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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ihres Vaters scharfen Blick, der nur wenige Schritte vor ihnen ging, und sie fürchtete mehr noch Louis eigene Ungeschicklichleit, jene Ungeschicklichkeit, die ihr so lieb war, und die doch eine solche Gefahr in sich schloß.

Kommen Sie, sagte sie, ihren Schritt etwas beeilend. Doch er kam ihr zuvor.

Ich muß Sie sprechen, Leonie, sagte er leise, aber so bestimmt, das sie nicht zu widersprechen wagte. Sie trat an ein eisernes Geländer, das den Zwinger eines Barons umfing, und sah hinab.

Sehen Sie den Bären an, ist das nicht ein prächtiges Thier? antwortete sie, nach unten deutend.

Aber ich muß Sie sprechen, wiederholte Louis, mit einem Anfluge von Ungeduld. Heute nicht, sagte sie, mit noch immer abgewendetem Gesicht.

Also wann denn?

Morgen nicht und übermorgen auch nicht. Ihr Ton war offenbar neckend; es verdroß ihn, daß sie die Dringlichkeit seiner Bitte nicht begriff.

Aber ich muß Sie sprechen, wiederholte er noch einmal.

Es wird so wichtig nicht sein, versetzte sie, über das Gitter gelehnt. Sehen Sie doch den Meister Petz an!

O Leonie, sagte er traurig, Sie treiben wahrhaftig Ihren Scherz mit mir!

Glauben Sie? sagte sie, legte den Finger der kleinen beschuhten Hand an die reizenden Lippen und sah dabei den jungen Mann mit einem so schalkhaft lächelnden Blicke an, daß ihm das Blut in die Wangen stieg. Sie spielte so gern mit ihrer Macht, das sie fortwährend ihre eigene Vorsicht darüber vergaß.

Um Gottes willen! rief sie plötzlich erschrocken, denn sie sah Otto nicht zwanzig Schritte weit, der auf sie zukam, sehen Sie mich nicht so an! Mein Vater bringt mich um, wenn er einen solchen Blick gewahrt.

ihres Vaters scharfen Blick, der nur wenige Schritte vor ihnen ging, und sie fürchtete mehr noch Louis eigene Ungeschicklichleit, jene Ungeschicklichkeit, die ihr so lieb war, und die doch eine solche Gefahr in sich schloß.

Kommen Sie, sagte sie, ihren Schritt etwas beeilend. Doch er kam ihr zuvor.

Ich muß Sie sprechen, Leonie, sagte er leise, aber so bestimmt, das sie nicht zu widersprechen wagte. Sie trat an ein eisernes Geländer, das den Zwinger eines Barons umfing, und sah hinab.

Sehen Sie den Bären an, ist das nicht ein prächtiges Thier? antwortete sie, nach unten deutend.

Aber ich muß Sie sprechen, wiederholte Louis, mit einem Anfluge von Ungeduld. Heute nicht, sagte sie, mit noch immer abgewendetem Gesicht.

Also wann denn?

Morgen nicht und übermorgen auch nicht. Ihr Ton war offenbar neckend; es verdroß ihn, daß sie die Dringlichkeit seiner Bitte nicht begriff.

Aber ich muß Sie sprechen, wiederholte er noch einmal.

Es wird so wichtig nicht sein, versetzte sie, über das Gitter gelehnt. Sehen Sie doch den Meister Petz an!

O Leonie, sagte er traurig, Sie treiben wahrhaftig Ihren Scherz mit mir!

Glauben Sie? sagte sie, legte den Finger der kleinen beschuhten Hand an die reizenden Lippen und sah dabei den jungen Mann mit einem so schalkhaft lächelnden Blicke an, daß ihm das Blut in die Wangen stieg. Sie spielte so gern mit ihrer Macht, das sie fortwährend ihre eigene Vorsicht darüber vergaß.

Um Gottes willen! rief sie plötzlich erschrocken, denn sie sah Otto nicht zwanzig Schritte weit, der auf sie zukam, sehen Sie mich nicht so an! Mein Vater bringt mich um, wenn er einen solchen Blick gewahrt.

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[0137] ihres Vaters scharfen Blick, der nur wenige Schritte vor ihnen ging, und sie fürchtete mehr noch Louis eigene Ungeschicklichleit, jene Ungeschicklichkeit, die ihr so lieb war, und die doch eine solche Gefahr in sich schloß. Kommen Sie, sagte sie, ihren Schritt etwas beeilend. Doch er kam ihr zuvor. Ich muß Sie sprechen, Leonie, sagte er leise, aber so bestimmt, das sie nicht zu widersprechen wagte. Sie trat an ein eisernes Geländer, das den Zwinger eines Barons umfing, und sah hinab. Sehen Sie den Bären an, ist das nicht ein prächtiges Thier? antwortete sie, nach unten deutend. Aber ich muß Sie sprechen, wiederholte Louis, mit einem Anfluge von Ungeduld. Heute nicht, sagte sie, mit noch immer abgewendetem Gesicht. Also wann denn? Morgen nicht und übermorgen auch nicht. Ihr Ton war offenbar neckend; es verdroß ihn, daß sie die Dringlichkeit seiner Bitte nicht begriff. Aber ich muß Sie sprechen, wiederholte er noch einmal. Es wird so wichtig nicht sein, versetzte sie, über das Gitter gelehnt. Sehen Sie doch den Meister Petz an! O Leonie, sagte er traurig, Sie treiben wahrhaftig Ihren Scherz mit mir! Glauben Sie? sagte sie, legte den Finger der kleinen beschuhten Hand an die reizenden Lippen und sah dabei den jungen Mann mit einem so schalkhaft lächelnden Blicke an, daß ihm das Blut in die Wangen stieg. Sie spielte so gern mit ihrer Macht, das sie fortwährend ihre eigene Vorsicht darüber vergaß. Um Gottes willen! rief sie plötzlich erschrocken, denn sie sah Otto nicht zwanzig Schritte weit, der auf sie zukam, sehen Sie mich nicht so an! Mein Vater bringt mich um, wenn er einen solchen Blick gewahrt.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/137>, abgerufen am 29.04.2024.