifte, welche heiße Wollust lag in ihrem Blicke! Die gewaltige Sprache der Leidenschaft flog zündend zwischen ihnen hin und her, während die Welt nur gleichgültige, inhaltleere Worte vernahm. Da war an kein Halten mehr zu denken, was sie noch trennte, war nur die kalte Macht der Nothwendigkeit. Ein einziger Funke, und an allen Ecken schlugen die Flammen hervor. Thun wir denn etwas Unrechtes? beschwichtigte er sein Gewissen, wenn es dann und wann noch die Stimme in ihm erhob. Was haben wir von dem Allen, als das wir Beide unglücklich sind?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/129
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/129>, abgerufen am 29.04.2024.